Mittelschwaebische Nachrichten
Der riskante Feldzug gegen den Diesel
Bei aller Empörung über die Abgas-Tricks: Der Verbrennungsmotor wird weiter gebraucht. Verantwortliche Politik muss das Ganze im Auge behalten
Die deutsche Autoindustrie ist nicht wegen irgendwelcher finsterer politischer Machenschaften in die Bredouille geraten. Es waren die schmutzigen AbgasTricks, die der Branche immensen Schaden zugefügt und ihren Ruf ramponiert haben. Wer seine Kunden derart dreist betrügt, muss dafür geradestehen und – was bisher abgelehnt wird – den angerichteten Schaden auf eigene Kosten regulieren. Die betroffenen Konzerne, VW zumal, haben keinen Rabatt verdient. Sie sind selbst schuld daran, dass dem Diesel plötzlich das Sterbeglöcklein geläutet wird.
Dies vorneweg, damit kein Missverständnis aufkommt. Diese Machenschaften sind nicht zu entschuldigen – weder mit dem weltweiten Konkurrenzkampf noch mit dem Kostendruck. Trotzdem ist es ratsam, im Disput um die Konsequenzen die zentrale Bedeutung dieser Schlüsselindustrie im Auge zu behalten. 800000 Arbeitsplätze und viele mittelständische Zulieferbetriebe hängen daran; Autos „made in Germany“sind global begehrte Exportschlager. Ein Niedergang dieser Branche, die maßgeblich zum ökonomischen Aufstieg Deutschlands beigetragen hat, würde zu eminenten wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen führen.
Das bedeutet keinen Freifahrtschein für Manipulationen, auch wenn es ausländische Mitbewerber und deren Staaten mit Abgasgrenzwerten nicht so genau nehmen sollten wie die korrekten Deutschen – in Madrid oder Mailand stehen die Messstationen angeblich weit genug entfernt, um „passende“Ergebnisse zu erzielen. Aber es ist schon seltsam, mit welchem Eifer in Deutschland der sparsame, eben noch als unverzichtbares Instrument gegen den Klimawandel gepriesene Diesel schlecht- und totgeredet wird. Es ist, als ob es vielen – darunter der Bundesumweltministerin Hendricks – gar nicht schnell genug gehen könnte mit Fahrverboten in Innenstädten und dem Ausrangieren von Dieselfahrzeugen, deren Wert bereits rapide sinkt. Die von Toyota gesponserte „Deutsche Umwelthilfe“, ein aufs Abmahnen spezialisierter kleiner Verein, gibt bei diesem Feldzug den Takt vor, während Experten von MaxPlanck-Instituten mit ihren Einwänden und Vorschlägen kaum noch Gehör finden. Der StickoxidAusstoß, der am Arbeitsplatz komischerweise um ein Vielfaches höher ausfallen darf als im Verkehr, wird plötzlich zum alles andere, auch den Klimawandel überragenden Umweltproblem. Dass die Grünen diese Steilvorlage im Wahlkampf nutzen und ein Verbot der Produktion von Verbrennungsmotoren bereits für 2030 fordern, ist verständlich. Dass die Kanzlerin auf diesen Zug vorübergehend aufsprang und von einem „grundsätzlich richtigen Ansatz“sprach, lässt die Gefahr einer weiteren überhasteten Entscheidung im Stil der „Energiewende“erahnen.
Der Abgas-Skandal spielt den Propheten eines elektrogetriebenen, die individuelle Mobilität drastisch einschränkenden Verkehrs in die Karten. Und der „abgasfreie Verkehr“ist ja eine schöne Vision – trotz der vielen ungelösten Probleme, trotz des hierfür nötigen gewaltigen Energie- und Strombedarfs. Verantwortliche Politik jedoch wägt sorgfältig ab, ehe sie den auf viele Jahre hinaus noch notwendigen Verbrennungsmotor zum Abschuss freigibt. Sie vertraut auf die Kreativität der Ingenieure, stellt auch mal Grenzwerte im Lichte gelungener Emissionsreduzierung (Feinstaub!) in Frage und setzt auf einen Mix von Antriebsarten, solange keine davon den ökologischen und wirtschaftlichen Königsweg garantiert. Sie spielt nicht mit der Zukunft. Und sie hat, so wichtig die Minimierung von Zivilisationsrisiken (Schadstoffe gehören dazu) ist, auch die Sicherung des Automobilstandorts Deutschland im Blick.
Die schöne Vision vom abgasfreien Verkehr