Mittelschwaebische Nachrichten
Als das Bier noch in Steinkrügen geholt wurde
Die Erinnerungen von Martha Reif, wie es einst im Dorf war und was man sich so alles erzählte – Teil 2
Ziemetshausen Zahlreiche Besucher fanden sich schon einmal im Webereimuseum ein, um von der hier gebürtigen Martha Reif zu erfahren, wie es sich in den 50er- und 60erJahren des vorigen Jahrhunderts in Ziemetshausen und den heute zur Marktgemeinde gehörenden Ortschaften so lebte. In den Kindheitsund Jugenderinnerungen der Tochter eines früheren Viehhändlers spielt Ziemetshausen eine große Rolle. Ihre Erinnerungen:
Von Muttershofen her erreicht(e) man nach dem Passieren der Antoniuskapelle, die damals noch zwischen saftig grünen Wiesen stand, den Süden von Ziemetshausen. Seit jeher wird dieser Ortsteil von Ziemetshausen, diesseits der Zusam, Hettenbach genannt. Die Bewohner hier waren früher weitgehend einfache arme Leute, während die Bürger im Oberdorf („in der Stadt“) eher gut situiert waren. Im Volksmund bezeichnet man die Bewohner über der Zusam immer noch gerne als Hettenbacher. Ein Baugeschäft und eine Seilerei (Geburtshaus des späteren Landrats, Bezirkstagspräsidenten und Ehrenbürgers Dr. Georg Simnacher) säumten den Ortseingang. Beim Seiler gab es übrigens auch Kinderspielzeug zu kaufen und man hatte die erste Dosenschließmaschine am Ort, die von Metzgern und Hausschlachtern stark beansprucht wurde.
Zur Zusam hinab ging es in die Krautgärten, die viel von Flüchtlingen und Heimatvertriebenen unterhalten und geschätzt wurden. Von der Lindenallee von Maria Vesperbild her führte der Weg in den Ort an einer Gärtnerei und einer Metzgerei vorbei zum „Wirtle“. Die Schenke und die dazugehörende Landwirtschaft wurden von zwei Frauen betrieben, das Bier holte man damals in Steinkrügen nach Hause.
Martha Reif weiß noch genau, dass man „die Krüge nur mit drei Schoppen füllen ließ, damit auf dem Heimweg kein Tropfen des edlen Gebräus verschüttet werden konnte“. Das Wirtshaus war nach dem Krieg auch Auszahlungsort des Försters für die Pflanz- und Kulturfrauen, die zum Unterhalt ihrer kriegsgebeutelten Familien mit dem Anpflanzen von Fichtenpflänzchen ein paar Pfennige verdienten. Seit jeher ist der „Adler“auch Stammlokal der „Taubeler“, der Brieftaubenzüchter.
Der „Lehle Gustl“aus der benachbarten Landwirtschaft fuhr mit seinen Pferden den Leichenwagen und brachte morgens und abends die Milch der Hettenbacher Bauern zur damaligen Käsküche in der „Stadt“(jetzt Spitalweg). Im Geschäftshaus Biberacher konnte man Lebensmittel, aber auch Textilien einkaufen, im Fichtenweg lebten in einer kleinen Landwirtschaft die „Stricker-Mädla“, die besonders mit ihrem Kuhfuhrwerk auffielen. In der Schreinerei Böck wurden noch viele Jahre Särge hergestellt, im Laden konnte man auch Porzellanwaren erstehen.
Auf der anderen Seite der jetzigen Oettingen-Wallerstein-Straße stand das zum Anwesen vom „Heas“gehörende und schier verfallene Häuschen vom „Bombola Franz“, einem Hettenbacher Urgestein der Nachkriegszeit. Der Franz hauste hier, man sagte wie ein Wilderer mit Mäusen und Ratten zusammen. Von den Jugendlichen wurde er stets getretzt und sie haben oft ihren Schabernack mit ihm getrieben. Martha Reif erinnert sich daran: „An den Fenstern hingen dicke Spinnenweben, die Mädla vom Heas haben immer wieder versucht, bei ihm zu putzen, man hat ihm sogar Vorhänge an die Fenster gehängt. Wenn er dann vom „Leich‘saga“zurückkam, hat er die anderntags wieder entfernt. Er wollte keinen Luxus, er war ein ’Eigener’, wie man im Volksmund sagt.“
Mit seinem verrosteten Fahrrad ist er, immer wenn jemand gestorben ist, von Haus zu Haus gefahren und hat den Leuten mitgeteilt („Leich‘ saga“), wer gestorben und wann die Beerdigung ist. Oftmals kam er vor der Beerdigung nicht mehr nach Hause, er konnte so mitleidvoll weinen, dass ihn die Leute zum Essen und Trinken eingeladen haben. Dazu erhielt er hie und da auch Geld, das er dann in den Wirtschaften umsetzte und dort auch übernachtete. Es war ein einträgliches Geschäft für ihn, sein einziges Einkommen.
Der Franz war ein sogenannter „oischichtiger Bresthafter“, dessen Heulkonzerte so herzergreifend waren, dass sich die älteren Bürger Ziemetshausens seiner heute noch erinnern, so auch die jetzt im nahen Ettelried lebende Martha Reif. Seine letzten Lebensjahre verbrachte der „Bombola Franz“im Rollstuhl, bevor er in einem Altersheim starb.
Familie Schmid („d´r Heas“) betrieb nicht nur in den Nachkriegsjahren die Holzabfuhr aus dem Wald, zunächst mit Pferdefuhrwerk, später mit dem Lkw. Der Senior war viele Jahre Bürgermeister in Ziemetshausen, über den Hof führte der Weg zum „Sportplatz“, einer Wiese, wo die Schule Leibesübungen für die Kinder betrieb und am Sonntag Fußballspiele stattfanden. Auch sind auf dieser Wiese öfters Feste in großen Festzelten abgehalten worden.
In unmittelbarer Nähe vom „Heas“war der Bullenstall, ein landwirtschaftliches Anwesen, in dem der Gemeindebulle gehalten wurde. Später wurde das Gebäude zur Turnhalle umfunktioniert, es waren auch Feste und Faschingsbälle dort veranstaltet und Kinofilme gezeigt worden. Im Wohntrakt war der Kindergarten untergebracht, wo Schwester Edigna vom alten Apital und die Flüchtlingsfrau Berta Kusche Kinder und Turnerinnen betreuten.