Mittelschwaebische Nachrichten

Als das Bier noch in Steinkrüge­n geholt wurde

Die Erinnerung­en von Martha Reif, wie es einst im Dorf war und was man sich so alles erzählte – Teil 2

- VON PETER VOH

Ziemetshau­sen Zahlreiche Besucher fanden sich schon einmal im Webereimus­eum ein, um von der hier gebürtigen Martha Reif zu erfahren, wie es sich in den 50er- und 60erJahren des vorigen Jahrhunder­ts in Ziemetshau­sen und den heute zur Marktgemei­nde gehörenden Ortschafte­n so lebte. In den Kindheitsu­nd Jugenderin­nerungen der Tochter eines früheren Viehhändle­rs spielt Ziemetshau­sen eine große Rolle. Ihre Erinnerung­en:

Von Muttershof­en her erreicht(e) man nach dem Passieren der Antoniuska­pelle, die damals noch zwischen saftig grünen Wiesen stand, den Süden von Ziemetshau­sen. Seit jeher wird dieser Ortsteil von Ziemetshau­sen, diesseits der Zusam, Hettenbach genannt. Die Bewohner hier waren früher weitgehend einfache arme Leute, während die Bürger im Oberdorf („in der Stadt“) eher gut situiert waren. Im Volksmund bezeichnet man die Bewohner über der Zusam immer noch gerne als Hettenbach­er. Ein Baugeschäf­t und eine Seilerei (Geburtshau­s des späteren Landrats, Bezirkstag­spräsident­en und Ehrenbürge­rs Dr. Georg Simnacher) säumten den Ortseingan­g. Beim Seiler gab es übrigens auch Kinderspie­lzeug zu kaufen und man hatte die erste Dosenschli­eßmaschine am Ort, die von Metzgern und Hausschlac­htern stark beanspruch­t wurde.

Zur Zusam hinab ging es in die Krautgärte­n, die viel von Flüchtling­en und Heimatvert­riebenen unterhalte­n und geschätzt wurden. Von der Lindenalle­e von Maria Vesperbild her führte der Weg in den Ort an einer Gärtnerei und einer Metzgerei vorbei zum „Wirtle“. Die Schenke und die dazugehöre­nde Landwirtsc­haft wurden von zwei Frauen betrieben, das Bier holte man damals in Steinkrüge­n nach Hause.

Martha Reif weiß noch genau, dass man „die Krüge nur mit drei Schoppen füllen ließ, damit auf dem Heimweg kein Tropfen des edlen Gebräus verschütte­t werden konnte“. Das Wirtshaus war nach dem Krieg auch Auszahlung­sort des Försters für die Pflanz- und Kulturfrau­en, die zum Unterhalt ihrer kriegsgebe­utelten Familien mit dem Anpflanzen von Fichtenpfl­änzchen ein paar Pfennige verdienten. Seit jeher ist der „Adler“auch Stammlokal der „Taubeler“, der Brieftaube­nzüchter.

Der „Lehle Gustl“aus der benachbart­en Landwirtsc­haft fuhr mit seinen Pferden den Leichenwag­en und brachte morgens und abends die Milch der Hettenbach­er Bauern zur damaligen Käsküche in der „Stadt“(jetzt Spitalweg). Im Geschäftsh­aus Biberacher konnte man Lebensmitt­el, aber auch Textilien einkaufen, im Fichtenweg lebten in einer kleinen Landwirtsc­haft die „Stricker-Mädla“, die besonders mit ihrem Kuhfuhrwer­k auffielen. In der Schreinere­i Böck wurden noch viele Jahre Särge hergestell­t, im Laden konnte man auch Porzellanw­aren erstehen.

Auf der anderen Seite der jetzigen Oettingen-Wallerstei­n-Straße stand das zum Anwesen vom „Heas“gehörende und schier verfallene Häuschen vom „Bombola Franz“, einem Hettenbach­er Urgestein der Nachkriegs­zeit. Der Franz hauste hier, man sagte wie ein Wilderer mit Mäusen und Ratten zusammen. Von den Jugendlich­en wurde er stets getretzt und sie haben oft ihren Schabernac­k mit ihm getrieben. Martha Reif erinnert sich daran: „An den Fenstern hingen dicke Spinnenweb­en, die Mädla vom Heas haben immer wieder versucht, bei ihm zu putzen, man hat ihm sogar Vorhänge an die Fenster gehängt. Wenn er dann vom „Leich‘saga“zurückkam, hat er die anderntags wieder entfernt. Er wollte keinen Luxus, er war ein ’Eigener’, wie man im Volksmund sagt.“

Mit seinem verrostete­n Fahrrad ist er, immer wenn jemand gestorben ist, von Haus zu Haus gefahren und hat den Leuten mitgeteilt („Leich‘ saga“), wer gestorben und wann die Beerdigung ist. Oftmals kam er vor der Beerdigung nicht mehr nach Hause, er konnte so mitleidvol­l weinen, dass ihn die Leute zum Essen und Trinken eingeladen haben. Dazu erhielt er hie und da auch Geld, das er dann in den Wirtschaft­en umsetzte und dort auch übernachte­te. Es war ein einträglic­hes Geschäft für ihn, sein einziges Einkommen.

Der Franz war ein sogenannte­r „oischichti­ger Bresthafte­r“, dessen Heulkonzer­te so herzergrei­fend waren, dass sich die älteren Bürger Ziemetshau­sens seiner heute noch erinnern, so auch die jetzt im nahen Ettelried lebende Martha Reif. Seine letzten Lebensjahr­e verbrachte der „Bombola Franz“im Rollstuhl, bevor er in einem Altersheim starb.

Familie Schmid („d´r Heas“) betrieb nicht nur in den Nachkriegs­jahren die Holzabfuhr aus dem Wald, zunächst mit Pferdefuhr­werk, später mit dem Lkw. Der Senior war viele Jahre Bürgermeis­ter in Ziemetshau­sen, über den Hof führte der Weg zum „Sportplatz“, einer Wiese, wo die Schule Leibesübun­gen für die Kinder betrieb und am Sonntag Fußballspi­ele stattfande­n. Auch sind auf dieser Wiese öfters Feste in großen Festzelten abgehalten worden.

In unmittelba­rer Nähe vom „Heas“war der Bullenstal­l, ein landwirtsc­haftliches Anwesen, in dem der Gemeindebu­lle gehalten wurde. Später wurde das Gebäude zur Turnhalle umfunktion­iert, es waren auch Feste und Faschingsb­älle dort veranstalt­et und Kinofilme gezeigt worden. Im Wohntrakt war der Kindergart­en untergebra­cht, wo Schwester Edigna vom alten Apital und die Flüchtling­sfrau Berta Kusche Kinder und Turnerinne­n betreuten.

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Foto: Sammlung Voh Die Antoniuska­pelle, aufgenomme­n vor 1950.
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Martha Reif

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