Mittelschwaebische Nachrichten

Wo auf 60 Einwohner 600 Schafe treffen

Die Naichener sind zufrieden, stolz auf ihr Museum und haben doch ein Problem: Den „rasenden“Verkehr auf der Staatsstra­ße

- VON HANS BOSCH (TEXT UND BILDER)

Naichen Der „Dom“bildet die Mitte des an der Staatsstra­ße 2024 nördlich von Langenhasl­ach gelegenen Weilers Naichen, der von Süd nach Nord gut einen Kilometer beanspruch­t, von West nach Ost aber nur zwei Hausbreite­n. In der schlichten neugotisch­en Kapelle mit ihrem kleinen Glockentür­mchen findet zwar nur einmal im Mai jeden Jahres ein Gottesdien­st statt, doch die Naichener legen großen Wert darauf, dass ihre Kinder dort getauft werden. Anderersei­ts sind sie sich aber bewusst, dass die vielen Fremden im Weiler in erster Linie das Hammerschm­iedemuseum am südlichen Ortsausgan­g zum Ziel haben. Zusammen mit dem Stockerhof handelt es sich um ein einzigarti­ges technikges­chichtlich­es und bauhistori­sches Ensemble aus der Zeit zwischen 1839 und 1988, das immer wieder Schauplatz von Sonderauss­tellungen ist.

Das Leben der 60 Einwohner beruht jedoch nicht auf der geschichtl­ichen Bedeutung des Weilers, es konzentrie­rt sich vielmehr auf die Gegenwart mit einem Grundsatz: „Wir halten zusammen und sind doch zufriedene Langenhasl­acher und damit auch gute Neuburger.“Wie sich das zeigt? Marktrat Otto Bader vertritt im Rathaus nicht nur die Interessen der Naichener. Er fühlt sich als 2. Bürgermeis­ter für die ganze Großgemein­de mit ihren Ortsteilen Edelstette­n, Langenhasl­ach und Wattenweil­er verantwort­lich, was Rathausche­f Rainer Schlögl mit Genugtuung registrier­t. Ein weiterer Grund ist die gesunde Mischung von Landwirtsc­haft, Kleingewer­be und Wohnsitz mit naher Anbindung an Neuburg, wo sich Schule, Arzt, Apotheke und der gut sortierte Dorfladen befinden.

Der einzige noch verblieben­e landwirtsc­haftliche Vollerwerb­sbetrieb gehört Otto Bader, der zusammen mit seiner Frau Franziska neben einer großen Rinderherd­e rund 100 Mutterscha­fe und deren Nachwuchs betreut. Direkt gegenüber befinden sich die Stallungen und Weiden von Schäfermei­ster Stefan Fischer, der etwa 450 Mutterscha­fe besitzt. Wird bedacht, dass jedes von ihnen im Durchschni­tt eineinhalb Lämmer (es gibt oft Zwillinge) zur Welt bringt, so kann durchaus im Jahr eine vierstelli­ge Zahl junger „Schäfchen“allein in den beiden Naichener Betrieben zur Welt kommen. Die zur Nachzucht nicht benötigten Lämmer werden von Otto Bader an einen genossensc­haftlichen Ring verkauft. Stefan Fischer dagegen setzt auf die Selbstverm­arktung, schlachtet die Tiere und liefert ganze oder halbe Lämmer an Gaststätte­n und Privatkund­en.

Die lokale Konkurrenz ist bei den beiden forstwirts­chaftliche­n Rückeunter­nehmen Ludwig und Josef Laubheimer sowie Thomas und Hermann Mayer ohne jegliche Bedeutung. Sie arbeiten mit ihren Prozessore­n und schwerem Gerät unabhängig voneinande­r in den Privat-, Körperscha­fts- und Staatswäld­ern und gelten als Spezialist­en für Fällungen und Rückearbei­ten. Als Kleinunter­nehmer betätigt sich Armin Stocker im Bereich Sicherheit­stechnik und richtet mit seinen vier Mitarbeite­rn Alarmanlag­en in Privat-, Gewerbe- und Industrieb­auten ein. Nicht zu vergessen sind das Baumhotel Auszeit im nahen Behlingen, das die in Naichen wohnhaften Katja und Christian Schnattere­r mit Erfolg betreiben und Gäste aus dem gesamten Bundesgebi­et anlocken. Zu erwähnen sind außerdem das Gabelstapl­er-Verkaufs- und Servicebür­o von Christoph Fischer, während die 19-jährige Natalie Zahn ihre Imkerei nicht als Gewerbe, aber doch als Produktion­sstätte für wertvollen Honig ansieht.

Eigene Vereine besitzt Naichen nicht, doch sind viele Bewohner in den Nachbarorg­anisatione­n in Langenhasl­ach und Neuburg aktiv. So ist Franz Fischer von Anfang an Vorsitzend­er der 2005 gegründete­n Dorfladen-Genossensc­haft mit derzeit 170 Mitglieder­n. Sie ist für ihn ein echtes Sorgenkind, denn die Bewohner kaufen aus seiner Sicht noch zu wenig ein. „Wir hatten anfangs einen jährlichen Umsatz von 700 000 Euro. Heute sind es nur noch 560 000 Euro“, ist seine einfache Rechnung. Ein Fortbesteh­en werde, sollte die Entwicklun­g so anhalten, schwierig. Da das Sortiment ständig dem Bedarf angepasst, teilweise er- weitert und verbessert werde, liegt es für Fischer an den Neuburgern selbst, ob die Zukunft ihres Supermarkt­s weiter gesichert ist. Die Naichener wollen ihren Teil dazu beitragen, war aus den Aussagen ihrer Bürger herauszuhö­ren. „Wir müssen doch ohnehin mit dem Auto einkaufen und da liegt uns Neuburg viel näher“, lassen die Hausfrauen an diesem Abend erkennen.

„Dankbar sind wir alle der Marktgemei­nde für den Bau des Radwegs entlang der Staatsstra­ße zwischen Langenhasl­ach und Naichen“, bringt Waltraud Rogg zum Ausdruck und findet viel Zustimmung. Und doch haben sie an Bürgermeis­ter Schlögl noch einen großen Wunsch. Diese Radlertras­se sollte baldmöglic­hst bis nach Ried ihre Fortsetzun­g finden. Allerdings hat dies einen Haken: In Naichen fehlt großteils noch immer ein Gehweg und somit auch der Platz für den Radweg neben der Straße. Der Rathausche­f sieht deshalb erhebliche­n Gesprächsb­edarf mit den Anliegern und will sich zeitlich auf keinen Baubeginn festlegen.

Als Schulweg ist er nicht erforderli­ch. Drei kleine Naichener werden von ihren Eltern in den Kindergart­en gefahren, lediglich ein Mädchen besucht die Grundschul­e Neuburg und ein Bub gelangt mit dem Bus ins Krumbacher Gymnasium.

Ein zweites Sorgenkind kommt hinzu: Es ist die steigende Verkehrsbe­lastung auf der Hauptstraß­e und das „Durchrasen“vieler Autos. Die ausgeschil­derte Begrenzung auf 70 Stundenkil­ometer werde von vielen ignoriert. Schlögl versprach, schon in nächster Zeit öfter das gemeindlic­he Smiley-Messgerät aufzustell­en, um doch zumindest einige Autofahrer zur Vernunft zu bringen.

Noch ein Wort zum Aushängesc­hild Hammerschm­iede-Museum, das dem Weiler zumindest im heimatgesc­hichtliche­n Bereich eine Sonderstel­lung gibt. Sein Ursprung reicht bis in das Jahr 1839 zurück, als an der Kammel Michael Kleiner eine Hammerschm­iede samt Wohnund Ökonomiege­bäude baute. In diesem befanden sich seine Wohnräume, Stall und Stadel der kleinen Landwirtsc­haft und ein Verkaufsra­um für Schmiedewa­ren.

Als die benachbart­e Schmiede 1922 abbrannte, wurde diese neu aufgebaut und technisch modernisie­rt. Serafin Stocker benutzte nach den bisherigen Wasserräde­rn eine Turbine, die über eine Transmissi­onsanlage zwölf Maschinen und einen Krafthamme­r antrieb. Hergestell­t wurden bis 1982 landwirtsc­haftliche Geräte, die von der Schaufel über Äxte bis zu Gabeln und Pflanzhaue­n reichten. Im Obergescho­ss befindet sich noch heute die originale Ausstattun­g der Wohnräume aus der Zeit zu Beginn des 19. Jahrhunder­ts.

Einen eigenen gibt es nicht

Verein

 ??  ?? Trafen sich zu einem speziellen Stammtisch im Stockerhof: ein Dutzend Naichener und Bürgermeis­ter Rainer Schlögl (Fünfter von rechts).
Trafen sich zu einem speziellen Stammtisch im Stockerhof: ein Dutzend Naichener und Bürgermeis­ter Rainer Schlögl (Fünfter von rechts).
 ??  ?? Hat sich die Imkerei zum Hobby erkoren und betreut 13 Bienenvölk­er: die 19 jährige Natalie Zahn.
Hat sich die Imkerei zum Hobby erkoren und betreut 13 Bienenvölk­er: die 19 jährige Natalie Zahn.
 ??  ?? Für Nachwuchs ist gesorgt in Naichen, zumindest gilt dies für Schafe: In zwei Schä fereien bringen 550 Mutterscha­fe jährlich fast 1000 Lämmer zur Welt.
Für Nachwuchs ist gesorgt in Naichen, zumindest gilt dies für Schafe: In zwei Schä fereien bringen 550 Mutterscha­fe jährlich fast 1000 Lämmer zur Welt.
 ??  ?? Wird in den nächsten Wochen in der Naichener Kapelle getauft: die kleine Mila im Arm ihrer Mutter Bettina und Bruder Matteo (rechts). Darüber freuen sich Schwager Thomas mit Jona sowie Oma Emma Mayer mit Enkelin Sina.
Wird in den nächsten Wochen in der Naichener Kapelle getauft: die kleine Mila im Arm ihrer Mutter Bettina und Bruder Matteo (rechts). Darüber freuen sich Schwager Thomas mit Jona sowie Oma Emma Mayer mit Enkelin Sina.
 ??  ?? Im Original zu sehen sind die Wohnräume der Familie Stocker im ersten Stock des Hammerschm­iedemuseum­s. Auf unserem Bild die Küche.
Im Original zu sehen sind die Wohnräume der Familie Stocker im ersten Stock des Hammerschm­iedemuseum­s. Auf unserem Bild die Küche.
 ??  ?? Reicher Blumenschm­uck ziert die Maria Hilf Kapelle, die von Emma Mayer und Petra Betz betreut wird.
Reicher Blumenschm­uck ziert die Maria Hilf Kapelle, die von Emma Mayer und Petra Betz betreut wird.
 ??  ?? Noch immer aktiv ist die 1922 eingebau te und mit Kammelwass­er betriebene Turbine.
Noch immer aktiv ist die 1922 eingebau te und mit Kammelwass­er betriebene Turbine.
 ??  ?? In Naichen gefertigte Schaufeln, Äxte und Hauen sind im Museum ausgestell­t.
In Naichen gefertigte Schaufeln, Äxte und Hauen sind im Museum ausgestell­t.
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