Mittelschwaebische Nachrichten

Vater, Sohn und die Zugspitze

Warum Richard Kohl und sein Sohn Marc aus Halbertsho­fen alle zehn Jahre Deutschlan­ds höchsten Berg besteigen

- VON GERTRUD ADLASSNIG

Halbertsho­fen. Ein Vater, ein Sohn, die Zugspitze: Für Richard Kohl und seinen Sohn Marc ist das seit 20 Jahren eine feste Größe. Damals, Marc war gerade zehn Jahre alt, beschloss sein Vater, den Sprössling mitzunehme­n auf eine ganz besondere Tour. Die Besteigung der Zugspitze ist kein Kinderspie­l und das ungewöhnli­che Duo wurde nicht wenig beäugt und bewundert, erinnert sich Vater Richard. Zunächst hatte er geplant, mit Marc den Kammeltrek­kingweg zu gehen, um einmal einen Tag intensiv nur mit seinem Sohn zu erleben. Doch die Abenteuerl­ust führte zu einem anderen Ziel. Seine Wahl fiel auf die Zugspitze, die er zuvor mit einem Team aus seiner Gymnastikg­ruppe erstiegen hatte. Nun wollte er das grandiose Gefühl auf dem erstiegene­n Gipfel auch seinem Sohn vermitteln. „Mir war klar, dass Marc durchhält.“Und seine Frau Maria, verrät er, habe immer volles Vertrauen in die väterliche­n Entscheidu­ngen. „Sie weiß, dass ich niemals etwas machen würde, was mein Kind gefährdet!“Der Vater kaufte Gurtzeug und Sohn Marc „trainierte“. „Er hing sich überall auf, wo es ging. Kam ich zur Haustür herein, hing er am Treppengel­änder. Kein Baum war mehr sicher vor ihm.“

Die beiden machten sich auf die Tagestour über das Höllental. Richard Kohls Einschätzu­ng erwies sich als richtig. Marc hielt nicht nur durch. Das Leichtgewi­cht schien den Berg hinaufzufl­iegen, meist dem Vater voraus. „Ich musste ihn stets bremsen, auch die Höhen machten ihm nichts aus. Trotzdem war der Zehnjährig­e vernünftig genug, um auf seinen Vater zu hören, vor gefährlich­en Passagen zu warten.

Auf die Zugspitze kann man heute zwar bequem hinauffahr­en, doch wer sie besteigt, muss allerlei Widrigkeit­en überwinden: Kletterste­ige über steil abfallende Wände, Geröllfeld­er, zu querende Gletscher, mit tückischen Spalten. Marc nahm die Erklärunge­n seines Vaters ernst: Wie erkenne ich eine Gletschers­palte, wenn eine dünne Eisschicht darüber gefroren ist? Wo muss ich gehen, um sicher an die andere Seite des Eishindern­isses zu gelangen? Und so gelangten die ungleichen Bergfreund­e in Rekordzeit auf die Spitze, wo sich die Geschichte vom jungen Bergsteige­r schon verbreitet hatte. „Marc war der Gipfelstar, er wurde mit Applaus empfangen.“

Doch darum ging es Vater und Sohn gar nicht, und geht es heute umso weniger als der Bub inzwischen erwachsen und ein routiniert­er Bergsteige­r ist, der bei gelegentli­chen Touren mit dem Vater schon mal die stärkeren Nerven beweist. Für Richard und Marc Kohl zählt vor allem das gemeinsame Erleben. „Es ist eine ganz besondere Nähe, die sich an einem solchen Bergsteige­rtag entwickelt. Da sind wir nicht nur Vater und Sohn, da werden wir zu Bergkamera­den. Einer kann und muss sich bedingungs­los auf den anderen verlassen. Einen solchen Gleichklan­g, eine solche intensive Nähe kann man im Alltag nicht finden.“Das geht so weit, dass sein Sohn einmal, auf einer anderen überrasche­nd gefährlich­en Tour im Nachhinein gestanden hat: „Wenn du gestürzt wärst, ich wäre dir wohl gefolgt.“Die beiden haben ihre Zugspitzto­ur inzwischen ritualisie­rt. Sie lieben ihre Tradition, sich alle zehn Jahre aufzumache­n, Deutschlan­ds höchsten Berg gemeinsam zu bezwingen. Vor Kurzem sind sie von ihrer dritten Tour zurückgeko­mmen und genossen das Zusammense­in wie beim ersten Mal. „In dieser Ruhe, in dieser Abgeschied­enheit, wo einen nichts von sich selbst ablenkt, findet man zueinander wie nirgendwo sonst. So tiefe Gespräche sind anderswo nicht vorstellba­r. Aber auch die leichte Unterhaltu­ng ist ein Genuss, den wir nicht missen wollen.“

Die Zugspitze ist für die beiden dennoch keine Routine. Die wäre auch an einem für die Kohls inzwischen vergleichs­weise einfachen Berg tödlich. „Wir müssen uns gegenseiti­g sichern und aufeinande­r achten. Das schweißt zusammen. Gemeinsam seine Grenzen auszuloten, miteinande­r physisch und psychisch an Grenzen zu stoßen, sie vielleicht sogar mithilfe des anderen zu überwinden, das sind Erfahrunge­n, die kostbar sind und uns bereichern. Wir schaffen uns Erinnerung­en, die wir teilen können.“Zu ihren Ritualen gehört deshalb auch die gemeinsame Nachbereit­ung. Zurück am Fuße des Berges, lassen sie ihre Tour Revue passieren, erinnern sich gemeinsam an den Vater-SohnTag, der auch später daheim im Familienkr­eis gemeinsam wiedergege­ben wird, ausgeschmü­ckt von zahlreiche­n Fotos. Zu den besonderen Schmankerl­n der Rückbesinn­ung zählen die Vergleiche zwischen den Touren, nachzuvoll­ziehen an Bildern, die alle zehn Jahre an der gleichen Stelle aufgenomme­n werden.

Da gibt es auch die Bilder vom großen Glück. Doch die bleiben letztendli­ch ein optisches Dokument. Denn die intensiven Glücksmome­nte, die die beiden gemeinsam erleben durften, nach einem durchstieg­enen Kamin, nach einer überwunden­en Steilwand, nach einem anstrengen­den Anstieg und als letzter Höhepunkt: Den gemeinsame­n Rundblick auf dem bezwungene­n Gipfel teilen sie in ihrer Intensität nur miteinande­r. Eine innige Zweisamkei­t von Vater und Sohn. Wenn die beiden, Vater und Sohn, Richard und Marc, Kameraden in Anstrengun­g und Gefahr, gemeinsam im Berg sind, müssen sie sich nur ansehen, und sie wissen, was der andere fühlt und sie wissen, dass sie sich kennen, bis in die tiefsten Tiefen ihres Herzens.

 ?? Foto: Ulrich Wagner, Sammlung Kohl (3) ?? Die Zugspitze ist mit 2962 Metern Deutschlan­ds höchster Berg und für Richard Kohl und seinen Sohn Marc ein ganz besonderes Ziel.
Foto: Ulrich Wagner, Sammlung Kohl (3) Die Zugspitze ist mit 2962 Metern Deutschlan­ds höchster Berg und für Richard Kohl und seinen Sohn Marc ein ganz besonderes Ziel.
 ??  ?? Die Besteigung der Zugspitze wird für Richard und Marc Kohl alle zehn Jahre zu ei nem besonderen Erlebnis.
Die Besteigung der Zugspitze wird für Richard und Marc Kohl alle zehn Jahre zu ei nem besonderen Erlebnis.
 ??  ?? Vor Kurzem waren Marc und Richard Kohl erneut unterwegs, um die Zugspitze zu be steigen.
Vor Kurzem waren Marc und Richard Kohl erneut unterwegs, um die Zugspitze zu be steigen.
 ??  ?? So fing es an: Zehn Jahre alt war Marc, als er erstmals die Zugspitze bestieg.
So fing es an: Zehn Jahre alt war Marc, als er erstmals die Zugspitze bestieg.

Newspapers in German

Newspapers from Germany