Mittelschwaebische Nachrichten
Selbst ist der Mann?
Die Deutschen gelten als Volk der Bastler. Sie pinseln, bohren, hämmern. Doch was macht die Faszination des Heimwerkens aus? Wie wurde es hip? Das weiß ein Historiker
Herr Voges, Sie studierten Geschichte und Deutsch an der Leibniz Universität Hannover. In Ihrer Doktorarbeit, die kürzlich als Buch erschien, haben Sie sich mit dem Heimwerken befasst. Wann hatten Sie zuletzt eine Bohrmaschine in der Hand? Jonathan Voges: Ach, das ist noch gar nicht so lange her. Ich bin vor sechs Wochen Vater geworden und habe meiner Tochter so ein Gestell gebaut, an dem Spielzeug hängt.
Dann haben Sie die Kulturgeschichte des sogenannten Do-it-yourself also aus der Perspektive eines passionierten Heimwerkers geschrieben? Voges: Nein, im Gegenteil. Ich heimwerke nur, wenn es sein muss. Das unterscheidet mich von den meisten Männern in meiner Umgebung. Ich habe mir das Thema für meine Dissertation ausgesucht, weil ich besser verstehen wollte, warum so viele Menschen ihre Freizeit damit verbringen, in Baumärkten einkaufen zu gehen. Mir ist diese Begeisterung fremd.
Warum ist das Thema für die Kulturgeschichte überhaupt relevant? Voges: Man kann sehr viel draus ablesen. Es geht zum Beispiel um das Verhältnis von Arbeit und Freizeit, um das Verhältnis der Geschlechter oder um die Frage, wie Menschen wohnen. Und es geht auch darum, wie sich der Einzelhandel infolge des Do-it-yourself-Booms verändert hat. Denken Sie an die vielen Baumärkte, die überall wie Pilze aus dem Boden gesprossen sind. dass Menschen sich nur entspannen können, wenn sie auch noch in ihrer Freizeit pinseln, bohren, streichen und hämmern? Voges: Auf den ersten Blick wirkt das tatsächlich sehr deutsch. Diese Angewohnheit, Freizeit nur genießen zu können, wenn man dabei etwas tut. Das Phänomen ist aber international. Ursprünglich kommt die Do-it-yourself-Welle aus den USA.
Sie schreiben, Heimwerken sei typisch für eine Wohlstandsgesellschaft. Voges: Mit dem Heimwerken verhält es sich wie mit dem Gärtnern. Das ist auch mal aus der Not entstanden und hat sich zu einem Hobby entwickelt. Es ist das gute Gefühl, etwas selber zu machen, das die Menschen mit Zufriedenheit erfüllt.
In Deutschland setzte der Heimwerker-Boom Ende der 1950er Jahre ein mit dem Beginn des Wirtschaftswunders. Was hat sich seither verändert? Voges: Der Wiederaufbau war damals zwar abgeschlossen. Der Krieg wirkte aber nach. Die Wohnverhältnisse waren beengt. Mieter versuchten, sich so gut wie möglich von ihren Nachbarn abzuschotten. Inzwischen geht der Trend hin zur Verschönerung: Upcycling nennt man das neudeutsch.
Wer heute etwas selber machen will, sucht im Internet nach Anleitungen. Zu Zeiten des Wirtschaftswunders lieferte sie das Magazin „Selbst ist der Mann“. Lasen das auch Frauen? Voges: Ja, es gab darin eine eigene Rubrik für sie: „Selbst ist die Frau“. Ich glaube, die wurde aber erst nachträglich eingerichtet, weil sich so viele Frauen beschwert hatten.
Das Magazin bildete auch Prominente ab. Man sah etwa, wie Volksschaudeutsch, spieler Willy Millowitsch sein Haus strich. War das der Versuch, Glamour in den Hobbykeller zu bringen? Voges: Nein, die Prominenten sollten das Heimwerken aufwerten. Sie sollten zeigen, dass es nicht nur Leute tun, die es nötig haben, sondern auch solche, die es gerne machen.
Die Männer aus der Werkzeug-Werbung waren Naturburschen in karierten Hemden. Sie sind es heute noch … Voges: Die Werbung ist tatsächlich in den 1970er Jahren stehen geblieben. In den 50er und 60er Jahren sah man dagegen noch Männer, die in weißem Hemd und mit Krawatte Löcher in die Wand bohrten. In einem Outfit also, das dafür denkbar ungeeignet war. Man wollte zeigen, dass sich auch das Bürgertum nicht zu fein fürs Heimwerken ist.
Ist die Arbeit im Hobbykeller für viele Männer nicht auch ein Weg, um vor ihrer Frau zu flüchten? Voges: Ich glaube, sie flüchten weniger vor ihrer Frau als vor der Hausarbeit. Ein Regal aufzubauen, macht ihnen eben mehr Spaß, als den Geschirrspüler leer zu räumen. Es ist eine Arbeit, die als männlich gilt.
Wie hoch ist eigentlich der Anteil an Frauen unter den Baumarkt-Kunden? Voges: Er liegt bei einem Drittel. Jonathan Voges ist 31. Seine Doktorarbeit erschien im Wallstein Verlag als Buch: „Selbst ist der Mann“(647 S., 54 Euro).