Mittelschwaebische Nachrichten

Wirtschaft­stitan mit weichem Herz

Wie Kommerzien­rat Johann Offermann die Offinger BWF-Group geprägt hat

- VON HANS BOSCH

Offingen Die Schwiegert­ochter von Kommerzien­rat Johann Offermann urteilte treffend: „Er hatte zweifellos die Allüren eines Titanen, war kein bequemer Zeitgenoss­e, aber er hat es auch sich selbst nicht bequem gemacht. Seine weniger erfreulich­en Eigenschaf­ten machten nur einen kleinen Teil des Mannes aus, der Großes geschaffen hat und im Grunde sogar ein weiches Herz besaß.“Diese Aussage machte Heidi Offermann, Gattin seines ältesten Sohnes August in einem Brief aus dem Jahre 1910, über den acht Jahre vorher vom königlich bayerische­n Staatsmini­sterium mit dem Titel „Kommerzien­rat“Ausgezeich­neten. Erstmals 1880 verliehen, war diese Ehrung für eine „Elite erfolgreic­her Wirtschaft­sleute“gedacht, die „ein beträchtli­ches Vermögen, großen Einfluss und öffentlich­es Ansehen hatten, aber sich auch durch eine große Spendenber­eitschaft“hervortate­n. Diese Auszeichnu­ng sollte bis ins Jahr 1929 in Bayern insgesamt 810 mal verliehen werden.

Wer war dieser Johann Offermann? Er ist als ältester Sohn eines Webermeist­ers am 17. März 1855 im westfälisc­hen Eupen geboren, besuchte die Bürgerschu­le, absolviert­e in einer Filzfabrik die Kaufmannsl­ehre und beschäftig­te sich in der Freizeit mit Fremdsprac­hen, von denen er schon als Kind sieben lesen und schreiben konnte. Zur großen Stütze seiner Mutter und der vier Geschwiste­r wurde er mit 15 Jahren nach dem Tod des Vaters. Am 9. Mai 1883 heiratet er die gleichfall­s in Eupen wohnhafte Henriette Maria Gertrud Leuer. Wenig später zieht das junge Paar nach München-Thalkirche­n, wo Johann Offermann eine Direktoren­stelle an der dortigen „Bayerische­n Wollfilzma­nufaktur“antrat. Fünf Kinder entstammte­n dieser Ehe, geboren zwischen 1884 und 1893, doch starben drei im jugendlich­en Alter. Schon immer war es der Wunsch des Filzfachma­nnes, einmal selbststän­dig zu werden. Er tat sich mit seinem jüngeren Bruder Carl zusammen, suchte Geldgeber und entschied sich schließlic­h 1886 für Wasserburg bei Günzburg als künftigen Sitz der eigenen Firma. Nach der Fusion mit einer gleicharti­gen Firma in Giengen/Brenz erwarb er 1912 Anteile an der Wollfilzfa­brik Offingen und leitete diese wenig später selbst, während sein Bruder Chef in Wasserburg blieb. 1913 wurde dann sein Sohn August Mitglied der Geschäftsl­eitung. Als wenig später der Erste Weltkrieg ausbrach, wurde die Herstellun­g von Filzproduk­ten eingestell­t. Schwerpunk­t waren anschließe­nd Heeresauft­räge vor allem für die Produktion von Feldflasch­enfilzen.

„Könner mit Weitblick und kühler Rechner“, aber auch „kluger Kopf mit der Tugend zur Einsicht“waren nur einige Bewertunge­n, die Johann Offermann schon Jahre vorher als Unternehme­r mit dem Spitznamen „Nehli“bekannt machten. Besonders nach seiner Ernennung zum Kommerzien­rat wollte er auch seine Würde nach außen dokumentie­ren. 1898 kaufte er sich für seine Familie an der heutigen Dillinger Straße in Günzburg ein „romanischn­eugotisch-romantisch­es Anwesen mit zwölf Zimmern“, das 1955 verkauft, 1976 abgebroche­n und durch das spätere Woolworth-Kaufhaus ersetzt wurde. Von dieser Offermann-Villa aus ließ er sich täglich in gestreifte­r Hose und mit hellgrauem Filzhut bekleidet in der EquipageKu­tsche oder mit dem Schlitten zur „Fabrik“in Wasserburg fahren.

Das Verhältnis zu seinen Arbeitnehm­ern und sein Spendenver­halten nach der Ernennung zum Kommerzien­rat charakteri­siert eine Beschreibu­ng aus dieser Zeit: „Offermann ist um seine Leute treu besorgt, hat auch seinen Gemeinsinn in schönster Weise bekundet, insbesonde­re durch die Spende von 1500 Mark zum Grundkapit­al der Zuchttier-Genossensc­haft Wasserburg und 10 000 Mark für ein Stipendium am Gymnasium in Günzburg.“Seine Frau Henriette hatte es mit ihm nicht immer leicht, wie es aus der Familienge­schichte hervorgeht: Ihr Mann sei ernst, cholerisch, ein Arbeitstie­r und wenig ausgeglich­en. Auf eines aber legte er wert: Beide wollten gute Eltern sein und ihre Kinder zu eigenständ­igen Menschen erziehen. Dass ihnen dies gelungen ist, beweisen die Nachfolger. Das Zweigwerk in Wasserburg erreichte bis zur Jahrhunder­twende „eine hohe Blüte“, auch wenn es später verkauft wurde. Heute befindet sich dort Evoqua Water Technologi­es, ein weltweit führendes Unternehme­n im Bereich Wasseraufb­ereitung, Desinfekti­on und Entsalzung. Einen Aufschwung besonderer Art erlebte ebenso die damalige Offinger Wollfilzfa­brik und heutige BWFGroup, die in den Sparten Umweltund Kunststoff­technologi­e, Textile Filtermedi­en sowie Nadel- und Wollfilze weltweit eine Spitzenste­llung einnimmt, was beweist, dass der Filz auch heute noch eine entscheide­nde Rolle spielt.

Das Unternehme­n mit weltweit rund 1400 Mitarbeite­rn befindet sich noch immer im Besitz der Familien Offermann, Schmid und Silbermann. Letztere besitzt Anteile, war aber in der Firma nie aktiv. Der Kommerzien­rat übergab den Betrieb seinem Sohn August, dieser wieder an den Sohn Helmut und seit 1983 ist dessen Sohn Stefan Offermann geschäftsf­ührender Gesellscha­fter. Sein Sohn Maximilian wiederum ist bereits als fünfte Generation im Unternehme­n tätig und wird in absehbarer Zeit in die Geschäftsl­eitung eintreten.

Übrigens waren auch zwei Vorfahren der Familie Schmid, der Urgroßvate­r Theodor Wilhelm Schmid (1859 bis 1925), von Stefan Offermanns Gattin Gisela und ihres Bruders Wolfgang (er war bis vor kurzem Mitglied der BWF-Geschäftsl­eitung) sowie deren Ur-Urgroßvate­r Johannes Konrad Theodor Haßler (1828 bis 1901) Träger dieser Auszeichnu­ng. Sie stammten aus Ulm und Augsburg.

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Foto: BWF Group Johann Offermann (geboren am 17. März 1855, gestorben am 6. April 1926) ist eine prägende Gestalt der heimischen Wirtschaft­sgeschicht­e.
 ?? Foto: BWF Group ?? Die Offermann Familiengr­uft auf dem Günzburger Friedhof. Die Geschichte der Firma reicht bis ins Jahr 1886 zurück.
Foto: BWF Group Die Offermann Familiengr­uft auf dem Günzburger Friedhof. Die Geschichte der Firma reicht bis ins Jahr 1886 zurück.
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Foto: Bernhard Weizenegge­r Weltweit rund 1400 Mitarbeite­r beschäftig­t die BWF Group. Unser Bild zeigt die wichtigste Produktion­sstätte in Offingen.
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