Mittelschwaebische Nachrichten
Ruhig leben im Ort der Rebellen
Hetschwang wollte nie zum Kreis Günzburg gehören. Von Widerstand, einem Pferd im Polizeidienst und einem Fest, das fehlt
Hetschwang Ist das der Ort, wo sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen? Die Frage ist nicht ganz einfach zu beantworten, denn am vergangenen Samstag haben sich weder Fuchs noch Hase gezeigt. Allerdings lag die Besuchszeit auch nicht in der Nacht. Fast niemand ist im Ort unterwegs, in dem 87 Personen leben. Ungefähr so viele Mitglieder hat auch die Schützengesellschaft „Der Bundschuh“Hetschwang, die inzwischen seit 106 Jahren besteht. „Es ist sehr schwer, Nachwuchs zu gewinnen“, sagt Erster Schützenmeister Josef Kempfle. „Unser jüngstes Mitglied ist 14 Jahre alt. Dann kommen schon ein 19-Jähriger und ein 21-Jähriger.“Seit 1951 bis heute hat es sechs Mal für einen Hetschwanger zum Jugend- oder Schützenkönig des Schützengaus Rothtal gereicht. Einheimische sind allerdings nur wenige unter den Mitgliedern, etwa fünf Prozent. Woher das rührt, weiß Kempfle nicht. Und er macht sich auch keine Gedanken darüber. „Das war schon immer so“, sagt er.
Anna Müller kann das in anderer Hinsicht nur bestätigen. Seit inzwischen 47 Jahren ist sie Wirtin des Gasthauses Zum Hirsch, das sie mit ihrem Sohn Gerhard sechs Tage in der Woche umtreibt. Vor allem Gäste von außerhalb schätzen die Qualität des Lokals am Waldrand, das über einen großen Kinderspielplatz verfügt. Die darauf gestellten Minihütten und -häuser sind Aufbauten von Faschingswagen, die danach eine andere, dauerhafte Verwendung finden. Ein auffällig-rotes Gummitier schaut neugierig aus einer der Hütten – fast, als ob es auf einen Spielkameraden wartet. An diesem Nachmittag kommt niemand. Zu schlecht ist das Wetter. Der Landregen überzieht die Holzstühle und -tische im Biergarten mit einem feuchten Glanz.
„Es wäre schon schön, wenn die eigene Bevölkerung hier noch mehr Geburtstage oder Kommunionen feiern würde“, bedauert die 70-jährige Wirtin. So richtig schmerzt sie aber etwas anderes: dass ihr Mann Johann vor eineinhalb Jahren gestorben ist. „Er hat hier den vollen Überblick gehabt. Das Leben fehlt im Haus“, sagt die Seniorchefin. Und je mehr sie darüber nachdenkt, desto belegter wird ihre Stimme.
Nicht weit von der Wirtschaft entfernt – wobei in Hetschwang alles nicht weit voneinander entfernt ist – schaufelt Christoph Gröner flüssigen Beton aus einer Schubkarre. Sein Haus ist das jüngste in dem Dörfchen. 15 lange Monate hat es bis zum Einzug gedauert, jetzt sind noch die Außenanlagen dran. „Und auch noch die Außentreppe“, sagt er und zeigt zum Eingang, dem die Stufen auf den Boden fehlen. An Hetschwang schätzt der junge Mann aus Wullenstetten (Kreis Neu-Ulm) vor allem „die Ruhe. Ich habe Stress in der Arbeit genug.“Viel länger dauert das Gespräch nicht, weil ein Mann im Blaumann, der Beton mischt, dazukommt. Als er hört, dass ein Vertreter der Zeitung etwas über Hetschwang und seine Bewohner erfahren will, gibt der Unbekannte wie auf Knopfdruck das Rumpelstilzchen und schimpft los. Offensichtlich hat er einmal unangenehme Erfahrungen gemacht und das nun auf ewig gespeichert.
Jener unfreundliche Herr, ist kurz danach zu erfahren, gehörte zu den Aktivposten im einstigen Rebellendorf Hetschwang. Die Menschen wollten 1978 partout nicht als Teil der ehemals selbstständigen Gemeinde Ettlishofen in der Einheitsgemeinde Bibertal, einem künstlichen Gebilde, aufgehen. Und es sollte noch schlimmer kommen: Sie wurden damit auch dem Landkreis Günzburg zugeschlagen und gehörten nicht – wie sie wollten – zum Kreis Neu-Ulm. „Dinge des täglichen Bedarfs kaufen wir in Pfaffenhofen oder in Weißenhorn“, sagt Michael Bischoff, der in Hetschwang lebt und als Hausmeister an der Berufsschule Neu-Ulm arbeitet. Wir fühlen uns diesen Orten nach wie vor verbunden.“
Die innere Distanz zum Kreis Günzburg ist bei den Alteingesessenen auch nach vier Jahrzehnten geblieben. Daran ändern weder das Autokennzeichen mit den „GZ“-Buchstaben etwas noch Ortsschilder, die mit dem Namen des eigenen Dorfes beginnen und mit „Kreis Günzburg“enden. Früher wurde die Kreiszugehörigkeit öfter übermalt oder das Ortsschild gleich ganz abgeschraubt. Das sei inzwischen nicht mehr so, sagt Bischoff. Die meisten hätten sich mit der Situation abgefunden.
Charakterstudien können auch auf dem Reiterhof Nünke betrieben werden, der sich auf die Fohlenaufzucht im Bereich Friesenpferde spezialisiert hat. 28 Tiere sind hier untergebracht, darunter zehn eigene. Erst wenn man die Anlage betritt, erschließt sich ihre Größe. Drinnen ist der Kleinste, ein Shetty, der Boss im Stall. „Das glaubt ,Georgi’ zumindest“, meint Christian Seitz und grinst. Mit seiner Lebensgefährtin Marianne Nünke betreibt er den Reiterhof. „Georgi“führte noch vor einigen Jahren Kunststücke im Zirkus vor. „Rascal“dagegen war im Polizeieinsatz und verbringt ebenfalls den Herbst seines Pferdelebens in Hetschwang. Die charakterlichen Eigenschaften des 18 Jahre alten Hannoveraners werden geschätzt. Er strahlt auf der Koppel Ruhe und Ausgeglichenheit aus – und macht zugleich seinen Führungsanspruch deutlich, erzählt Seitz.
In dem kleinen Ort gibt es unter anderem ein Fremdenzimmer, eine Bushaltestelle, und es gibt die Sebastianskapelle. 40 Gläubige finden darin Platz. Ganz in der Ecke sitzt die Organistin. Zwischen ihr und der Wand befindet sich der Schaltschrank – der Garant für Licht, das elektrische Läutwerk und die Sitzheizung. Doch leider, bedauert Bischoff, wird die im Sommer 1977 eingeweihte Kapelle nurmehr selten für Taufen und Sterberosenkränze genutzt. Auch das Kapellenfest, das der Kapellenverein organisiert hatte, ist nur noch Erinnerung. „Hier ist die Dorfgemeinschaft zusammengekommen“, sagt der 60-jährige Bischoff. 1978 war das erste, im Jahr 2006 das letzte Fest.
Er selbst leitet gewissermaßen den dritten Verein im Ort, ist Ortsobmann des Bauernverbandes. Die Zahl der Mitglieder ist mit vier Nebenerwerbslandwirten überschaubar. Früher gab es sieben Bauern, die ausschließlich von ihrer Landwirtschaft gelebt haben. „Mischdhäufa“wurden einstmals die Hetschwanger von Menschen aus umliegenden Dörfern wenig schmeichelhaft und vielleicht aus Neid betitelt. Die Annahme: Je größer der Misthaufen ist, desto reicher muss der Bauer sein. Wann ein Misthaufen groß ist, liegt wohl im Auge des Betrachters. Viele gibt es jedenfalls nicht mehr.