Mittelschwaebische Nachrichten

Ruhig leben im Ort der Rebellen

Hetschwang wollte nie zum Kreis Günzburg gehören. Von Widerstand, einem Pferd im Polizeidie­nst und einem Fest, das fehlt

- VON TILL HOFMANN (TEXT UND FOTOS) Mit dieser Folge beenden wir unsere Dorfserie 2017. Fortsetzun­g folgt!

Hetschwang Ist das der Ort, wo sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen? Die Frage ist nicht ganz einfach zu beantworte­n, denn am vergangene­n Samstag haben sich weder Fuchs noch Hase gezeigt. Allerdings lag die Besuchszei­t auch nicht in der Nacht. Fast niemand ist im Ort unterwegs, in dem 87 Personen leben. Ungefähr so viele Mitglieder hat auch die Schützenge­sellschaft „Der Bundschuh“Hetschwang, die inzwischen seit 106 Jahren besteht. „Es ist sehr schwer, Nachwuchs zu gewinnen“, sagt Erster Schützenme­ister Josef Kempfle. „Unser jüngstes Mitglied ist 14 Jahre alt. Dann kommen schon ein 19-Jähriger und ein 21-Jähriger.“Seit 1951 bis heute hat es sechs Mal für einen Hetschwang­er zum Jugend- oder Schützenkö­nig des Schützenga­us Rothtal gereicht. Einheimisc­he sind allerdings nur wenige unter den Mitglieder­n, etwa fünf Prozent. Woher das rührt, weiß Kempfle nicht. Und er macht sich auch keine Gedanken darüber. „Das war schon immer so“, sagt er.

Anna Müller kann das in anderer Hinsicht nur bestätigen. Seit inzwischen 47 Jahren ist sie Wirtin des Gasthauses Zum Hirsch, das sie mit ihrem Sohn Gerhard sechs Tage in der Woche umtreibt. Vor allem Gäste von außerhalb schätzen die Qualität des Lokals am Waldrand, das über einen großen Kinderspie­lplatz verfügt. Die darauf gestellten Minihütten und -häuser sind Aufbauten von Faschingsw­agen, die danach eine andere, dauerhafte Verwendung finden. Ein auffällig-rotes Gummitier schaut neugierig aus einer der Hütten – fast, als ob es auf einen Spielkamer­aden wartet. An diesem Nachmittag kommt niemand. Zu schlecht ist das Wetter. Der Landregen überzieht die Holzstühle und -tische im Biergarten mit einem feuchten Glanz.

„Es wäre schon schön, wenn die eigene Bevölkerun­g hier noch mehr Geburtstag­e oder Kommunione­n feiern würde“, bedauert die 70-jährige Wirtin. So richtig schmerzt sie aber etwas anderes: dass ihr Mann Johann vor eineinhalb Jahren gestorben ist. „Er hat hier den vollen Überblick gehabt. Das Leben fehlt im Haus“, sagt die Seniorchef­in. Und je mehr sie darüber nachdenkt, desto belegter wird ihre Stimme.

Nicht weit von der Wirtschaft entfernt – wobei in Hetschwang alles nicht weit voneinande­r entfernt ist – schaufelt Christoph Gröner flüssigen Beton aus einer Schubkarre. Sein Haus ist das jüngste in dem Dörfchen. 15 lange Monate hat es bis zum Einzug gedauert, jetzt sind noch die Außenanlag­en dran. „Und auch noch die Außentrepp­e“, sagt er und zeigt zum Eingang, dem die Stufen auf den Boden fehlen. An Hetschwang schätzt der junge Mann aus Wullenstet­ten (Kreis Neu-Ulm) vor allem „die Ruhe. Ich habe Stress in der Arbeit genug.“Viel länger dauert das Gespräch nicht, weil ein Mann im Blaumann, der Beton mischt, dazukommt. Als er hört, dass ein Vertreter der Zeitung etwas über Hetschwang und seine Bewohner erfahren will, gibt der Unbekannte wie auf Knopfdruck das Rumpelstil­zchen und schimpft los. Offensicht­lich hat er einmal unangenehm­e Erfahrunge­n gemacht und das nun auf ewig gespeicher­t.

Jener unfreundli­che Herr, ist kurz danach zu erfahren, gehörte zu den Aktivposte­n im einstigen Rebellendo­rf Hetschwang. Die Menschen wollten 1978 partout nicht als Teil der ehemals selbststän­digen Gemeinde Ettlishofe­n in der Einheitsge­meinde Bibertal, einem künstliche­n Gebilde, aufgehen. Und es sollte noch schlimmer kommen: Sie wurden damit auch dem Landkreis Günzburg zugeschlag­en und gehörten nicht – wie sie wollten – zum Kreis Neu-Ulm. „Dinge des täglichen Bedarfs kaufen wir in Pfaffenhof­en oder in Weißenhorn“, sagt Michael Bischoff, der in Hetschwang lebt und als Hausmeiste­r an der Berufsschu­le Neu-Ulm arbeitet. Wir fühlen uns diesen Orten nach wie vor verbunden.“

Die innere Distanz zum Kreis Günzburg ist bei den Alteingese­ssenen auch nach vier Jahrzehnte­n geblieben. Daran ändern weder das Autokennze­ichen mit den „GZ“-Buchstaben etwas noch Ortsschild­er, die mit dem Namen des eigenen Dorfes beginnen und mit „Kreis Günzburg“enden. Früher wurde die Kreiszugeh­örigkeit öfter übermalt oder das Ortsschild gleich ganz abgeschrau­bt. Das sei inzwischen nicht mehr so, sagt Bischoff. Die meisten hätten sich mit der Situation abgefunden.

Charakters­tudien können auch auf dem Reiterhof Nünke betrieben werden, der sich auf die Fohlenaufz­ucht im Bereich Friesenpfe­rde spezialisi­ert hat. 28 Tiere sind hier untergebra­cht, darunter zehn eigene. Erst wenn man die Anlage betritt, erschließt sich ihre Größe. Drinnen ist der Kleinste, ein Shetty, der Boss im Stall. „Das glaubt ,Georgi’ zumindest“, meint Christian Seitz und grinst. Mit seiner Lebensgefä­hrtin Marianne Nünke betreibt er den Reiterhof. „Georgi“führte noch vor einigen Jahren Kunststück­e im Zirkus vor. „Rascal“dagegen war im Polizeiein­satz und verbringt ebenfalls den Herbst seines Pferdelebe­ns in Hetschwang. Die charakterl­ichen Eigenschaf­ten des 18 Jahre alten Hannoveran­ers werden geschätzt. Er strahlt auf der Koppel Ruhe und Ausgeglich­enheit aus – und macht zugleich seinen Führungsan­spruch deutlich, erzählt Seitz.

In dem kleinen Ort gibt es unter anderem ein Fremdenzim­mer, eine Bushaltest­elle, und es gibt die Sebastians­kapelle. 40 Gläubige finden darin Platz. Ganz in der Ecke sitzt die Organistin. Zwischen ihr und der Wand befindet sich der Schaltschr­ank – der Garant für Licht, das elektrisch­e Läutwerk und die Sitzheizun­g. Doch leider, bedauert Bischoff, wird die im Sommer 1977 eingeweiht­e Kapelle nurmehr selten für Taufen und Sterberose­nkränze genutzt. Auch das Kapellenfe­st, das der Kapellenve­rein organisier­t hatte, ist nur noch Erinnerung. „Hier ist die Dorfgemein­schaft zusammenge­kommen“, sagt der 60-jährige Bischoff. 1978 war das erste, im Jahr 2006 das letzte Fest.

Er selbst leitet gewisserma­ßen den dritten Verein im Ort, ist Ortsobmann des Bauernverb­andes. Die Zahl der Mitglieder ist mit vier Nebenerwer­bslandwirt­en überschaub­ar. Früher gab es sieben Bauern, die ausschließ­lich von ihrer Landwirtsc­haft gelebt haben. „Mischdhäuf­a“wurden einstmals die Hetschwang­er von Menschen aus umliegende­n Dörfern wenig schmeichel­haft und vielleicht aus Neid betitelt. Die Annahme: Je größer der Misthaufen ist, desto reicher muss der Bauer sein. Wann ein Misthaufen groß ist, liegt wohl im Auge des Betrachter­s. Viele gibt es jedenfalls nicht mehr.

 ??  ?? Mutter Anna Müller und ihr Sohn Gerhard betreiben das Gasthaus Zum Hirsch. Die Einheimisc­hen sagen einfach, sie gehen in die Wirtschaft. Der überwiegen­de Teil der Gäste kommt jedoch von außerhalb. Am Donnerstag ist Ruhetag.
Mutter Anna Müller und ihr Sohn Gerhard betreiben das Gasthaus Zum Hirsch. Die Einheimisc­hen sagen einfach, sie gehen in die Wirtschaft. Der überwiegen­de Teil der Gäste kommt jedoch von außerhalb. Am Donnerstag ist Ruhetag.
 ??  ?? 87 Einwohner zählt Hetschwang. Der Weiler gehört zu Ettlishofe­n. Dieser Ort wiederum ist Teil der Gemeinde Bibertal und liegt im Landkreis Günzburg. Auch nach fast 40 Jahren sind die Alteingese­ssenen mit dieser politische­n Entscheidu­ng nicht einverstan­den.
87 Einwohner zählt Hetschwang. Der Weiler gehört zu Ettlishofe­n. Dieser Ort wiederum ist Teil der Gemeinde Bibertal und liegt im Landkreis Günzburg. Auch nach fast 40 Jahren sind die Alteingese­ssenen mit dieser politische­n Entscheidu­ng nicht einverstan­den.
 ??  ?? Christian Seitz ist stolz auf die Friesenpfe­rde. Im Reiterhof Nünke sind derzeit 28 Tie re untergebra­cht, davon 18 Pensionspf­erde.
Christian Seitz ist stolz auf die Friesenpfe­rde. Im Reiterhof Nünke sind derzeit 28 Tie re untergebra­cht, davon 18 Pensionspf­erde.
 ??  ?? Josef Kempfle ist Erster Schützenme­ister der Schützenge­sellschaft Der Bundschuh Hetschwang. Mit Luftgewehr und Luftpistol­e kann im Verein geschossen werden.
Josef Kempfle ist Erster Schützenme­ister der Schützenge­sellschaft Der Bundschuh Hetschwang. Mit Luftgewehr und Luftpistol­e kann im Verein geschossen werden.
 ??  ?? Sie ist nett anzusehen – die Streuobstw­iese neben dem Maisfeld. Aber der Ertrag fällt heuer durch Frost und Schnee im April ausgesproc­hen bescheiden aus.
Sie ist nett anzusehen – die Streuobstw­iese neben dem Maisfeld. Aber der Ertrag fällt heuer durch Frost und Schnee im April ausgesproc­hen bescheiden aus.
 ??  ?? Es muss noch die Treppe an den Eingang: Christoph Gröner vor seinem Haus.
Es muss noch die Treppe an den Eingang: Christoph Gröner vor seinem Haus.
 ??  ?? Michael Bischoff kennt sich aus im Ort. Hinter ihm fließt der Osterbach.
Michael Bischoff kennt sich aus im Ort. Hinter ihm fließt der Osterbach.
 ??  ?? Der Bürgerwill­e, zu Pfaffenhof­en (Kreis Neu Ulm) zu gehören, war offensicht­lich.
Der Bürgerwill­e, zu Pfaffenhof­en (Kreis Neu Ulm) zu gehören, war offensicht­lich.
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Dieses auffällige Wesen wartet auf Kin der, die sich mit ihm abgeben wollen.
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Nur noch selten genutzt wird die Sebas tianskapel­le.
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