Mittelschwaebische Nachrichten

Auf zwei Rädern über die Berge

Drei Fahrradfah­rer berichten von ihren Erlebnisse­n bei einer Alpenüberq­uerung. Was sie unterschei­det und dennoch verbindet

- VON SILVIA EISENLAUER

Krumbach

Für Stephan Bögel ist es die Verwirklic­hung einer aus dem Moment heraus entstanden­en Idee, für Alois Brandner die Suche nach der persönlich­en Grenze und für Hermann Thalhofer ein unverkennb­ares Gemeinscha­ftserlebni­s. So unterschie­dlich ihre Motivation­sgründe auch sein mögen, alle drei Radler haben eines gemeinsam: die Faszinatio­n für die Alpenüberq­uerung auf zwei Rädern. Und keine Frage, momentan steht sie ganz oben auf der Liste der Trendabent­euer, die Bezwingung der Alpen mit dem Fahrrad.

Als der Niederraun­auer Alois Brandner Ende der 80er seine Leidenscha­ft für das Radeln über die Alpen entdeckte, war das noch ganz anders: „Da war man ein Exot!“, erinnert er sich lachend. Mit dem Rennrad, das gerade einmal zehn Gänge hatte sei das teilweise „schon ein bisschen Hardcore“gewesen, erinnert er sich heute. Aber damals wie heute sieht er sich als „Typ, der sich einfach auch mal quälen kann“. Der 56-jährige Brandner sucht als jahrelange­r Ausdauersp­ortler und Leichtathl­etik-Trainer auf dem Weg über die Alpen ganz klar seine persönlich­e Grenze.

Als Gerhard Pfeiffer, ein Freund Branders und Sportlehre­r am Simpert-Kraemer-Gymnasium, ihn fragte, ob er als Begleitper­son bei der Tour des P-Seminars „Transalp“im Juli an den Gardasee einspringe­n könne, sagte er spontan zu. Im Urlaub fuhr er kurz zuvor die Großglockn­er Hochalpens­traße als Test – 1700 Höhenmeter an einem Stück. „Ich hab mir gedacht, wenn das funktionie­rt, funktionie­rt alles.“„Alles“fährt Brandner heute nicht mehr mit dem Rennrad, sondern mit dem Mountainbi­ke. Regelmäßig ist er in den Alpen unterwegs, das Fahrrad ist im Urlaub sein ständiger Begleiter.

Bis zu zehn Stunden saß er bei der siebentägi­gen Tour an den Gardasee am Tag im Sattel. „Wenn du am Tag die 2000 Höhenmeter machst, fährst du keine 20 mehr. Da fährst du mal fünf/sechs Sachen und bist quasi kurz vor’m Umfallen“, berichtet er. Aber genau das macht es offenbar aus für Brandner: „Spaß macht es dann, wenn man sich selbst und gegenseiti­g pushen kann.“Trotz des dominanten Sportlerge­ists, der steten körperlich­en Anstrengun­g und des Gefühls, am Ende „etwa Großes“geschafft zu haben, bringt das Radeln über die Berge für Brandner auch etwas Beruhigend­es mit sich: Man rede nicht viel, lasse einfach die Eindrücke auf sich wirken.

Als Stephan Bögel vor zwei Jahren auf der Highline-179-Hängebrück­e bei Reutte stand und in die Tiefe hinuntersc­haute, fiel sein Blick auf die alte transalpin­e Handelsrou­te Via Claudia Augusta. Auf einer Info-Tafel las er, dass es einen dazugehöri­gen Radweg gibt, der fast bis nach Venedig führt. Dieser Moment im Sommer 2015 ist die Geburtsstu­nde eines der bisher größten Abenteuer des Krumbacher­s: „Ich dachte, das wär doch mal was, die Strecke mit dem Rad zu fahren.“2016 verwirklic­hte sich Bögel dann doch erst den Traum einer USA-Reise. Aber das „Bietzeln“, mit dem Fahrrad die Römerstraß­e abzufahren, blieb.

Das „Das-schaffst-du-doch-nie“aus dem Umfeld gab Bögel dann den restlichen Anreiz: Im Juli diesen Jahres machte er sich mit einer unbeschwer­ten Anpacken-Mentalität und seinem Trekking-Rad auf den Weg. Rund 700 Kilometer und 8000 Höhenmeter, verteilt auf sechs Tage – das war der Plan. „Geplant habe ich sonst nicht sonderlich viel“, gibt der 32-jährige Elektriker schmunzeln­d zu.

Wichtige Eckpfeiler der offizielle­n Römerweg-Tour hatte sich Bögel bei Google Maps und auf Zetteln markiert. Er kam direkt von einem Strandurla­ub nach Hause, als er das Nötigste in seinen Rucksack packte und einfach losfuhr. Was seine Fitness angeht, vertraute er auf das regelmäßig­e Radeln entlang der Günz- und Kammeltalw­ege. Da man hätte mehr planen und trainieren können, ist sich Bögel wohl bewusst – aus ihm spricht keinerlei Naivität, sondern bloße Unbeschwer­theit: „Es sollte ja Spaß machen!“. Der Start verlief völlig reibungslo­s. Am zweiten Tag verum schlechter­te sich die Beschilder­ung im österreich­ischen Bergland zunehmend, ab und an verfuhr Bögel sich mal und die Tour wurde härter. Gegen Mittag machte er jeden Tag einen Zwischen-Check: „Ich hab mir überlegt, wie weit ich noch fahren möchte bzw. muss und hab dann online nach einem Zimmer geschaut.“Abends verfasste er die Einträge für seinen Blog und stärkte sich bei Pizza und Pasta; morgens gab es vor dem Aufbruch ein gemüteinwö­chigen liches Frühstück. Gut gestärkt und unbeschwer­t ging es auch am vorletzten Tag los, doch dieser entpuppte sich als „gnadenlose­r Bergfahrt-Tag“: Hinauf ins italienisc­he Praderadeg­o hatte der Radler mit seinem Trekking-Rad teils 18 Prozent Steigung zu bezwingen. „Der Berg hat mich fast ruiniert. Vor jeder Kurve dachte ich, jetzt muss es doch dann irgendwann aufhören. Ich hab immer wieder angehalten und auf dem Handy geschaut, wie lange das noch so geht.“Beim Erzählen legt sich seine Stirn immer noch angestreng­t in Falten.

Doch als er am nächsten Tag nach sechs Tagen und rund 700 Kilometern Fahrt in Venedig ankommt, war all die Anstrengun­g vergessen. „Das war mal ein ganz anderer Urlaub. Du fährst halt einfach, hast deine Ruhe und keinen Freizeitst­ress im Urlaub“, resümiert er mit zufriedene­m Lächeln und ist selbst fast ein bisschen erstaunt, dass der ihm vorhergesa­gte „Einbruch“auf der Strecke gänzlich ausblieb.

Ist Stephan Bögel noch „neu im Geschäft“, so kennt sich Hermann Thalhofer aus Billenhaus­en im alpinen Radwegenet­z bereits bestens aus. Sieben bis acht Mal ist er mit dem Fahrrad schon nach Italien gefahren, schätzt er. Seine Leidenscha­ft fürs Radeln entdeckte er eher zufällig: Vor fast zwanzig Jahren hatte die heutige Modekette C&A Fahrräder im Angebot: „Da hab ich mir spontan für 550 Mark ein neues Rad gekauft“, erinnert er sich. Das neue Fahrzeug im Hof stehend, nahmen die Dinge ihren Lauf. Thalhofer fuhr immer regelmäßig­er und längere Strecken: Touren auf den bekannten Radwegen der Region, täglich zur Arbeit nach Ursberg, dann auch die erste transalpin­e 18-Stunden-Tour bei strömendem Regen nach Brixen. „Die erste und härteste Tour“, erinnert er sich lachend.

Größere Touren fährt Thalhofer heute aber in der Regel in einer Gruppe: Seit 2004 gibt es eine Radler-Abteilung beim Billenhaus­er Sportverei­n, die „Stadl-Radler“. Bald nachdem die donnerstäg­lichen Stadl-Radler-Touren 2004 ins Leben gerufen waren, äußerte ein Mitglied den Wunsch, einmal eine Alpenüberq­uerung mit dem Rad zu machen. „Dann haben wir gesagt: Packen wir’s an“, erzählt Thalhofer. Seitdem fährt die „Vollgastru­ppe“der Stadl-Radler, die aus sechs bis sieben Männern im Alter zwischen 50 und 70 besteht, mindestens eine größere Tour pro Jahr. Für diese Truppe stehen donnerstag­s dann „Extra-Trainingse­inheiten“, wie es Thahlhofer nennt, auf dem Plan: Einmal Füssen und zurück, zum Beispiel.

In die Vorbereitu­ngen involviert sind auch die Männer des Begleitfah­rzeugs, das sich mit den Radlern auf den Weg macht. Diese nehmen einen Großteil des Gepäcks mit und kümmern sich um die Versorgung. „Und wenn uns das Trinken doch mal ausgeht, steuern wir einfach immer den nächsten Friedhof an“, verrät Thalhofer. Die Begleittru­ppe kümmert sich auch um die Unterkunft. „Da lassen wir es uns dann bei Pizza und Wein gut gehen am Abend.

Das hat für uns keinen Wert, da auf Sparflamme zu fahren“, meint Thalhofer. Man merkt, die Geselligke­it sowie die Gastfreund­lichkeit der Südtiroler sind wichtige Faktoren. Und trotzdem: Wenn sie morgens wieder im Sattel sitzen, dann konzentrie­ren sie sich auf das Treten und verarbeite­n die beeindruck­enden Bilder der Berglandsc­haft. „Da steht das Fahren im Vordergrun­d“, so Thalhofer.

So unterschie­dlich die Motivlagen der drei Alpenradle­r also auch sein mögen, eines vereint sie dennoch: Das Paradoxon, Körper und Geist beständig zu Höchstleis­tungen anzusporne­n und dabei gleichzeit­ig die Seele baumeln zu lassen – spätestens bei der letzten Abfahrt.

Der Blog von Stephan Bögel ist übri gens unter https://sb185 viaclau dia.tumblr.com/ frei zugänglich.

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 ?? Archiv Foto: Peter Bauer ?? 2014 war eine Auswahl der Billenhaus­er Stadl Radler bei der BR Radltour dabei. Dritter von links ist Hermann Thalhofer aus Bil lenhausen.
Archiv Foto: Peter Bauer 2014 war eine Auswahl der Billenhaus­er Stadl Radler bei der BR Radltour dabei. Dritter von links ist Hermann Thalhofer aus Bil lenhausen.
 ?? Archiv Foto: Gerhard Pfeiffer ?? Mit dem P Seminar des Simpert Kraemer Gymnasiums ist Alois Brandner (zweiter von links) in diesem Jahr über die Alpen ge fahren. Es war nicht das erste Mal.
Archiv Foto: Gerhard Pfeiffer Mit dem P Seminar des Simpert Kraemer Gymnasiums ist Alois Brandner (zweiter von links) in diesem Jahr über die Alpen ge fahren. Es war nicht das erste Mal.
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Fotos (2): Sammlung Bögel Eine eher spontane Idee war es bei Stephan Bögel, über die Alpen nach Venedig zu ra deln.

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