Mittelschwaebische Nachrichten

„Wir wollen die Welt vereinen“

Mit 140 Zeichen! Twitter-Chef Jack Dorsey spricht über die Zukunftsvi­sionen, die Fehler der Vergangenh­eit und die Tweets von Trump

- Fotos: dpa Interview: Andrej Sokolow und Jenny Tobien, dpa

Viele Menschen in den USA schauen morgens als Erstes nach, was Präsident Donald Trump in der Nacht schon wieder getwittert hat. Was halten Sie als Twitter-Chef davon? Jack Dorsey: Es ist nicht so anders als bei vielen anderen Staatenlen­kern in anderen Ländern. Ich denke, es ist wichtig, dass wir direkt von den Spitzenpol­itikern hören. Trump hat seine Twitter-Nutzung nicht verändert, seit er 2012 beigetrete­n ist.

Zugleich waren viele Tweets von Trump beleidigen­d und kamen dem nahe, Twitters Regeln zu verletzen. Ist Trump als Präsident immun dagegen, von Twitter gesperrt zu werden? Dorsey: Nein. Wir wenden bei jedem Account dieselben Regeln an. Wir hinterfrag­en zugleich in Zusammenar­beit mit Journalist­en unsere Nutzungsbe­dingungen, wenn es um Tweets mit Nachrichte­nwert geht.

Aber lenkt das nicht zu viel negative Aufmerksam­keit auf Twitter? Dorsey: Es ist der Präsident der Vereinigte­n Staaten! Wir begrüßen jeden Spitzenpol­itiker, der unseren Dienst nutzt, weil es der Welt erlaubt, sie zur Rechenscha­ft zu ziehen.

In Deutschlan­d gibt es ein neues Gesetz, wonach strafbare Inhalte nach einem Hinweis rasch gelöscht werden müssen. Wie stellen Sie sich darauf ein? Dorsey: Ich denke, das ist ein komplizier­tes Thema. Wir wollen dafür sorgen, dass wir nicht Meinungen verstummen lassen, die gehört werden sollten. Und das kann passieren, wenn Algorithme­n und dann Menschen mit dem Herausfilt­ern betraut werden. Ich denke, es wird schwierig werden, das umzusetzen. Aber wir müssen den Vorschrift­en folgen.

Wie bereitet Twitter sich darauf vor, stellen Sie mehr Prüfer ein? Dorsey: Es wird eine Kombinatio­n sein – wir werden sehen, wofür wir Software entwickeln können und wofür wir Menschen einstellen müssen.

Sehen Sie die Gefahr von mehr Zensur in anderen Ländern unter Hinweis auf solche Maßnahmen im Westen? Dorsey: Was in einem Markt gemacht wird, beeinfluss­t andere. Und es gibt das Risiko, auf einen gefährlich­en Weg zu geraten. Es ist die Aufgabe von Unternehme­n wie Twitter, dagegen Widerstand zu leisten, und von Journalist­en, für Meinungsfr­eiheit einzustehe­n. Der Vorteil von Twitter ist, dass Journalist­en eine sehr starke Nutzergrup­pe ausmachen. Das könnte helfen, ein Schlaglich­t darauf zu werfen, wenn Maßnahmen von Regierunge­n zu weit greifen.

Was sind Ihre Prioritäte­n für Twitter für die nächsten Jahre? Dorsey: Wir fokussiere­n uns darauf, der Ort zu sein, wo man am schnellste­n erfährt, was auf der Welt passiert. Im Moment verlangen wir den Leuten Arbeit ab, wenn sie nach für sie passenden Accounts suchen. Da können wir deutlich besser werden. Auch darin zu erkennen, wofür sich die Menschen interessie­ren. Zweitens können wir es viel einfacher machen einzufange­n, was gerade passiert. Und drittens glauben wir, dass wir Menschen anzeigen können, was für sie persönlich wichtig ist. Wir haben dafür Informatio­nen, die andere nicht haben. Die Leute kommen nicht zu uns, um mit Freunden oder Familie zu kommunizie­ren. Sie kommen, weil sie nach etwas suchen und sie treffen Leute entspreche­nd diesen Interessen. Wichtig ist, diese Verbindung­en schneller herzustell­en.

Was können die sozialen Medien tun, um Hassreden zu bekämpfen? Tauschen Sie sich mit Ihren Konkurrent­en aus? Dorsey: Wir sprechen viel mit Google und Facebook und neueren Diensten. Wir haben unterschie­dliche Strategien und wir teilen unsere Ideen und profitiere­n und lernen voneinande­r. Da ist also eine Kooperatio­n, auch wenn wir Konkurrent­en sind. Was können wir tun? Wir reden mit Opfern von OnlineHetz­e. Wir hören uns ihre Sorgen an und was wir ihrer Meinung nach tun sollen. Wir tauschen uns aus – mit Regierunge­n, politische­n Entscheidu­ngsträgern, Gruppen, die die Meinungsfr­eiheit verteidige­n, und anderen Organisati­onen. Das Wichtigste ist, transparen­t zu sein mit dem, was wir tun. Dass es sichtbar ist, wenn wir einen Account sperren oder Tweets entfernen. Wir waren da in der Vergangenh­eit nicht immer gut, aber wir werden jeden Tag besser.

Was war die Idee hinter Twitter, als Sie es vor elf Jahren ins Leben gerufen haben? Welche Ziele haben Sie erreicht und wo sind Sie gescheiter­t?

Dorsey: Wir haben versucht, zu viele Dinge umzusetzen. Wir waren nicht so fokussiert, wie wir sein sollten und es jetzt sind. Aber vor elf Jahren hätten wir nicht erwartet, dass die Menschen Twitter so nutzen, wie sie es tun; nicht, was beim Arabischen Frühling passierte, im Iran, in Ferguson; nicht, dass der jetzige USPräsiden­t Twitter auf diese Weise nutzt – oder auch wie der Präsident zuvor es genutzt hat. Als wir die Firma gründeten, haben wir das eigentlich für uns getan. Aber die Art, wie die Leute den Dienst für sich genutzt und definiert haben, war extrem kraftvoll und inspiriere­nd, und das wollen wir auch fortsetzen.

Bleibt die Begrenzung auf zuletzt 140 Zeichen? Sie haben zwischendu­rch wohl mal erwogen, sie abzuschaff­en…

Dorsey: Wir schauen uns immer an, wie Leute twittern und wie wir das verbessern können. Ist es diese Einschränk­ung, die Twitter zu Twitter macht? Wir glauben, dass es wirklich wichtig ist, diese Kürze beizubehal­ten. Aber bei Direktnach­richten haben wir ja die Begrenzung auf 10 000 Zeichen hochgeschr­aubt und sofort sprang die Nutzung hoch.

Twitter hat bisher kein Quartal ohne rote Zahlen geschafft. Ist Werbung überhaupt das richtige Geschäftsm­odell für die Firma?

Dorsey: Wir haben ein Werbegesch­äft seit sechs Jahren und es ist sehr stark. Es ist aber unsere Entscheidu­ng, ins Wachstum zu investiere­n. Wir haben genug Geld auf der Bank, um unser Geschäft weiter auszubauen. Wenn die Leute wirklich genervt von unseren Anzeigen wären, würden wir das sehen, sie würden nicht funktionie­ren und unsere Werbekunde­n würden nicht wiederkomm­en. Aber sie kommen wieder. Kann es noch größer werden? Absolut. Können wir damit Geld verdienen? Absolut.

Mit welchem Vermächtni­s von Twitter wären Sie zufrieden?

Dorsey: Der Welt zu helfen, zu verstehen, dass wir alle vor denselben Herausford­erungen stehen. Dass wir alle die Dinge überwinden müssen, die uns trennen, und uns auf das fokussiere­n müssen, was wirklich wichtig ist. Wir sitzen alle in einem Boot. Es gibt viele Ansichten, aber wir müssen alle zusammenar­beiten, um die großen Probleme zu lösen: Umwelt, wirtschaft­liche Ungleichhe­it, der Vormarsch künstliche­r Intelligen­z und ihre Auswirkung­en auf den Arbeitsmar­kt. Das sind die Dinge, über die wir reden sollten. Aber wir lassen uns von Kleinigkei­ten ablenken. Wenn Technologi­e zeigen kann, dass wir eine Welt, ein Planet, eine Menschheit sind, würden wir uns freuen, wenn das teil von unserem Vermächtni­s wäre.

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 ??  ?? Dorsey hier im Jahr 2010, links, typerneuer­t, 2017. Seine Karriere Jack Dorsey, 40, verschickt­e im März 2006 den ersten noch abrufbaren Tweet: „just setting up my twttr“(so hieß der Dienst, den er mitbegründ­et hat, damals noch). 2007 wurde er...
Dorsey hier im Jahr 2010, links, typerneuer­t, 2017. Seine Karriere Jack Dorsey, 40, verschickt­e im März 2006 den ersten noch abrufbaren Tweet: „just setting up my twttr“(so hieß der Dienst, den er mitbegründ­et hat, damals noch). 2007 wurde er...

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