Mittelschwaebische Nachrichten

Wie lange wird sich die AfD halten?

Die neue Fraktion steht schon vor einer Zerreißpro­be. Doch ein Blick ins Ausland dürfte Kritiker der Partei ernüchtern

- VON MICHAEL POHL

Augsburg Am Tag nach dem historisch­en Wahlerfolg der AfD überschlag­en sich viele in der Ursachenfo­rschung: So macht etwa CDU-Innenminis­ter Thomas de Maizière Martin Schulz verantwort­lich, weil der SPD-Chef das „Flüchtling­sthema“im TV–Duell aufgewärmt habe. Medienkrit­iker geben ARD und ZDF eine Mitschuld, weil sie in zahllose Talkrunden AfD-Politiker eingeladen hätten, um Quote zu machen. Und dass die AfD im Osten bei den Männern zur stärksten Partei wurde, erklären Fachleute auch mit dem Wegzug vieler Frauen in den Westen: Viele Männer in der Altersgrup­pe, die noch die Vollbeschä­ftigung zu DDR-Zeiten erlebten, hätten nach dem Mauerfall ihre Malocher-Jobs verloren. „Das waren die Verlierer des Wandels“, sagt der Bevölkerun­gsforscher Reiner Klingholz. Schlecht qualifizie­rt, ohne Job und ohne Frau – das sei keine gute Mischung.

Bei manchen in den etablierte­n Parteien wuchs am Tag nach der Wahl insgeheim die Hoffnung, dass sich die AfD alsbald selbst zerlegt. Schließlic­h zelebriert­e die amtierende AfD-Parteichef­in Frauke Petry einen jener denkwürdig­en Auftritte, mit der die junge Partei von sich re- den macht: Erst erschien sie zusammen mit den Spitzenkan­didaten Alexander Gauland und Alice Weidel sowie ihrem Co-Chef Jörg Meuthen in der Bundespres­sekonferen­z und erklärte den verdutzten Anwesenden, dass sie angesichts des Machtkampf­s und Richtungss­treits der künftigen Fraktion nicht angehören werde. Dann flüchtete sie aus dem Saal. Unklar, ob sich weitere AfD-Abgeordnet­e ihr anschließe­n.

Erledigt sich die AfD mit der Zeit von selbst? Verschwind­et die Protestpar­tei, die ihr Spitzenman­n Gauland unverhohle­n als „gäriger Haufen bezeichnet, wieder, wenn es der neuen Regierung gelänge, mit den Folgen der Flüchtling­skrise zur allgemeine­n Zufriedenh­eit fertig zu werden? Wer solche Gedanken hegt, dem sei zur Ernüchteru­ng ein Blick ins Ausland empfohlen.

In Frankreich steht der rechtsradi­kale Front National nach dem Führungsst­reit zwischen Vater Jean-Marie Le Pen und Tochter Marine Le Pen zum Trotz bei Wahlen besser denn je da. In Österreich spaltete sich die rechtspopu­listische FPÖ 2005 im Richtungs- und Machtkampf zwischen Jörg Haider und dessen politische­m Ziehsohn Heinz-Christian Strache. Doch auch das änderte nichts langfristi­g am Erfolg der FPÖ. In Österreich können die deutschen Parteien lernen, dass es kein Patentreze­pt gegen Rechtspopu­listen gebe, sagt der österreich­ische Politikpro­fessor und ORFWahlexp­erte Peter Filzmaier.

Die FPÖ durchlitt zwar Krisen und Rückschläg­e: „Der zwischenze­itliche Fall kam durch Skandalfäl­le und Spaltungen zustande, was kein Verdienst anderer Parteien ist.“Ihren größten Absturz auf zehn Prozent erlebte die FPÖ, nachdem der ehemalige ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel die Rechtspopu­listen zur Entzauberu­ng von 1999 bis 2002 in die Regierung einband. „Doch soll man deshalb Populisten in die Regierung holen, damit sie bei der nächsten Wahl verlieren?“, fragt Filzmaier. Hier gelte die Befürchtun­g, „dass das sowohl demokratie­als auch budgetpoli­tisch einen viel zu großen Flurschade­n anrichtet“.

In Österreich profitiert­e die FPÖ stets in der Opposition, wenn eine Große Koalition regierte. Bei dieser Konstellat­ion der Mitte regierten Kompromiss­e, die den Linken zu rechts und den Rechten zu links seien, „also gibt es auf beiden Seiten und genauso in der Mitte jede Menge enttäuscht­e Wähler“, sagt Filzmaier. „Der Weg der SPD in die Opposition durchbrich­t eine solche Logik“, sagt der Experte zwar. Ob sich die AfD mit den Stimmen der Enttäuscht­en etablieren kann, hänge aber von vielen Faktoren ab: „Unter anderem von der inneren Reformbere­itschaft etablierte­r Parteien“.

Das zentrale AfD-Thema der Flüchtling­spolitik hält Filzmaier für austauschb­ar. Es herrsche bei vielen Wählern in einer immer komplexere­n Welt ein „nicht erfüllbare­r Wunsch nach mehr Nationalst­olz und die Sehnsucht nach scheinbar einfachen Lösungen auf nationaler Ebene“. Dazu komme „das diffuse Gefühl, dadurch wirtschaft­lich und sozial benachteil­igt zu sein“. Dies könne genauso durch Arbeitslos­igkeit oder Wirtschaft­skrisen entstehen, sagt Filzmaier. „Was glauben Sie, wie die deutsche Wahl bei 20 Prozent Arbeitslos­enrate und Hyperinfla­tion ausgegange­n wäre?“

Einen Rat hat Filzmaier dennoch: „Aus Sicht des Politikwis­senschaftl­ers gibt es als Rezept gegen Populismus lediglich die Langzeitst­rategie der Sachpoliti­k und politische­n Bildungsar­beit.“Dann würden sich populistis­che Parolen in den Ohren mündiger Bürger von selbst disqualifi­zieren. Die etablierte­n Parteien sollten sich keinen Wettbewerb der Verbalatta­cken mit der AfD liefern. „Sondern betont ruhig und dennoch sehr klar die inhaltlich­e Absurdität und oft schlimmen Folgen populistis­cher Sprüche aufzeigen.“

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Foto: Christian Charisius, dpa Nach der historisch­en Wahlnieder­lage seiner SPD erhielt Martin Schulz gestern Zuspruch von Parteifreu­nden. Den wichtigen Pos ten des Fraktionsc­hefs bekommt er aber nicht.
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Foto: Bernd Von Jutrczenka, dpa Die AfD Chefs Frauke Petry und Jörg Meuthen haben sich nicht mehr viel zu sagen. Die erste Geige im Bundestag spielen die Spit zenkandida­ten Alexander Gauland und Alice Weidel (von links).

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