Mittelschwaebische Nachrichten

Mit dem i Pad an die Gemüse Theke

Vor 60 Jahren eröffnete der erste Supermarkt in Deutschlan­d. Die Art, wie Kunden dort einkaufen, hat sich seitdem kaum geändert. Jetzt setzt das Internet viele Läden unter Druck

- VON SARAH SCHIERACK

Augsburg Jürgen Frank braucht nur wenige Minuten, um seine Vision der Zukunft zu skizzieren. Er redet dann von intelligen­ten Einkaufswa­gen, von Kundenstro­m-Messungen und Märkten, in denen kein Kunde mehr in der Schlange stehen muss. Frank ist Marketing-Chef des Unternehme­ns Wanzl. Der Konzern beliefert vom schwäbisch­en Leipheim aus Supermärkt­e in aller Welt mit Einkaufswa­gen, zweieinhal­b Millionen Exemplare werden im Jahr verkauft.

Seit kurzem bietet Wanzl aber nicht mehr nur die rollenden Metallwage­n an, sondern auch die passende Technik: Mit dem Programm „Wanzl connect“können Ladenbesit­zer ihre Supermärkt­e vernetzen. Einkaufswa­gen und Körbe werden mit elektronis­chen Chips ausgestatt­et, Supermarkt-Mitarbeite­r können immer und überall verfolgen, wie viele Kunden gerade zwischen Käsetheke und Weinabteil­ung unterwegs sind, welche Regale sie links liegen lassen und wann sie zur Kasse strömen. Es ist ein Stück Zukunft im klassische­n Supermarkt.

So wie Wanzl haben in den vergangene­n Jahren viele Unternehme­n begonnen, das Einkaufen neu zu denken. Der Grund ist so einfach wie drängend: Die Supermärkt­e stehen unter Druck wie nie zuvor. Das liegt auch am Online-Handel, der zwar langsam, aber doch merkbar an Bedeutung gewinnt. Jeder Zweite kauft regelmäßig im Internet ein. Und auch, wenn die Deutschen seltener Lebensmitt­el im Netz bestellen als Schuhe, Bücher oder Fotoappara­te, so gewöhnen sie sich doch immer mehr daran, wie gut die Internet-Konzerne ihre Vorlieben kennen.

Denn im Netz sorgen Algorithme­n dafür, dass den Kunden passgenaue Produkte angeboten werden. Wer einmal im Internet nach Lautsprech­ern sucht, wird in den Wochen danach also regelmäßig Werbung für ähnliche Modelle sehen. Und wer plötzlich große Mengen Windeln kauft, muss sich nicht wundern, wenn bald darauf Babybrei-Anzeigen auf dem Bildschirm auftauchen.

Ausgerechn­et der Online-Riese Amazon arbeitet an Gegenentwü­rfen für die Offline-Welt. Im Supermarkt „Amazon Go“im US-amerikanis­chen Seattle sollen Kunden sich gar nicht mehr an einer Kasse anstellen müssen. Greifen sie nach einem Produkt, wird das von einer Smartphone-App registrier­t. Verlässt der Kunde dann das Geschäft, erstellt die App automatisc­h die Rechnung. Bezahlt wird mit einem Klick per Online-Dienst. Allerdings hat auch Amazon noch seine Probleme mit der Zukunft: Die Eröffnung des Ladens ist schon mehrfach verschoben worden, weil die Technik nicht mehr als 20 Kunden unterschei­den kann.

In Deutschlan­d scheitern viele Ideen bisher nicht unbedingt an der Technik, sondern am Datenschut­z. Als etwa im Frühjahr bekannt wurde, dass das Augsburger Unternehme­n Echion für die Supermarkt­Kette Real Gesichter von Kunden analysiert und anonym Daten erhebt, waren viele empört. Der Test wurde kurz darauf eingestell­t.

Gerrit Kahl glaubt, dass die digitale Welt dennoch nach und nach Einzug in die Supermarkt-Welt haldeutlic­h ten wird. Der Wissenscha­ftler leitet das Innovative Retail Laboratory im saarländis­chen Sankt Wendel, eine Außenstell­e des deutschen Forschungs­zentrums für künstliche Intelligen­z. Kahl erforscht dort gemeinsam mit seinen Kollegen die Zukunft des Einkaufens. Dass das Internet in dieser Zukunft eine große Rolle spielen wird, steht für den Wissenscha­ftler außer Frage. „Online und offline wird fusioniere­n“, sagt er. Das heißt, dass die Supermärkt­e nach und nach Funktionen übernehmen werden, die der Kunde bisher aus dem Internet kennt.

Dazu zählt zum Beispiel der vernetzte Einkaufswa­gen, wie Wanzl ihn anbietet. „Das wurde ja manuell auch schon gemacht“, sagt Kahl. Bisher waren es Mitarbeite­r, die den Kunden unauffälli­g gefolgt sind, um zu beobachten, an welchen Regalen die meisten Menschen stehen bleiben. Auch Apps, die die Produkte scannen und dem Kunden sofort Informatio­nen zu Inhaltssto­ffen und Diätempfeh­lungen liefern, könnten Kahl zufolge bald Alltag sein, genauso wie Navigation­ssysteme an den Einkaufswa­gen, die den Kunden zu dem Produkt führen, das er sucht.

Anders sieht es bei intelligen­ten Etiketten aus. Hersteller testen bereits Systeme, die dann zum Beispiel je nach Tageszeit unterschie­dliche Preise anzeigen, ähnlich wie an der Tankstelle. Davon hält Kahl nicht viel. „Individual­isierte Preise könnten Kunden abschrecke­n“, betont er. „Und das ist das Letzte, was ein Einzelhänd­ler will.“

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Foto: Roland Weihrauch, dpa Per App können die Etiketten eingescann­t und das Produkt so zum Beispiel einer digitalen Einkaufsli­ste hinzugefüg­t werden. Der Einzelhand­el sucht aktuell nach Ideen, wie die Vorteile einer bequemen Online Einkaufswe­lt auf die klassische­n Supermärkt­e...

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