Mittelschwaebische Nachrichten
Ziel erreicht und doch verschnupft
Diese drei Abgeordneten aus der Region haben es geschafft. Drei Einschätzungen zum Ausgang der Bundestagswahl
Landkreis Georg Nüßlein ist ziemlich verschnupft. Neben dem historisch schlechten Wahlergebnis setzt dem Direktkandidaten der CSU eine handfeste Erkältung zu. „Das Problem ist, dass wir gewusst haben, was auf uns zukommt“, sagt er mit belegter Stimme, „die Flüchtlingsthematik ist das bestimmende Thema gewesen. Man kann bis in die Mitte der Gesellschaft hinein ein Unbehagen fühlen.“Das habe er aus den vielen Gesprächen mit den Wählern während des Wahlkampfs mitgenommen. Auch, dass die Antworten der CSU auf diese Herausforderung richtig gewesen wären; allein: In der Großen Koalition habe seine Partei diese Ansätze nicht umsetzen können. Mit der Aussicht auf ein Dreierbündnis aus Union, FDP und Grünen hätten sich die Voraussetzungen dafür aber nicht verbessert. Nüßlein macht jedoch klar, mit welcher Haltung die CSU in die Koalitionsverhandlungen zieht: „Wir werden bei dem Thema Flüchtlinge keinen Zentimeter Boden preisgeben können.“Ihm sei es lieber, die CSU besetze die offene rechte Flanke im politischen Spektrum, als wenn das andere Parteien übernähmen.
Die herben Verluste der Unionsparteien führt Nüßlein aber nicht allein auf die Unzufriedenheit mit der Flüchtlingspolitik zurück. „Man muss da auch den Lebenszyklus eines Spitzenpolitikers im Blick haben“, sagt er und verweist darauf, dass bislang kein Kanzler in der Geschichte der Bundesrepublik in Ehren abgetreten sei. Er plädiert daher auf eine Begrenzung der Amtszeit auf zehn Jahre. Auch die schnellen Kehrtwenden, die die Kanzlerin in der Vergangenheit bei manchen Themen vollzog, verunsicherten die Wähler.
Dass er selbst in seinem Heimatort Münsterhausen stark an Zustimmung verloren hat, treffe ihn natürlich, räumt Nüßlein ein. „Das ist aber auch die einzige Möglichkeit des Wählers, uns Politikern zu zeigen, wo’s klemmt.“Insgesamt ist er aber gar nicht so unzufrieden mit seinem persönlichen Abschneiden. Immerhin sei sein Ergebnis durch- besser als das Zweitstimmenergebnis. Abgesehen von den Schwierigkeiten, die eine Jamaika-Koalition bringen mag, sieht Nüßlein auch Chancen. Wenn es gelänge, gemeinsam mit der FDP und den Grünen eine Umweltpolitik auf den Weg zu bringen, die Umwelt und Wirtschaft in Einklang bringt, dann wäre das ein großer Gewinn.
Karl-Heinz Brunner weiß bereits heute, dass für ihn nach dieser Legislaturperiode Schluss sein wird. „Wenn die Nominierungsversamm- lungen für den nächsten Bundestag sein werden, bin ich 67“, sagt er und verweist darauf, dass diese klare persönliche Entscheidung schon getroffen ist. „Das habe ich meiner Frau versprochen.“
Kleiner wird der Kreis der bayerischen SPD-Abgeordneten, die zukünftig im Bundestag Platz nehmen werden. Die Landesgruppe der Sozialdemokraten ist um vier auf jetzt 18 Plätze geschrumpft. Das bedeutet auch für den früheren Illertisser Bürgermeister, dass er „eine Schipweg pe drauflegen“muss, um durch den Wegfall von vier Mandaten im Freistaat ein noch größeres Gebiet mit den übrigen Genossinnen und Genossen zu vertreten.
Welche Funktionen der 64-Jährige innerhalb seiner Fraktion oder seiner Landesgruppe übernehmen wird, ist noch nicht klar. „Ich stehe für alles zur Verfügung“, sagt er, „werde mich aber nicht nach irgendeinem Posten drängen.“Wichtig ist ihm, dass die politischen Mitstreiter „über den Tellerrand hinausblicken mit dem Ziel, dass die Fraktion jungen Menschen Chancen einräumt“. Die Entscheidung, jetzt in die Opposition zu gehen, hält Brunner für richtig. Länger als vier Jahre dürfe diese allerdings nicht eingenommen werden.
Ekin Deligöz (Grüne) ist gestern zu einer ersten Analyse der Wahl als Vertreterin der Bundestagsgruppe mit Landes- und Fraktionsvorstand in München zusammengetroffen. Am späten Nachmittag ging es dann weiter nach Berlin. Die 46-Jährige aus Senden (Kreis Neu-Ulm) geht bereits in die sechste Legislaturperiode des Bundestages und gehört zu den erfahrensten Politikerinnen ihrer Partei. „Wir sind in einer verzwickten Situation, weil wir waschechte Demokraten sind und deshalb im Wählervotum eine Verpflichtung sehen. Also muss eine Lösung her.“Maßstäbe in Sondierungsgesprächen, an denen man sich entlang arbeite, seien Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit und Europa. Zwar würden die Verhandlungen für eine Jamaika-Koalition hart werden. „Aber für die CSU ist das auch ein Kulturbruch, vermutlich ein noch größerer. Wichtig ist, dass man miteinander redet, wenn man sich im gleichen Wertekoordinatensystem befindet“, so Deligöz. Im Gegensatz zur AfD gebe es mit der CSU Berührungspunkte, sagt sie und erinnert sich im Wahlkampf an einen Bäckermeister, der ihr offenbarte, als CSU-Stadtrat auch seine Partei wählen zu müssen. Allerdings sei er gegen den Einsatz von Gentechnik. Daher seien in diesem Punkt die Grünen seine „letzte Rettung“. Etwas mehr Grüne aus Bayern nehmen im Bundestag künftig Platz – elf statt neun. „So groß waren wir noch nie.“