Mittelschwaebische Nachrichten

„CSU war nicht mehr glaubwürdi­g“

Die Flüchtling­sdebatte hat den Unionspart­eien sehr geschadet. Was Asylhelfer und Wirtschaft­svertreter zum Wahlausgan­g sagen und worüber sie sich Sorgen machen

- VON HEIKE SCHREIBER UND STEPHANIE LORENZ

Landkreis Es war das bestimmend­e Thema im Wahlkampf: Flüchtling­e und Integratio­n. Während die AfD gerade mit diesem Thema bei den Wählern punkten konnte, wurden CDU/CSU für ihre Flüchtling­spolitik regelrecht abgewatsch­t. Kein Wunder, finden viele ehrenamtli­ch engagierte Asylhelfer und auch Wirtschaft­svertreter. Der Versuch der CSU, die AfD rechts zu überholen, sei ein großer Fehler gewesen. Dass letztere so gut abgeschnit­ten hat, sehen viele mit Sorge.

An der CSU und ihrer Flüchtling­spolitik lässt Rita Jubt kein gutes Haar, sie spricht von einer „völlig verfehlten Politik“. Trotzdem kam es für die Trägerin des Integratio­nspreises, die sich seit Jahren im Verein „Deffingen hilft“für Flüchtling­e einsetzt, überrasche­nd, wie viele Stimmen die Traditions­partei in Bayern verloren hat. „Ich hätte nicht gedacht, dass die CSU so schlecht abschneide­t“, sagt Jubt. Sie ist sich sicher, dass das Hin und Her um eine Obergrenze der Genickbruc­h gewesen sei, „das war nicht mehr glaubwürdi­g“. Viele Bürger seien verunsiche­rt gewesen und hätten wohl eher aus Protest als aus Überzeugun­g die AfD gewählt. In Jubts Augen sei es ein großer humanitäre­r Akt und die richtige Entscheidu­ng gewesen, die Flüchtling­e aufzunehme­n. „Aber wer A sagt, muss auch B sagen.“Sie könne nicht verstehen, warum man viele Flüchtling­e nicht arbeiten lasse. Es sei traurig, dass der Staat die Bemühungen vieler Vereine, Ausländer zu integriere­n, so durchkreuz­e. „Das ist für alle frustriere­nd“, sagt Jubt. Sie hofft jetzt, dass die neue Regierung trotz aller Schwierigk­eiten ein Einwanderu­ngsgesetz auf die Beine bringt. Und vor allem, dass sich die AfD mit ihren populistis­chen Parolen nicht durchsetze­n kann.

Darüber macht sich Hans Kohler keine Sorgen. Der Thannhause­r Stadtrat, der für seinen außerorden­tlichen ehrenamtli­chen Einsatz für Asylbewerb­er im Landkreis mit der Silberdist­el unserer Zeitung ausgezeich­net wurde, ist sich sicher, dass sich die AfD nicht lange halten kann. Es sei eine Partei der „Nobodys und Populisten ohne jegliches Konzept“. Er selbst ist seit 35 Jahren in der CSU engagiert, das schlechte Abschneide­n der Union ihn nicht. Es seien zu viele Fehler nach der Flüchtling­swelle gemacht, die Flüchtling­spolitik auf die leichte Schulter genommen worden. Kohler hofft auf eine neue vernünftig­e Regierung mit qualifizie­rten Leuten. „Ich bin positiv gestimmt, es wird weitergehe­n, auch mit AfD.“

Hermann Hutter, Vorsitzend­er der IHK-Regionalve­rsammlung, bedauert, dass die Flüchtling­sdebatte das beherrsche­nde Thema im Wahlkampf war. „Es hätte so viele wirtschaft­liche Themen gegeben, die von Vorrang sind“, findet er und nennt Wettbewerb­sfähigkeit, Digitalisi­erung, Infrastruk­tur. Schwabenwe­it seien einige Hundert Flüchtling­e in Unternehme­n untergekom­men, die Integratio­n sei schwierig, jetzt komme es auf Weiterbild­ung an. Es bestehe noch viel Optimierun­gsbedarf, „wir dürfen nicht stehen bleiben“.

Michael Jahn durfte heuer zum ersten Mal seine Kreuze setzen, die vorangegan­gene Bundestags­wahl hat der 21-Jährige um fünf Tage verpasst. Doch was gleich bei seiner ersten Wahl passiert ist, sieht er mit Sorge. „Ich kann die Ängste nicht verstehen, die zu diesem Ergebnis geführt haben“, sagt der junge Handballer des VfL Günzburg. Ein halbes Jahr lang hatte er ehrenamtli­ch in der Günzburger Asylunterk­unft gearbeitet – und dort Flüchtling­e getroffen, die Deutschlan­d als weltoffene­s Land kennengele­rnt haben. „Die meisten wollen sich unbedingt integriere­n“, sagt er. Eine Familie zum Beispiel helfe ehrenamtli­ch im Verein mit, der älteste Sohn fange mit seinem Studium an. „Ich finde es erschrecke­nd, dass sich manche gar nicht mit der Thematik beschäftig­en.“ der Vorsitzend­er des SPD-Ortsverein­s Günzburg, wünscht sich, „dass die Politik besser erklärt, dass wir Zuwanderun­g brauchen“. Es müsse gezeigt werden, dass die Ängste der Bürger zum Teil unbegründe­t seien. Viele Flüchtling­e hätten sich in die Vereine integriert, zumindest für den FC Günzburg könne er das sagen. Dort ist Szerman Jugendleit­er. Um die Helferkrei­se sei es ruhiger geworden. Das Wahlergebn­is sei erschrecke­nd, doch „wir machen uns keine Sorgen, dass wir in unserer Arbeit eingeschrä­nkt werden“.

Nicht nur eingeschrä­nkt, sondern gestoppt wird bald das „Dürrlauing­er Modell“am Berufsbild­ungsund Jugendhilf­ezentrum St. Nikolaus. Seit 2014 konnten dort Flüchtling­e ihre Gesellen- oder Facharbeit­erprüfung machen, fünf haben sie bereits abgelegt, 20 sollen noch folgen. Danach wird das Projekt nicht mehr finanziert. Konrad Fath, Leiter der Einrichtun­g, bedauert das sehr, die Maßnahme sei ein Erfolg gewesen. Er fürchtet, dass mit der neuen Regierung derartige Projekte künftig noch viel weniger Chancen haben werden. „Die Union ist unter Druck und will die abgewander­ten Wähler zurückgewi­nnen.“

 ?? Archivfoto: Bernhard Weizenegge­r ?? Im Oktober 2015 kamen auch im Landkreis Günzburg die ersten Flüchtling­e in der neu geschaffen­en Erstaufnah­meeinricht­ung auf dem Prinz Eugen Park (PEP) an. Die Flüchtling­swelle ist längst abgeebbt, dennoch war es das beherrsche­nde Thema im Wahl kampf.
Archivfoto: Bernhard Weizenegge­r Im Oktober 2015 kamen auch im Landkreis Günzburg die ersten Flüchtling­e in der neu geschaffen­en Erstaufnah­meeinricht­ung auf dem Prinz Eugen Park (PEP) an. Die Flüchtling­swelle ist längst abgeebbt, dennoch war es das beherrsche­nde Thema im Wahl kampf.

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