Mittelschwaebische Nachrichten
„CSU war nicht mehr glaubwürdig“
Die Flüchtlingsdebatte hat den Unionsparteien sehr geschadet. Was Asylhelfer und Wirtschaftsvertreter zum Wahlausgang sagen und worüber sie sich Sorgen machen
Landkreis Es war das bestimmende Thema im Wahlkampf: Flüchtlinge und Integration. Während die AfD gerade mit diesem Thema bei den Wählern punkten konnte, wurden CDU/CSU für ihre Flüchtlingspolitik regelrecht abgewatscht. Kein Wunder, finden viele ehrenamtlich engagierte Asylhelfer und auch Wirtschaftsvertreter. Der Versuch der CSU, die AfD rechts zu überholen, sei ein großer Fehler gewesen. Dass letztere so gut abgeschnitten hat, sehen viele mit Sorge.
An der CSU und ihrer Flüchtlingspolitik lässt Rita Jubt kein gutes Haar, sie spricht von einer „völlig verfehlten Politik“. Trotzdem kam es für die Trägerin des Integrationspreises, die sich seit Jahren im Verein „Deffingen hilft“für Flüchtlinge einsetzt, überraschend, wie viele Stimmen die Traditionspartei in Bayern verloren hat. „Ich hätte nicht gedacht, dass die CSU so schlecht abschneidet“, sagt Jubt. Sie ist sich sicher, dass das Hin und Her um eine Obergrenze der Genickbruch gewesen sei, „das war nicht mehr glaubwürdig“. Viele Bürger seien verunsichert gewesen und hätten wohl eher aus Protest als aus Überzeugung die AfD gewählt. In Jubts Augen sei es ein großer humanitärer Akt und die richtige Entscheidung gewesen, die Flüchtlinge aufzunehmen. „Aber wer A sagt, muss auch B sagen.“Sie könne nicht verstehen, warum man viele Flüchtlinge nicht arbeiten lasse. Es sei traurig, dass der Staat die Bemühungen vieler Vereine, Ausländer zu integrieren, so durchkreuze. „Das ist für alle frustrierend“, sagt Jubt. Sie hofft jetzt, dass die neue Regierung trotz aller Schwierigkeiten ein Einwanderungsgesetz auf die Beine bringt. Und vor allem, dass sich die AfD mit ihren populistischen Parolen nicht durchsetzen kann.
Darüber macht sich Hans Kohler keine Sorgen. Der Thannhauser Stadtrat, der für seinen außerordentlichen ehrenamtlichen Einsatz für Asylbewerber im Landkreis mit der Silberdistel unserer Zeitung ausgezeichnet wurde, ist sich sicher, dass sich die AfD nicht lange halten kann. Es sei eine Partei der „Nobodys und Populisten ohne jegliches Konzept“. Er selbst ist seit 35 Jahren in der CSU engagiert, das schlechte Abschneiden der Union ihn nicht. Es seien zu viele Fehler nach der Flüchtlingswelle gemacht, die Flüchtlingspolitik auf die leichte Schulter genommen worden. Kohler hofft auf eine neue vernünftige Regierung mit qualifizierten Leuten. „Ich bin positiv gestimmt, es wird weitergehen, auch mit AfD.“
Hermann Hutter, Vorsitzender der IHK-Regionalversammlung, bedauert, dass die Flüchtlingsdebatte das beherrschende Thema im Wahlkampf war. „Es hätte so viele wirtschaftliche Themen gegeben, die von Vorrang sind“, findet er und nennt Wettbewerbsfähigkeit, Digitalisierung, Infrastruktur. Schwabenweit seien einige Hundert Flüchtlinge in Unternehmen untergekommen, die Integration sei schwierig, jetzt komme es auf Weiterbildung an. Es bestehe noch viel Optimierungsbedarf, „wir dürfen nicht stehen bleiben“.
Michael Jahn durfte heuer zum ersten Mal seine Kreuze setzen, die vorangegangene Bundestagswahl hat der 21-Jährige um fünf Tage verpasst. Doch was gleich bei seiner ersten Wahl passiert ist, sieht er mit Sorge. „Ich kann die Ängste nicht verstehen, die zu diesem Ergebnis geführt haben“, sagt der junge Handballer des VfL Günzburg. Ein halbes Jahr lang hatte er ehrenamtlich in der Günzburger Asylunterkunft gearbeitet – und dort Flüchtlinge getroffen, die Deutschland als weltoffenes Land kennengelernt haben. „Die meisten wollen sich unbedingt integrieren“, sagt er. Eine Familie zum Beispiel helfe ehrenamtlich im Verein mit, der älteste Sohn fange mit seinem Studium an. „Ich finde es erschreckend, dass sich manche gar nicht mit der Thematik beschäftigen.“ der Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Günzburg, wünscht sich, „dass die Politik besser erklärt, dass wir Zuwanderung brauchen“. Es müsse gezeigt werden, dass die Ängste der Bürger zum Teil unbegründet seien. Viele Flüchtlinge hätten sich in die Vereine integriert, zumindest für den FC Günzburg könne er das sagen. Dort ist Szerman Jugendleiter. Um die Helferkreise sei es ruhiger geworden. Das Wahlergebnis sei erschreckend, doch „wir machen uns keine Sorgen, dass wir in unserer Arbeit eingeschränkt werden“.
Nicht nur eingeschränkt, sondern gestoppt wird bald das „Dürrlauinger Modell“am Berufsbildungsund Jugendhilfezentrum St. Nikolaus. Seit 2014 konnten dort Flüchtlinge ihre Gesellen- oder Facharbeiterprüfung machen, fünf haben sie bereits abgelegt, 20 sollen noch folgen. Danach wird das Projekt nicht mehr finanziert. Konrad Fath, Leiter der Einrichtung, bedauert das sehr, die Maßnahme sei ein Erfolg gewesen. Er fürchtet, dass mit der neuen Regierung derartige Projekte künftig noch viel weniger Chancen haben werden. „Die Union ist unter Druck und will die abgewanderten Wähler zurückgewinnen.“