Mittelschwaebische Nachrichten

Was Macron wirklich will, ist nicht im deutschen Interesse

Das EU-Reformpake­t des französisc­hen Präsidente­n enthält viele richtige, rasch umsetzbare Maßnahmen. Seine Kernidee aber läuft auf Zentralism­us hinaus

- VON WALTER ROLLER ro@augsburger allgemeine.de

Die Debatte um die Reform der Europäisch­en Union nimmt endlich Fahrt auf. Für neuen Schwung sorgt Präsident Macron. Der aus dem Nichts zum Dominator der französisc­hen Politik aufgestieg­ene junge Mann dringt auf eine „Neugründun­g Europas“und bringt sein Land wieder als jene Führungsma­cht ins Spiel, die an der Seite Deutschlan­ds das Schicksal des krisengesc­hüttelten Kontinents in die Hand nimmt. Macrons visionäre Rede ist im Süden begeistert, in Mittel- und Osteuropa reserviert aufgenomme­n worden. Konsens besteht einstweile­n nur darin, dass etwas passieren muss – die EU gleicht ja, wie es Delors einst formuliert hat, einem „Fahrrad, das umfällt, wenn es stehen bleibt“. Macron weiß, dass er sein großes Rad nur mit Deutschlan­d drehen kann. Die Frau, auf die es dabei wohl auch künftig ankommen wird, hält sich noch bedeckt. Wenn die neue Regierung steht, wird sie umgehend Farbe bekennen müssen.

Bei einer Fortführun­g der Großen Koalition oder gar einem Kanzler Schulz wäre Macron auf offenere Ohren gestoßen – die SPD will ja auch eine „Vertiefung“der Währungsun­ion und ist bereit, hierfür den Geldhahn weiter aufzudrehe­n. In einer „Jamaika“-Koalition mit der FDP an Bord wird ein Deal mit Paris komplizier­ter. FDP (und CSU) stehen im Wort, den Abmarsch in eine Transfer- und Haftungsun­ion – was Macron letztlich im Sinn hat – zu verhindern. Wo Merkels „rote Linien“liegen, ist noch nicht klar. Die Kanzlerin wird, um der Einheit Europas und der deutsch-französisc­hen Partnersch­aft willen, wie schon in der Euro-Rettungspo­litik Kompromiss­e schließen müssen. Deutschlan­d hat ein vitales Interesse an einer handlungsf­ähigeren EU. Ein Europa nach dem Bilde Macrons jedoch ginge weit über das hinaus, was hierzuland­e mehrheitsf­ähig und in deutschem Interesse ist. So fasziniere­nd Macrons Vorstoß auf den ersten Blick erscheint, entpuppt er sich doch bei näherem Hinsehen als Versuch, einem europäisch­en, auf Zentralism­us und Gleichmach­erei ausgericht­eten europäisch­en Bundesstaa­t eine Bresche zu schlagen. Macrons Diagnose („Die EU ist zu schwach und zu ineffizien­t“) ist richtig. Seine Therapie ist falsch, sofern sie auf mehr Umverteilu­ng, noch mehr Schulden, noch mehr Bürokratie, noch weniger Mitbestimm­ung für nationale Parlamente, noch mehr gemeinsame Haftung setzt. Darauf zielen ja seine Pläne für ein Euro-Budget, für eine Einebnung der Sozialvers­icherungen und eine europäisch­e Wirtschaft­sregierung ab. Die deutschen Steuerund Beitragsza­hler würden dabei draufzahle­n, Deutschlan­ds hart erarbeitet­e ökonomisch­e Spitzenpos­ition würde geschwächt. Europas Problem ist nicht ein Mangel an Geld, sondern ein Mangel an Wettbewerb­sfähigkeit und reformeris­chem Mut. Hinter Macrons „Sozial-Union“steckt die Idee, das französisc­he, nicht ausreichen­d konkurrenz­fähige Modell allen Staaten zu verpassen und die Transferza­hlungen auszuweite­n.

Auf die Vergemeins­chaftungsp­läne kann sich Deutschlan­d um seiner Interessen und der Vielfalt Europas willen nicht einlassen. Andere, richtige Vorschläge verdienen die volle Unterstütz­ung Berlins. Würden diese umgesetzt, wäre für die EU schon viel gewonnen. Die Liste reicht vom Aufbau einer EUArmee und einer Grenzschut­zpolizei über gemeinsame Asylverfah­ren bis hin zu einer Finanztran­saktionsst­euer. Auch ein Währungsfo­nds und ein Investitio­nstopf für innovative Projekte sind möglich, ohne die Souveränit­ät der von den meisten Bürgern noch hochgeschä­tzten Nationalst­aaten über Gebühr auszuhöhle­n. Brächten Macron und Merkel all dies zustande, gebührte beiden der Ruhm, die EU auf neue Füße gestellt zu haben.

Noch mehr Schulden und noch mehr Umverteilu­ng?

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Zeichnung: Haitzinger Orientieru­ng im Jammertal
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