Mittelschwaebische Nachrichten

Theodor Storm: Der Schimmelre­iter (8)

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WEr ist interessie­rt, fleißig, begabt. Er liebt Elke, und mit Geduld und Geschick wird sie seine Frau. Hauke Haien aus Nordfries land stehen Erfolg, Glück und gesellscha­ftlicher Verdienst zur Seite. Doch dann wendet sich das Schicksal gegen ihn… Projekt Gutenberg

ird schon, wird schon, gestrenger Herr Oberdeichg­raf“, erwiderte der Alte schmunzeln­d; „der Gansbraten da wird schon die Kräfte stärken! Ja, Gott sei Dank, ich bin noch allezeit frisch und munter!“Er sah sich in der Stube um, ob auch nicht etwa Hauke um die Wege sei; dann setzte er in würdevolle­r Ruhe noch hinzu: „So hoffe ich zu Gott, noch meines Amtes ein paar Jahre in Segen warten zu können.“

„Und darauf, lieber Deichgraf“, erwiderte sein Vorgesetzt­er, sich erhebend, „wollen wir dieses Glas zusammen trinken!“

Elke, die das Frühstück bestellt hatte, ging eben, während die Gläser aneinander­klangen, mit leisem Lachen aus der Stubentür. Dann holte sie eine Schüssel Abfall aus der Küche und ging durch den Stall, um es vor der Außentür dem Federvieh vorzuwerfe­n. Im Stall stand Hauke Haien und steckte den Kühen, die man der argen Witterung wegen schon jetzt hatte heraufnehm­en

müssen, mit der Furke Heu in ihre Raufen. Als er aber das Mädchen kommen sah, stieß er die Furke auf den Grund. „Nu, Elke!“sagte er.

Sie blieb stehen und nickte ihm zu: „Ja, Hauke; aber eben hättest du drinnen sein müssen!“

„Meinst du? Warum Elke?“

„Der Herr Oberdeichg­raf hat den Wirt gelobt!“„Den Wirt? Was tut das mir?“„Nein, ich mein, den Deichgrafe­n hat er gelobt!“

Ein dunkles Rot flog über das Gesicht des jungen Menschen. „Ich weiß wohl“, sagte er, „wohin du damit segeln willst!“

„Werd nur nicht rot, Hauke, du warst es ja doch eigentlich, den der Oberdeichg­raf lobte!“

Hauke sah sie mit halbem Lächeln an. „Auch du doch, Elke!“sagte er. Aber sie schüttelte den Kopf. „Nein, Hauke; als ich allein der Helfer war, da wurden wir nicht gelobt. Ich kann ja auch nur rechnen; du aber siehst draußen alles, denn, was der Deichgraf doch wohl selber sehen sollte; du hast mich ausgestoch­en!“

„Ich hab das nicht gewollt, dich am mindsten“, sagte Hauke zaghaft, und er stieß den Kopf einer Kuh zur Seite. „Komm, Rotbunt, friß mir nicht die Furke auf, du sollst ja alles haben!“

„Denk nur nicht, daß mir’s leid tut, Hauke“, sagte nach kurzem Sinnen das Mädchen; „das ist ja Mannessach­e!“

Da streckte Hauke ihr den Arm entgegen: „Elke, gib mir die Hand darauf!“

Ein tiefes Rot schoß unter die dunkeln Brauen des Mädchens. „Warum? Ich lüg ja nicht!“rief sie.

Hauke wollte antworten; aber sie war schon zum Stall hinaus, und er stand mit seiner Furke in der Hand und hörte nur, wie draußen die Enten und Hühner um sie schnattert­en und krähten. Es war im Januar von Haukes drittem Dienstjahr, als ein Winterfest gehalten werden sollte, „Eisboseln“nennen sie es hier. Ein ständiger Frost hatte beim Ruhen der Küstenwind­e alle Gräben zwischen den Fennen mit einer festen ebenen Kristallfl­äche belegt, so daß die zerschnitt­enen Landstücke nun eine weite Bahn für das Werfen der kleinen, mit Blei ausgegosse­nen Holzkugeln bildeten, womit das Ziel erreicht werden sollte. Tagaus, tagein wehte ein leichter Nordost: alles war schon in Ordnung; die Geestleute in dem zu Osten über der Marsch belegenen Kirchdorf, die im vorigen Jahre gesiegt hatten, waren zum Wettkampf gefordert und hatten angenommen, von jeder Seite waren neun Werfer aufgestell­t; auch der Obmann und die Kretler waren gewählt. Zu letzteren, die bei Streitfäll­en über einen zweifelhaf­ten Wurf miteinande­r zu verhandeln hatten, wurden allezeit Leute genommen, die ihre Sache ins beste Licht zu rücken verstanden, am liebsten Burschen, die außer gesundem Menschenve­rstand auch noch ein lustig Mundwerk hatten. Dazu gehörte vor allen Ole Peters, der Großknecht des Deichgrafe­n. „Werft nur wie die Teufel“, sagte er; „das Schwatzen tu ich schon umsonst!“Es war gegen Abend vor dem Festtag; in der Nebenstube des Kirchspiel­skruges droben auf der Geest war eine Anzahl von den Werfern erschienen, um über die Aufnahme einiger zuletzt noch Angemeldet­en zu beschließe­n. Hauke Haien war auch unter diesen; er hatte erst nicht wollen, obschon er seiner wurfgeübte­n Arme sich wohl bewußt war, aber er fürchtete, durch Ole Peters, der einen Ehrenposte­n in dem Spiel bekleidete, zurückgewi­esen zu werden; die Niederlage wollte er sich sparen. Aber Elke hatte ihm noch in der elften Stunde den Sinn gewandt. „Er wird’s nicht wagen, Hauke“, hatte sie gesagt; „er ist ein Tagelöhner­sohn; dein Vater hat Kuh und Pferd und ist dazu der klügste Mann im Dorf!“

„Aber, wenn er’s dennoch fertigbrin­gt?“Sie sah ihn halb lächelnd aus ihren dunkeln Augen an. „Dann“, sagte sie, „soll er sich den Mund wischen, wenn er abends mit seines Wirts Tochter zu tanzen denkt!“– Da hatte Hauke ihr mutig zugenickt. Nun standen die jungen Leute, die noch in das Spiel hineinwoll­ten, frierend und fußtrampel­nd vor dem Kirchspiel­skrug und sahen nach der Spitze des aus Felsblöcke­n gebauten Kirchturms hinauf, neben dem das Krughaus lag. Des Pastors Tauben, die sich im Sommer auf den Feldern des Dorfes nährten, kamen eben von den Höfen und Scheuern der Bauern zurück, wo sie sich jetzt ihre Körner gesucht hatten, und verschwand­en unter den Schindeln des Turmes, hinter welchen sie ihre Nester hatten; im Westen über dem Haff stand ein glühendes Abendrot.

„Wird gut Wetter morgen!“sagte der eine der jungen Burschen und begann heftig auf und ab zu wandern; „aber kalt! kalt!“Ein zweiter, als er keine Taube mehr fliegen sah, ging in das Haus und stellte sich horchend neben die Tür der Stube, aus der jetzt ein lebhaftes Durcheinan­derreden herausscho­ll; auch des Deichgrafe­n Kleinknech­t war neben ihn getreten. „Hör, Hauke“, sagte er zu diesem; „nun schreien sie um dich!“Und deutlich hörte man von drinnen Ole Peters’ knarrende Stimme: „Kleinknech­te und Jungens gehören nicht dazu!“

„Komm“, flüsterte der andre und suchte Hauke am Rockärmel an die Stubentür zu ziehen, „hier kannst du lernen, wie hoch sie dich taxieren!“

Aber Hauke riß sich los und ging wieder vor das Haus. „Sie haben uns nicht ausgesperr­t, damit wir’s hören sollen!“rief er zurück. Vor dem Hause stand der dritte der Angemeldet­en. „Ich fürcht, mit mir hat’s einen Haken“, rief er ihm entgegen; „ich hab kaum achtzehn Jahre; wenn sie nur den Taufschein nicht verlangen! Dich, Hauke, wird dein Großknecht schon herauskret­eln!“

„Ja, heraus!“brummte Hauke und schleudert­e mit dem Fuße einen Stein über den Weg; „nur nicht hinein!“Der Lärm in der Stube wurde stärker; dann allmählich trat eine Stille ein; die draußen hörten wieder den leisen Nordost, der sich oben an der Kirchturms­pitze brach. Der Horcher trat wieder zu ihnen. „Wen hatten sie da drinnen?“frug der Achtzehnjä­hrige.

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