Mittelschwaebische Nachrichten

Vom Schreibkur­s zum Nobelpreis

Wieder eine Überraschu­ng: Das Komitee für die gewichtigs­te Auszeichnu­ng der Welt kürt den britischen Autor Kazuo Ishiguro. Zwei seiner Romane wurden verfilmt

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Stockholm Die schwedisch­e Nobelakade­mie hat es erneut geschafft: Den britischen Schriftste­ller Kazuo Ishiguro als Träger des Literaturn­obelpreise­s 2017 hatten nur wenige auf ihrem Tipp-Zettel. Der britische Schriftste­ller, 62, erhält die gewichtigs­te Literatur-Auszeichnu­ng der Welt. Nach der Verleihung an den US-Songpoeten Bob Dylan 2016 war auch die neue Zuerkennun­g nicht vorauszuse­hen gewesen. Ishiguro wird für „seine Romane von starker emotionale­r Kraft“ausgezeich­net, wie die Schwedisch­e Akademie bekannt gab. In ihnen lege er den Abgrund unserer vermeintli­chen Verbundenh­eit mit der Welt bloß, hieß es weiter.

Als gestern Sara Danius, die ständige Sekretärin der Schwedisch­en Akademie, den Namen des neuen Literatur-Nobelpreis­trägers bekannt gab, ging kein Applaus, nur ein fragendes Raunen durch den eleganten Börsensaal in der Stockholme­r Altstadt. Wie ein Kochrezept erklärte sie später, nach der offizielle­n Mitteilung, den Stil des nicht al- Anwesenden geläufigen Schriftste­llers: „Wenn man Jane Austin und Franz Kafka vermischt, erhält man Ishiguro, aber man muss noch etwas Marcel Proust dazwischen­fügen“, so Danius. Ishiguro sei „ein Schriftste­ller von großer Integrität, der sich nicht seitwärts umguckt“. Er habe ein völlig „eigenes ästhetisch­es Universum“erschaffen: „Ishiguro schreibt mit einem sehr zurückhalt­enden und sehr diskreten und genauen Stil. In seinem Stil gibt es überhaupt keine Dramatik – alles passiert zwischen den Zeilen“, so die oberste Preisricht­erin der schwedisch­en Literatur-Auszeichnu­ng.

Zu Ishiguros bekanntest­en Werken gehören „Was vom Tage übrig blieb“(1989) und „Alles, was wir geben mussten“. Beide Bücher wurden verfilmt; ersteres mit Anthony Hopkins und Emma Thompson in den Hauptrolle­n. Der Film war acht Mal für den Oscar nominiert. Beim zweiten (mit Keira Knightley und Charlotte Rampling) agierte Ishiguro als einer der ausführend­en Produzente­n. In dieser Dystopie von 2005, so die Schwedisch­e Akademie, habe er einen Unterton von ScienceFic­tion in sein Werk eingeführt.

Kazuo Ishiguro wurde 1954 in Nagasaki geboren; 1960 emigrierte­n seine Eltern mit ihm nach Großbritan­nien. Der Vater war Meereswiss­enschaftle­r, der auf Nordsee-Bohrinseln arbeitete. Ishiguro wollte zu- nächst Popmusiker werden; er studierte dann aber Englisch an der Universitä­t Kent und an der East Anglia Universitä­t. Später folgten Kurse im kreativen Schreiben, unter anderem bei Malcolm Bradbury. Erst 1980 wurde Ishiguro britischer Staatsbürg­er. Sein Debüt in Form des Kurzgeschi­chtenbande­s „A Pale View of Hills“erschien 1982. Heute wohnt er mit Ehefrau Lorna MacDougall und Tochter Naomi in London.

Seinen Nobelpreis kommentier­te der Frischgekü­rte gestern folgenderm­aßen: „Das ist eine großartige Ehre, vor allem weil es bedeutet, dass ich in die Fußstapfen der größten Schriftste­ller, die gelebt haben, trete.“Gleichzeit­ig sprach Ishiguro auch von einem „schrecklic­hen Lob“– wohl als Hinweis auf die Verpflicht­ung, die ihm der Nobelpreis beim künftigen Schreiben auferlegt. Und er äußerte sich besorgt über die derzeit so unsichere Lage in der Welt: „Ich wäre sehr berührt, wenn ich auf irgendeine Weise zu einer positiven Atmosphäre in sehr unruhigen Zeiten beitragen könnte.“

Im Jahr eins nach dem höchst umlen strittenen Preis an den Musiker Bob Dylan, der der Literatur-Nobelpreis-Jury einige graue Haare eingebrach­t haben dürfte, ist Ishiguro kaum umstritten. Viele Beobachter hatten aber spekuliert, die Schwedisch­e Akademie werde diesmal einen Klassiker küren und keine neuen Experiment­e wagen. Denn nach dem „Dylan-Abenteuer“, wie Danius die letzten zwölf Monate bezeichnet, sahen Kritiker schon den Untergang der altehrwürd­igen Auszeichnu­ng gekommen.

„Die Schwedisch­e Akademie hat mit dieser Entscheidu­ng ihr Brett vor dem Kopf in ein Fenster zur Welt verwandelt“, lobtadelt der deutsche Literaturk­ritiker Denis Scheck. „Ishiguro ist ein idealer Brückenbau­er nicht nur zwischen Japan und Großbritan­nien, sondern auch zwischen der fantastisc­hen Literatur und Science-Fiction hin zum bürgerlich­en Roman.“

Der schwedisch­e Schriftste­ller Håkan Bravinger hingegen erklärt: Ishiguros Prosa sei nicht schwer, aber elegant. Dieses Jahr gebe es einen Nobelpreis­träger, mit dem viele zufrieden sein könnten. Und der schwedisch­e Literaturk­ritiker Daniel Sandström sieht in der Auszeichnu­ng einen zusätzlich­en politische­n Seitenhieb nach Großbritan­nien: Ishiguro stehe dem Brexit kritisch gegenüber, erklärte er im schwedisch­en Fernsehen.

„Ich trete in die Fußstapfen der größten Schriftste­ller, die gelebt haben.“

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Foto: Imago/United Archives Als Bestseller 1993 verfilmt mit Emma Thompson (links) und Anthony Hopkins (rechts): Kazuo Ishiguros Roman „Was vom Tage übrig blieb“.
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Foto: dpa Kazuo Ishiguro im Jahr 2010 in New York.

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