Mittelschwaebische Nachrichten

Seelsorge auf Rädern

Wenn die Leute nicht mehr in die Kirche kommen, kommt die Kirche eben zu ihnen – mit einem Schäferwag­en

- VON SANDRA BAUMBERGER

Mindelheim Jutta Maier kommt gerade von der letzten Fahrstunde. Einen Führersche­in hat die Gemeindere­ferentin zwar schon seit Jahren, aber jetzt hat sie Größeres vor – und da kann ein bisschen Fahrpraxis nicht schaden. „Links in die Kurven rein, rechts in die Kurven rein – das ist ganz schön anstrengen­d“, sagt sie gut gelaunt. Bis vor wenigen Wochen ist sie noch nie mit einem Anhänger gefahren, jetzt hängt ein hölzerner Schäferwag­en an ihrem Dienstauto.

Mit dem Gespann will sie in den nächsten Monaten durch verschiede­ne Gemeinden im Dekanat Mindelheim ziehen, die Neugier auf Kirche wecken, Gläubigen, aber auch Zweifelnde­n ein Angebot zum Durchschna­ufen machen, ihnen Zeit schenken. „Ich bin einfach da, um da zu sein“, sagt Jutta Maier und betont: „Ich will niemanden zu irgendetwa­s bekehren. Ich drück’ niemandem eine Bibel in die Hand.“Stattdesse­n soll es Zeit für Gespräche geben, für biblische Geschichte­n vom Leben und auch für ein Abendgebet.

„Kirche am Weg“hat sie ihr Projekt genannt, das man getrost als Herzensang­elegenheit bezeichnen kann. Schon seit Jahren hatte die 59-Jährige überlegt, wie die Kirche zu den Leuten kommen kann, die ihrerseits nicht mehr unbedingt in die Kirche kommen. In Memmingen entsteht gerade ein City-Café, in an- deren Städten gibt es schon länger Familienca­fés, in denen ein Seelsorger für Gespräche zur Verfügung Doch im ländlichen Raum ist so etwas schwierig. Beim Pilgern zwischen Görlitz und Erfurt hatte Jutta Maier dann diesen Einfall: In vielen Orten gab es keine Läden mehr, stattdesse­n kam ein Bäckerwast­eht. gen, der auch als Begegnungs­ort diente. „Und ich hab mich gefragt: Wann kommt der Kirchenwag­en?“

Ein Kollege im Bistum Würzburg muss sich eine ähnliche Frage gestellt haben und beantworte­te sie mit einem Schäferwag­en, mit dem er in die Gemeinden fährt. Die Idee gefiel Jutta Maier, der Schäferwag­en auch. Nicht, weil sie sich selbst als Hirtin versteht und die Gläubigen oder eben auch nicht mehr Gläubigen als dumme Schafe, sondern weil sie findet, dass er zu ihr passt – und irgendwie auch zur Situation der Kirche: Auch auf den Dörfern haben sich inzwischen viele von der Kirche verabschie­det. Sei es, weil sie – wie die Beliebthei­t von Bergmessen zeigt – „aus den Kirchenbän­ken raus wollen“oder weil sie einfach keinen Bezug mehr zu ihr haben. „Wir haben keine religiöse Macht mehr und ich finde, ein Schäferwag­en bringt das charmant zum Ausdruck.“

Und urgemütlic­h ist er auch. Dafür sorgen die drei Holzbänke mit den Sitzkissen und dem Schaffell und natürlich der kleine Holzofen, den Jutta Maier am Abend unbedingt noch anschüren will, damit das in den nächsten Monaten auch zuverlässi­g klappt. Sie ist überzeugt, dass es Gott zu den Menschen hinzieht. „Und das soll mit dem Wagen sichtbar werden.“Sie spricht von einer „aufsuchend­en Seelsorge“. Dabei gehe es jedoch nicht darum, den Leuten im übertragen­en Sinne ein Lasso umzuwerfen, sondern darum, ihnen zu zeigen: Du bist mir wichtig. Gott müsse sie schließlic­h nirgends mehr hintragen. „Der ist ja eh schon da.“

Überhaupt sei die Idee ja eigentlich gar nicht so neu: Früher gab es die Gemeindemi­ssionen, bei denen Ordensbrüd­er in die Gemeinden kamen und mit Vorträgen und Gottesdien­sten „neuen Drive reingebrac­ht haben“. Und im Osten, wo die Zahl der Katholiken überschaub­ar war, gab es „Kapellenwa­gen“, die die Gläubigen mit den Sakramente­n versorgten. Das Typenschil­d der Zulassungs­stelle weist den Schäferwag­en sogar als Kirche aus, aber das ist – auch wenn ihn Bischof Konrad Zdarsa am Samstag segnen wird – dann doch ein bisschen hoch gegriffen.

Zumal Jutta Maier die Kirche im Dorf nicht ersetzen, sondern bestenfall­s ergänzen und den Glauben in die Lebenswirk­lichkeit der Leute übersetzen will. „Ich bin neugierig auf die Menschen und will schauen: Wie geht’s denen, was brauchen die denn wirklich? Das ist ein Projekt, wo ich als Kirche was lerne.“Und darauf freut sie sich schon. Sorge, dass niemand kommen könnte, hat sie nicht. „Ich kann mit Stille viel anfangen“, sagt sie. Außerdem hängt neben der Tür ein kleiner Briefkaste­n, in den die Leute ihre Gebetsanli­egen einwerfen können. „Wenn mal keiner kommt, hole ich eben die Zettel raus und bete. Dann hab ich eine mobile Einsiedele­i.“Nur eines soll der Wagen auf keinen Fall sein: eine reine „Event-Tingelei.“

Nach der Segnung am Samstag macht Jutta Maier einen weiteren Tag in Dirlewang Station. Am 18. und 19. Oktober wird der Schäferwag­en dann beim Lindenplat­z in Warmisried stehen und am 26. und 27. Oktober beim Dorfladen in Oberegg.

„Ich bin einfach da, um da zu sein.“

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Foto: Baumberger Mit diesem Schäferwag­en will Gemeindere­ferentin Jutta Maier durch die Gemeinden im Dekanat Mindelheim ziehen. Seine Pa tronin ist Madeleine Delbrêl, die als Mystikerin der Straße gilt und als Ikone im Wagen mitfährt.

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