Mittelschwaebische Nachrichten
Seelsorge auf Rädern
Wenn die Leute nicht mehr in die Kirche kommen, kommt die Kirche eben zu ihnen – mit einem Schäferwagen
Mindelheim Jutta Maier kommt gerade von der letzten Fahrstunde. Einen Führerschein hat die Gemeindereferentin zwar schon seit Jahren, aber jetzt hat sie Größeres vor – und da kann ein bisschen Fahrpraxis nicht schaden. „Links in die Kurven rein, rechts in die Kurven rein – das ist ganz schön anstrengend“, sagt sie gut gelaunt. Bis vor wenigen Wochen ist sie noch nie mit einem Anhänger gefahren, jetzt hängt ein hölzerner Schäferwagen an ihrem Dienstauto.
Mit dem Gespann will sie in den nächsten Monaten durch verschiedene Gemeinden im Dekanat Mindelheim ziehen, die Neugier auf Kirche wecken, Gläubigen, aber auch Zweifelnden ein Angebot zum Durchschnaufen machen, ihnen Zeit schenken. „Ich bin einfach da, um da zu sein“, sagt Jutta Maier und betont: „Ich will niemanden zu irgendetwas bekehren. Ich drück’ niemandem eine Bibel in die Hand.“Stattdessen soll es Zeit für Gespräche geben, für biblische Geschichten vom Leben und auch für ein Abendgebet.
„Kirche am Weg“hat sie ihr Projekt genannt, das man getrost als Herzensangelegenheit bezeichnen kann. Schon seit Jahren hatte die 59-Jährige überlegt, wie die Kirche zu den Leuten kommen kann, die ihrerseits nicht mehr unbedingt in die Kirche kommen. In Memmingen entsteht gerade ein City-Café, in an- deren Städten gibt es schon länger Familiencafés, in denen ein Seelsorger für Gespräche zur Verfügung Doch im ländlichen Raum ist so etwas schwierig. Beim Pilgern zwischen Görlitz und Erfurt hatte Jutta Maier dann diesen Einfall: In vielen Orten gab es keine Läden mehr, stattdessen kam ein Bäckerwasteht. gen, der auch als Begegnungsort diente. „Und ich hab mich gefragt: Wann kommt der Kirchenwagen?“
Ein Kollege im Bistum Würzburg muss sich eine ähnliche Frage gestellt haben und beantwortete sie mit einem Schäferwagen, mit dem er in die Gemeinden fährt. Die Idee gefiel Jutta Maier, der Schäferwagen auch. Nicht, weil sie sich selbst als Hirtin versteht und die Gläubigen oder eben auch nicht mehr Gläubigen als dumme Schafe, sondern weil sie findet, dass er zu ihr passt – und irgendwie auch zur Situation der Kirche: Auch auf den Dörfern haben sich inzwischen viele von der Kirche verabschiedet. Sei es, weil sie – wie die Beliebtheit von Bergmessen zeigt – „aus den Kirchenbänken raus wollen“oder weil sie einfach keinen Bezug mehr zu ihr haben. „Wir haben keine religiöse Macht mehr und ich finde, ein Schäferwagen bringt das charmant zum Ausdruck.“
Und urgemütlich ist er auch. Dafür sorgen die drei Holzbänke mit den Sitzkissen und dem Schaffell und natürlich der kleine Holzofen, den Jutta Maier am Abend unbedingt noch anschüren will, damit das in den nächsten Monaten auch zuverlässig klappt. Sie ist überzeugt, dass es Gott zu den Menschen hinzieht. „Und das soll mit dem Wagen sichtbar werden.“Sie spricht von einer „aufsuchenden Seelsorge“. Dabei gehe es jedoch nicht darum, den Leuten im übertragenen Sinne ein Lasso umzuwerfen, sondern darum, ihnen zu zeigen: Du bist mir wichtig. Gott müsse sie schließlich nirgends mehr hintragen. „Der ist ja eh schon da.“
Überhaupt sei die Idee ja eigentlich gar nicht so neu: Früher gab es die Gemeindemissionen, bei denen Ordensbrüder in die Gemeinden kamen und mit Vorträgen und Gottesdiensten „neuen Drive reingebracht haben“. Und im Osten, wo die Zahl der Katholiken überschaubar war, gab es „Kapellenwagen“, die die Gläubigen mit den Sakramenten versorgten. Das Typenschild der Zulassungsstelle weist den Schäferwagen sogar als Kirche aus, aber das ist – auch wenn ihn Bischof Konrad Zdarsa am Samstag segnen wird – dann doch ein bisschen hoch gegriffen.
Zumal Jutta Maier die Kirche im Dorf nicht ersetzen, sondern bestenfalls ergänzen und den Glauben in die Lebenswirklichkeit der Leute übersetzen will. „Ich bin neugierig auf die Menschen und will schauen: Wie geht’s denen, was brauchen die denn wirklich? Das ist ein Projekt, wo ich als Kirche was lerne.“Und darauf freut sie sich schon. Sorge, dass niemand kommen könnte, hat sie nicht. „Ich kann mit Stille viel anfangen“, sagt sie. Außerdem hängt neben der Tür ein kleiner Briefkasten, in den die Leute ihre Gebetsanliegen einwerfen können. „Wenn mal keiner kommt, hole ich eben die Zettel raus und bete. Dann hab ich eine mobile Einsiedelei.“Nur eines soll der Wagen auf keinen Fall sein: eine reine „Event-Tingelei.“
Nach der Segnung am Samstag macht Jutta Maier einen weiteren Tag in Dirlewang Station. Am 18. und 19. Oktober wird der Schäferwagen dann beim Lindenplatz in Warmisried stehen und am 26. und 27. Oktober beim Dorfladen in Oberegg.
„Ich bin einfach da, um da zu sein.“