Mittelschwaebische Nachrichten
Die Abgründe Venedigs
Wahre Gruselgeschichten aus der Lagunenstadt in Schwarz-Weiß
Venedig gehört zu den Orten, die am meisten unter der Touristenflut stöhnen. Warum also noch ein Venedig-Buch? Doch Wolfgang Salomon, der schreibende und fotografierende Koch aus Wien, führt in seinem Buch „Blaues Venedig“die Leser an Orte, die alles andere als überlaufen sind – in die Abgründe der Lagunenstadt. Dahin, wo abergläubische Menschen Geister zu sehen glauben und wo selbst hartgesottene Zeitgenossen das Fürchten lernen. Und die Fotos, die Salomon dazu liefert, die Geschichten, die er erzählt, sind auch nichts für zarte Gemüter.
Vom Henker in Venedig ist da die Rede und von den Todesurteilen, die einfach durch die steinernen Lippen einer Büste geschoben wurden. Von der Knocheninsel Sant’Ariano berichtet Salomon und davon, dass auch er dort auf menschlichen Knochen gelaufen ist. Manches verlassene Kloster, manche einstige Heilanstalt erinnert den Autor an Horrorfilme, und immer wieder erliegt er dem Charme des Morbiden wie im zerfallenden Kloster San Giorgio in Alga oder auf Poveglia, der Insel der Mysterien. Wer ihn dorthin begleitet, der lernt eine ganz andere Seite der Serenissima kennen. Die dunkle Seite Venedigs. Da liest man dann von jenem Wirt, der während der Hungersnot nach den Pestjahren den besten Eintopf der Stadt aufgetischt hatte und später grausam hingerichtet wurde – als Kindsmörder. Man liest von geistig verwirrten Menschen, die auf entlegenen Inseln „entsorgt“wurden, und man streift mit Salomon durch ein Museum der Monstrositäten auf der Insel San Servolo.
Über vieles ist längst Gras gewachsen, die Natur hat sich die bröckelnden Mauern zurückerobert. Noch im Zustand der Auflösung hat der Autor das verlassene Ospedale al mare am Lido erlebt, den Spitalkomplex unmittelbar an einem mondänen Badestrand. Nach 132 Jahren wurde das Hospital 2002 geschlossen. Zukunft ungewiss. Doch in der Zwischenzeit hat sich Kunst in dem Areal breit gemacht – manchmal zum Fürchten realistisch.
Weil der Autor auch Koch ist, gibt’s ganz nebenbei auch Tipps für regionale Köstlichkeiten, darunter auch den süffigen Malvasier, der über mögliche Ängste hinweghilft.
» Wolfgang Salomon: Blaues Venedig.