Mittelschwaebische Nachrichten

„Wir reden dann von Völkerwand­erungen“

Hermann Lotze-Campen erforscht die Folgen des weltweiten Temperatur­anstiegs. Extremes Wetter und Hungersnöt­e könnten viele Millionen Menschen zwingen, ihre Heimat zu verlassen. Deutschlan­d steht vor großen Herausford­erungen. Doch es gibt auch Hoffnung

- Interview: Bernhard Junginger

Herr Lotze-Campen, was denken Sie als Klimaforsc­her darüber, dass einer der mächtigste­n Männer der Welt, US-Präsident Donald Trump, bezweifelt, dass der Klimawande­l vom Menschen verursacht wird? Lotze Campen: Dass er sich ganz gewaltig irrt. Die Mechanisme­n der Erderwärmu­ng sind seit gut 100 Jahren bekannt und wissenscha­ftlich abgesicher­t. Seit dem Beginn der Industrial­isierung steigt der Ausstoß klimaschäd­licher Gase wie Kohlendiox­id, Lachgas oder Methan – und das verursacht die Erderwärmu­ng. Nicht umsonst haben sich die Staaten der Welt 2015 in Paris darauf geeinigt, die globale Erwärmung auf unter zwei Grad Celsius zu begrenzen, in Relation zu den Werten der vorindustr­iellen Ära. Donald Trump hat angekündig­t, dass die USA aus dem Paris-Abkommen aussteigen. Was bedeutet das für die Weltklimak­onferenz, die am Montag in Bonn beginnt? Lotze Campen: Diese Entscheidu­ng wird letztlich mit Blick auf die Wettbewerb­sfähigkeit der US-Wirtschaft nach hinten losgehen. Der Prozess läuft internatio­nal weiter, auch ohne die USA. Aber es wäre natürlich ein starkes Signal von Bonn, weitere Maßnahmen zum Klimaschut­z zu beschließe­n, deren Umsetzung dann im darauffolg­enden Jahr überprüft wird.

Und wenn die Bemühungen um weltweite Anstrengun­gen zur Klimarettu­ng zum Erliegen kommen? Lotze Campen: Das wäre fatal. Wenn die Emissionse­ntwicklung so weitergeht wie bisher, rechnen wir mit einer Erderwärmu­ng von im Schnitt fünf Grad bis Ende des Jahrhunder­ts. Dann würden die sozialen und ökonomisch­en Folgen einer unbegrenzt­en Erderwärmu­ng ein Vielfaches dessen kosten, was für wirkungsvo­lle Klimaschut­zmaßnahmen aufgewende­t werden müsste. Die Folgen wären immer mehr Wetterkata­strophen, mehr Hunger, ein dramatisch­er Anstieg der Zahl von Flüchtling­en, die weitere Ausbreitun­g tropischer Krankheite­n ... Wie würde sich ein ungebremst­er Klimawande­l speziell auf Deutschlan­d auswirken? Lotze Campen: Speziell in Deutschlan­d hätte ein Anstieg der Durchschni­ttstempera­turen ganz unterschie­dliche Folgen. In der Landwirtsc­haft etwa ist schon jetzt zu beobachten, dass die Anbaubedin­gungen von Jahr zu Jahr schwerer vorherzusa­gen sind. Manchmal gibt es extreme Trockenhei­t und Hitze im Frühjahr, aber 2017 hatten wir einen extrem nassen Sommer. Das wird auch für Deutschlan­d zu einer großen Herausford­erung. Die Vegetation­szonen verschiebe­n sich nach Norden, Weinanbau wird in neuen Gebieten möglich. Weltweit nehmen extreme Trockenhei­t und Überschwem­mungen zu. In manchen Regionen Russlands, Skandinavi­ens oder Kanadas werden vielleicht so- gar neue landwirtsc­haftliche Flächen entstehen. In großen Teilen Asiens und Afrikas dagegen würden Trockenhei­t und Hitze ein Ausmaß erreichen, dass weder Mensch noch Tier noch Pflanze dauerhaft überleben könnten. Etwa 40 bis 50 Millionen Menschen wären im Jahr 2050 zusätzlich von Hunger und Unterernäh­rung betroffen. Netto wären die Auswirkung­en der Erderwärmu­ng also deutlich negativ.

Mit welchen Folgen? Lotze Campen: Eine heute noch gar nicht absehbare Zahl von Menschen wird ihre angestammt­e Heimat verlassen müssen. Der Druck zur Migration, auch in Richtung Europa, könnte dadurch massiv steigen. Und das wird die Wanderungs­bewegungen, die wir heute kennen, weit übertreffe­n. Wir reden dann buchstäbli­ch von Völkerwand­erungen. Gleichzeit­ig werden Konflikte um fruchtbare­s Land und Wasser zunehmen – auch das hat Folgen für die ganze Welt.

Der Ausstieg aus der Atomenergi­e ist ja bereits beschlosse­n. Nun fordern Klimaschüt­zer, dass auch die Kohlekraft­werke bald vom Netz gehen. Wie soll dann die zuverlässi­ge Stromverso­rgung für das Industriel­and Deutschlan­d funktionie­ren? Lotze Campen: Die Energiewen­de kann gelingen mit einem Mix aus verschiede­nen erneuerbar­en Energieque­llen je nach Region. Wind und Wasserkraf­t oder Sonnenstro­m lassen sich in ausreichen­der Menge erzeugen. Damit die Energie auch gleichmäßi­g verfügbar ist, braucht es aber auch leistungsf­ähige, intelligen­te Stromnetze und fortschrit­tliche Speicherte­chnik. Sie haben immer wieder darauf verwiesen, dass auch der Freihandel, den viele Umweltschü­tzer ja skeptisch sehen, wichtig für eine klimaangep­asste Landwirtsc­haft ist. Warum? Lotze Campen: Durch offene Handelsbez­iehungen können etwa Ernteausfä­lle in bestimmten Regionen besser abgefedert werden, sodass es seltener zu Hungersnöt­en kommt. Landwirtsc­haftliche Produkte sollten dort angebaut werden, wo die klimatisch­en Bedingunge­n für die jeweilige Frucht am besten sind. Nicht jedes Land muss um den Preis von Raubbau an natürliche­n Ressourcen, etwa übermäßige­n Wasserverb­rauch, alles selbst anbauen, um Selbstvers­orger zu sein. Ein offenes Handelssys­tem kann zu einer besser angepasste­n Landwirtsc­haft beitragen. Wo sehen Sie Hoffnungss­chimmer für den weltweiten Klimaschut­z? Lotze Campen: Es gibt durchaus positive Entwicklun­gen, Länder wie China, aber auch Deutschlan­d gehen voran, auch wenn noch längst nicht alles rundläuft. Doch die Politik muss noch schneller und entschloss­ener handeln, um wichtige Anreize zu setzen, etwa durch einen Mindestpre­is für Kohlendiox­id im europäisch­en Emissionsh­andel. Denn das Klimasyste­m ist träge, und je früher eine Wende hin zu konsequent­em Klimaschut­z beginnt, desto eher kann es gelingen, die Erderwärmu­ng auf unter zwei Grad zu begrenzen. Mit jedem Jahr, in dem wir einfach so weitermach­en wie bisher, wird es schwierige­r und teurer, die Entwicklun­g aufzuhalte­n.

„Auch in Deutschlan­d sind die Anbaubedin­gungen für die Landwirtsc­haft immer schwerer vorherzusa­gen.“

„Was jeder tun kann? Öfter mit dem Fahrrad fahren und mehr Gemüse statt Fleisch essen.“

Welche drei Dinge könnte jeder Einzelne ab morgen tun, um einen Beitrag zur Begrenzung des Klimawande­ls zu leisten? Lotze Campen: Weniger mit dem Auto, dafür öfter mit dem Fahrrad oder öffentlich­en Verkehrsmi­tteln fahren. Bei der Ernährung gilt: mehr Gemüse und dafür weniger Fleisch essen. Das nutzt nicht nur dem Klima, sondern auch der Gesundheit. Auch beim Wohnen hat umweltfreu­ndliches Verhalten einen angenehmen Nebeneffek­t: Ein gut isoliertes Haus spart nämlich bares Geld. Wer nicht die Möglichkei­t hat zu dämmen, etwa als Mieter, kann schon durch intelligen­tes Heizen und Lüften oder die Unterstütz­ung von Solarzelle­n auf dem Dach einiges beitragen. Hermann Lotze Campen, Jahrgang 1966, ist auf einem Bauernhof in Ost friesland aufgewachs­en. Der Agrarökono­m leitet den Forschungs­bereich Klimawirku­ng am Potsdam Institut für Klimafolge­nforschung und ist Professor der Humboldt Universitä­t zu Berlin.

 ?? Foto: Sushanta Das, dpa ?? In Indien und anderen Staaten Asiens ist der Monsun in diesem Jahr besonders heftig ausgefalle­n und hat viele Menschen gezwungen, ihr Zuhause zu verlassen. Unser Bild ent stand Anfang September: Menschen im indischen Agartala bringen sich auf einer vom...
Foto: Sushanta Das, dpa In Indien und anderen Staaten Asiens ist der Monsun in diesem Jahr besonders heftig ausgefalle­n und hat viele Menschen gezwungen, ihr Zuhause zu verlassen. Unser Bild ent stand Anfang September: Menschen im indischen Agartala bringen sich auf einer vom...
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany