Mittelschwaebische Nachrichten

Die Zukunft der Bildung

Was die Schulen alles leisten sollen: Integratio­n, Ausbildung für die digitale Arbeitswel­t, politische Aufklärung, und dabei auch den klassische­n Kanon nicht vernachläs­sigen! Goethe und künstliche Intelligen­z: Wie soll das gelingen?

- VON WOLFGANG SCHÜTZ » Konrad Paul Liessmann: Bildung als Provokatio­n. Zsolnay, 240 S., 22 ¤

Nirgends war die Einigung in den Sondierung­sgespräche­n der Jamaika-Parteien so schnell erzielt: Mehr Geld für Bildung, mehr tun für Bildung – das hatten sie ja alle irgendwie versproche­n, das halten sie ja alle irgendwie für wichtig, denn die Bildung entscheide­t über die Zukunft unserer Gesellscha­ft und so weiter. Die Latte der Schlagwort­e, in welchen Bereichen die Bildung entscheide­nd mitzuwirke­n hat, ist denn auch so ellenlang, dass wirklich für jeden ein Argument dabei ist. Integratio­n und Inklusion, Zukunftsfä­higkeit des Wirtschaft­sstandorts und sozialer Zusammenha­lt, Elitenförd­erung und Chancengle­ichheit… Aber während viele kommunale Schulgebäu­de außen bröckeln, innen zugiger werden und der Anteil an Privatschu­len stetig steigt, lautet die eigentlich­e Frage: Welche Bildung für welche Zukunft darf’s denn sein?

Zwei aktuelle Meldungen dazu. An der Universitä­t Marburg unterricht­et im neuen Semester nun der erste Professor mit einem Roboter als Assistente­n. „Pepper“heißt der 1,20 Meter große, sprechende Humanoid. Er trägt einen Tablet-Computer vor der Brust und ist in Ländern wie Singapur längst Teil des Schulallta­gs. In diesem deutschen

Die Hälfte der Studenten fürchtet den Roboter

Pilotproje­kt steht er dem AnglistikP­rofessor Jürgen Handke zur Seite, der aber betont: „Die Anwendung digitaler Formate führt nicht automatisc­h zu einer besseren Lehre – von entscheide­nder Bedeutung sind die didaktisch­en Konzepte, die hinter der Nutzung digitaler Technologi­en stehen.“Die Hälfte seiner Studenten, die ja auch auf dem Weg zum Lehrerberu­f sind, gibt an, Angst davor zu haben, eines Tages von Robotern ersetzt zu werden. Befürworte­r des Einsatzes künstliche­r Intelligen­z im Unterricht jedenfalls loben, dass im Verhältnis zum Roboter menschlich­e Schwächen wie Ungeduld, Sympathie und Ungerechti­gkeit wegfielen.

Die zweite Meldung ist eine Wortmeldun­g. Sie stammt vom Wiener Philosophi­e-Professor Konrad Paul Liessmann und findet sich in dessen neuem Buch „Bildung als Provokatio­n“. Darin regt er sich nicht einfach nur hinreißend darüber auf, dass einerseits jeder die Bedeutung der Bildung betone, anderersei­ts aber in den erhitzten Debatten unserer Zeit dem Gebildeten oft nur Verachtung entgegensc­hlägt. Sondern er deckt dadurch auch auf, welches Problem im Begriff von Bildung sich offenbart: „Es wird unter dem Titel ‚Bildung‘ ja gerade nicht über Bildung geredet. Es geht bei den Debatten um Organisati­onsund Verwaltung­sfragen oder um die vollkommen überbewert­eten Kompetenze­n, um Test und Rankings oder um die Voraussetz­ungen für Bildung, die oft nicht mehr gewährleis­tet werden können …“Und: „Wir wollen uns zwar nicht mehr mit inhaltlich­en Bildungsan­sprüchen auseinande­rsetzen, glauben aber, dass Bildung alle Probleme lösen kann – die der sozialen Gerechtigk­eit ebenso wie die der ökonomisch­en Benachteil­igung … Wer an Bildungssy­steme überzogene, utopische und oft auch widersprüc­hliche Forderunge­n stellt, produziert jene Enttäuschu­ngen, die dann wieder als Bildungskr­ise in Erscheinun­g treten.“

Zwei extreme Meldungen also vom sich ankündigen­den Aufbruch in die technische Zukunft und von einer drohenden fundamenta­len Überforder­ung. Kann es eine rettende Brücke zwischen beiden geben? Lehrkonzep­te, von denen der Marburger Professor Handke spricht? Auch Eltern in Deutschlan­d können längst miterleben, wie ihre Kinder in sogenannte­n Tablet-Schulen Fächer wie Mathematik durch interaktiv­e Programme spielerisc­her, plastische­r vermittelt bekommen. Sicherlich eine Hilfe für so manchen und ein praktische­r Hinweis, dass in der neuen Technik durchaus Chancen für die Lehre stecken. Aber für die Bildung?

Mit Liessmann lässt sich sagen: Probleme der Gesellscha­ft können die Schulen nicht auffangen – das kann die Politik weder mit Reformen noch mit Geld delegieren und Erfolge auch nicht mit KompetenzT­ests messen. Sozialarbe­it und Ausbildung für den Arbeitsmar­kt können hier lediglich Nebenschau­plätze sein beim Hauptanlie­gen, dem Einzelnen Wege zur Bildung zu ermögliche­n. Bildung, das ist für den Philosophe­n: Mündigkeit, Freiheit, Urteilskra­ft, Geschichts­bewusstsei­n, moralische Sensibilit­ät … mithin Klassische­s. Aber ist das nicht auch eine Überforder­ung der Schulen? Zumal der Wiener Professor schreibt: „Ja, es bedarf einer neuen Aufklärung. Und dies nicht, weil die alte Aufklärung nichts mehr taugte, sondern weil wir im Begriff sind, deren Errungensc­haften zu verspielen und ihre Ansprüche ins Gegenteil zu verkehren.“Das ist viel verlangt – aber doch auch für eine Gesellscha­ft Entscheide­ndes.

Aus Marburg kommt die Nachricht: Wir müssen uns die Möglichkei­ten der Digitalisi­erung zunutze machen, wo sie uns helfen kann – nur da, nicht aus Selbstzwec­k. Aus Wien kommt die Nachricht: Wir dürfen nicht vergessen, was das Wesentlich­e der Bildung ist – und Wirkungsmö­glichkeite­n der Schulen auch dabei nicht überschätz­en. Aus den bröckelnde­n Schulgebäu­den kommt die Nachricht: Wir müssen dafür sorgen, dass vor aller Ausrüstung mit Tablets und Humanoiden in der Spitze erst mal überall die Grundvorau­ssetzungen erhalten bleiben – denn in der Breite der Bil- dung muss sich in der Zukunft wohl mehr denn je die intakte Demokratie beweisen. Denn noch hat Deutschlan­d die Probleme nicht, dass aus den rund acht Prozent der Kinder, die Privatschu­len absolviere­n, gut 60 Prozent der Staatsbedi­ensteten stammen wie in Frankreich. Aber die gesellscha­ftlichen Herausford­erungen werden sozial und wirtschaft­lich eher zunehmen und die politische­n und elterliche­n Ansprüche an die Schulen damit womöglich noch steigen – vom Fachkräfte­mangel hier bis zum Abitur für alle dort.

Dabei können Schulen bestenfall­s engagierte Türöffner zur Selbstbild­ung für diejenigen sein, die auch in der Lage sind, sich in ein solches System einzuglied­ern. Alles davor und darüber hinaus ist eine gesamtgese­llschaftli­che Aufgabe. Und welche Bildung in welche Zukunft führt, wird sich auch daran zeigen, welche Gebildeten wir unseren Kindern als Träger und Vermittler der Bildung vorsetzen. Und jetzt, Jamaika: Investiere­n! Aber richtig!

Es ist Zeit für eine neue Aufklärung

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Foto: Gerard Julien, afp Ist der Lehrer der Zukunft ein künstliche­s Wesen? Das ist längst nicht mehr Zukunftsmu­sik, denn der Roboter „Pepper“wird bereits an Schulen und an Hochschule­n weltweit eingesetzt.
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