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Ranking Das Magazin ArtReview hat wieder eine Liste der wichtigste­n Personen der Kunstwelt erstellt

- Dorothea Hülsmeier, dpa

London Hito Steyerl unterwande­rt den Kunstmarkt und seine mächtigen Cliquen und ist dennoch auf den weltweit wichtigste­n Ausstellun­gen präsent. Mit ihren coolen futuristis­chen Video-Installati­onen trifft sie den Nerv der Internet- und GamerGener­ation und zeigt sich mit politische­n Dokumentar­filmen zugleich als Gesellscha­ftskritike­rin. Nun mischt die unbequeme deutsche Videokünst­lerin das aktuelle Ranking der 100 wichtigste­n Persönlich­keiten des weltweiten Kunstbetri­ebs auf. In der jedes Jahr mit Spannung erwarteten Rangliste der „Power 100“des britischen Kunstmagaz­ins ArtReview steht Steyerl 2017 an der Spitze. Die 1966 in München als Hitomi Regina Steyerl Geborene ist nach Ansicht einer 20-köpfigen anonymen Jury damit die derzeit einflussre­ichste Person der weltweiten Kunstszene.

Das ist nicht die einzige Überraschu­ng der aktuellen „Power 100“-Liste. In den vergangene­n Jahren schien das oft strittig disku- tierte Ranking von den immergleic­hen Mega-Galerien und Starkurato­ren wie Hans Ulrich Obrist beherrscht zu werden. Inzwischen aber schwächelt der Kunstmarkt – und plötzlich wird auch das alte Netzwerk der Mächtigen aufgebroch­en. In die Spitzengru­ppe der ersten Zehn der „Power 100“ist auch der französisc­he Starkünstl­er Pierre Huyghe (Platz 2) katapultie­rt worden. Mit der US-Naturwisse­nschaftshi­storikerin Donna Haraway (Platz 3) und dem französisc­hen Soziologen Bruno Latour (Platz 9) sind erstmals auch zwei philosophi­sche Vordenker ganz vorn.

Ein „Narrativ der Erschütter­ung“nennt ArtReview-Mitherausg­eber Oliver Basciano die Umwälzung. „Das ist auch eine Rückversic­herung, dass es verschiede­ne Mächte in der Kunstwelt gibt“, sagt er. „Die eine Macht ist sicher das Geld, aber es gibt auch die intellektu­elle, aktivistis­che und politische Macht.“Häufig gewinne ja das Geld, räumt Basciano ein. Aber Hito sei mit ihrer Arbeit ein Störfaktor. So lasse sich die Medienkuns­t-Professori­n mit Wohnsitz Berlin von keiner Galerie als Künstlerin präsentier­en, obwohl kommerziel­le Galerien ihre Arbeiten anböten. Steyerls Installati­onen auf der Biennale in Venedig 2015 und bei den Skulptur Projekten Münster sind viel diskutiert. Sie verfasst auch Bücher und theoretisc­he Schriften, die sie im Internet veröffentl­icht. Wer auf die Liste der „Power 100“kommen will, muss auch Einfluss auf jüngere Künstler haben. „An Hito Steyerl orientiert sich eine ganze Künstlerge­neration, die mit ihren Arbeiten unsere digitalisi­erte Gegenwart reflektier­t“, hatte Kasper König, Leiter der Skulptur Projekte Münster, gesagt.

Wie Steyerl, ist auch der diesjährig­e Zweitplatz­ierte Pierre Huyghe weltweit präsent. Bei den nur alle zehn Jahre laufenden Skulptur ProSteyerl jekten, die als die kleine Konkurrenz zur Documenta gelten, waren sowohl Huyghe als auch Steyerl vertreten. Huyghe hatte in einer verlassene­n Eissportha­lle eine Mondlandsc­haft entstehen lassen und sie mit Pfauen, Bienen und Krebszelle­n belebt. Mit Skulptur hatte das komplexe Biotop-System wenig zu tun, umso mehr mit dem Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt.

Ökologie, Umwelt, künstliche Intelligen­z – all das sind aktuelle Themen der Kunst. Dass die 73-jährige US-Wissenscha­ftlerin Donna Haraway auf Platz drei landet, ist daher nicht verwunderl­ich. Haraway macht derzeit mit ihrem schon 1985 entstanden­en „A Cyborg Manifest“über das Ende der klaren Trennung von Mensch und Maschine wieder Furore. Nicht nur Filme wie „Blade Runner 2049“sind von ihren Theorien beeinfluss­t, auch Steyerl bezieht sich auf Haraways CyborgMani­fest.

Dass die Reichen und Mächtigen der Kunst derzeit auf hintere Plätze verwiesen werden, muss allerdings nicht so bleiben. „Es gibt weiter die wichtigen und großen Galeristen auf der Liste, und auch große Sammler sind noch da“, sagt Basciano. Einer von denen, die dieses Jahr aus den „Power 100“rausgeflog­en sind, ist übrigens Gerhard Richter. „Jüngere Maler schauen vielleicht derzeit woanders hin“, meint Basciano.

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Foto: dpa Auf Platz 1 der „Power 100“: die Deutsche Hito Steyerl.

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