Mittelschwaebische Nachrichten

Das dunkle Geheimnis der Filmbranch­e

Gibt es die „Besetzungs­couch“wirklich? Werden auch in Deutschlan­d Schauspiel­erinnen missbrauch­t? Eine Casterin sagt: Ja. Und meint, dass es Tätern zu leicht gemacht wird

- Interview: Josef Karg Rupert Huber

Frau El-Giamal, ist die berühmt-berüchtigt­e „Besetzungs­couch“bei der Vergabe von Film- oder Fernsehrol­len Alltag in Deutschlan­d? Karimah El Giamal: Ich meine nein, zumindest glückliche­rweise nicht in den Projekten, mit denen ich bisher zu tun hatte. Es mag aber sein, dass es in anderen Bereichen anders läuft. Das Wort „Besetzungs­couch“kenne ich nur aus dem scherzhaft­en Kontext.

Aber anderersei­ts steht das Thema Missbrauch überdeutli­ch im Raum. El Giamal: Natürlich, Machtmissb­rauch, im schlimmste­n Fall sexueller Missbrauch, ist ein trauriger Bestandtei­l des Schauspiel­er-Lebens, aber das kann man nicht nur auf die Besetzungs­frage reduzieren. Tatsache aber ist, im Theater- und Filmbereic­h hat man mit extremen Abhängigke­iten zu tun. Und es ist wirklich bedenklich, was Macht aus Menschen macht.

Können Sie konkreter werden? Wo passiert was? El Giamal: Das passiert auf allen Ebenen. Die Hierarchie ist im Filmbereic­h sehr ausgeprägt. Dazu kommt: Die Atmosphäre, in der Film oder Theater passieren muss, ist eine extrem intime. Wenn da jemand seine Macht einsetzt, dann kann es schnell zum Missbrauch kommen. Das wird den potenziell­en Tätern auch leicht gemacht.

Warum ist das so? El Giamal: Weil Einzelpers­onen so viel Entscheidu­ngsmacht über die Karrieremö­glichkeite­n anderer haben. Es ist de facto so: Es gibt einige wenige, die fast alles entscheide­n. Die natürliche Folge ist, dass Schauspiel­er und insbesonde­re Schauspiel­erinnen ein möglichst gutes Verhältnis zu diesen Personen aufbauen wollen. Denn sie wollen ja möglichst viele, möglichst tolle Rollen spielen. Wer so viel Macht zugesproch­en bekommt, der kann diese Macht halt auch ausnutzen. Und da werden Grenzen überschrit­ten. Für die Be- troffenen ist es in dieser Situation sehr schwer, Stopp zu sagen. Wenn man zudem Angst haben muss, dass man Nachteile erleidet, wenn man sich gegen Machtmissb­rauch auflehnt, fällt es Betroffene­n schwer, sich zu wehren.

Wie kann man das verhindern? El Giamal: Man muss einen Draufblick auf die Situation schaffen, sodass alle, die mit der Filmproduk­tion zu tun haben, genauer hingucken. Ich würde anregen, dass man eine Art freiwillig­e Selbstkont­rolle in Produktion­en einführt.

Wie könnte die aussehen? El Giamal: Es müssten in jeder Produktion zwei Vertrauens­personen aus dem Team ausgewählt werden, die als Ansprechpa­rtner für dieses Thema zur Verfügung stehen.

Was kann noch getan werden? El Giamal: Wir müssen bei den Besetzunge­n einfach auch als Caster selbst mehr die Augen offen halten und dürfen nicht mehr wegsehen. Denn wir müssen gerade junge Schauspiel­erinnen und Schauspiel­er bei Besetzungs­gesprächen darauf hinweisen, dass sie nicht an Versprechu­ngen glauben und dafür eine Gegenleist­ung erbringen. Das müsste gerade auch an Schauspiel­schulen thematisie­rt werden.

Wie soll sich denn eine junge Schauspiel­erin verhalten? El Giamal: Sie soll sich auf jeden Fall wehren. Denn den Mund zu halten, ist das Schlechtes­te, was jemand machen kann, auch wenn es unheimlich schwer ist, über so ein Thema zu sprechen. Man kann sich dazu aber an den Schauspiel­verband oder an uns Caster wenden.

Warum wurde das Thema Missbrauch überhaupt so lange totgeschwi­egen? El Giamal: In der Tat ist das Schweigen ein Problem. Ich hatte auch mal einen Fall mit einem Auftraggeb­er, der sich sehr grenzübers­chreitend verhalten hat. Da stand ich gemeinsam mit einem Kollegen im Konflikt und wir wussten nicht, mit wem wir darüber reden können oder welche Maßnahmen wir am besten ergreifen sollen. Man muss über Hemmschwel­len, um es nach außen zu tragen, weil das ja auch immer etwas mit den Betroffene­n macht – gerade, wenn man in der Öffentlich­keit steht. Viele Täter werden nicht zur Rechenscha­ft gezogen, weil sich die Opfer hilflos fühlen und nicht wissen, was sie tun sollen.

Die andere Seite sind Falschbesc­huldigunge­n, wie wir sie in Fällen wie dem von Jörg Kachelmann erlebt haben. El Giamal: Ja klar. Wenn so eine Beschuldig­ung mal im öffentlich­en Raum ist, kann das für die Betroffene­n eine Katastroph­e sein. Die kommen ja nicht mehr auf die Füße. Das ist ein schwierige­s Thema. Und es beginnt schon bei der Frage: Wo fängt Machtmissb­rauch an?

Wann fängt er denn an? El Giamal: Das kann man nicht pauschal sagen, das empfinden Betroffene sehr individuel­l. Jede Frau empfindet das anders. Auch auf der Täterseite ist es eine Frage des Schuldempf­indens: Es gibt ja Männer, die permanent über Sexualität witzeln. Die werden manches lange nicht als Belästigun­g werten.

Der Schauspiel­verband BFFS bietet auf seiner Internetse­ite Opfern an, ihren Fall anonym zu schildern. Gibt es erste Erfahrunge­n? El Giamal: Mir ist noch nicht bekannt, wie die Plattform bisher genutzt wurde. Aber die Möglichkei­t, sich anonym zu offenbaren, macht es für viele sicherlich einfacher, zu reden.

Karimah El Giamal arbei tet als Casterin in Leipzig und besetzt Film und TV Rollen. Sie ist Mitglied im Bundesverb­and Casting. wird, gehört er zu den Verdächtig­en. Wer sich an die entführte und ermordete Maria Bögerl aus Heidenheim erinnert, liegt nicht falsch. Parallelen einschließ­lich der Ermittlung­spannen sind unverkennb­ar und wohl auch beabsichti­gt.

Derweil entpuppt sich die jüngere Kollegin Frauke Schäfer (Susanne Bormann) als Rivalin, die einerseits den Kleidungss­til der Älteren imitiert, aber auch die Chance sieht, die angeschlag­ene Lindholm beim Chef auszustech­en. Solidaritä­t unter Frauen sieht anders aus. Einmal zeigt Schäfer ihr hinter dem Rücken den Stinkefing­er.

Der 25. Lindholm-Fall wirkt trotz einiger Gewaltszen­en in puncto Story und Tempo ein wenig wie eine „Derrick“-Folge. Wäre da nicht die nervöse LKA-Frau mit den ungewasche­nen Haaren, der man den Fall entzieht. „Sie sehen aus wie ein gerupftes Huhn“, sagt der Chef. „Tatort“-Fans seien gewarnt: Ein glasklares Ende gibt es nicht. Aber einen guten Schauspiel­er-Krimi.

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Foto: NDR/Mehden Rivalinnen: Frauke Schäfer (Susanne Bormann, links) und Charlotte Lindholm (Maria Furtwängle­r).
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