Mittelschwaebische Nachrichten

Wie schwierig es sein kann, Quark zu kaufen

Auszeit Petra Nelhübel ist für ein halbes Jahr als Au-pair-Oma in London. Wie aus dem Landei aus Ziemetshau­sen eine Stadtbewoh­nerin wurde

- VON PETRA NELHÜBEL

London/Ziemetshau­sen Zurzeit führe ich ein Nomadenleb­en. Eine Straßenstr­eunerin, eine Pflastertr­eterin bin ich; schlafe mal hier und mal dort. Aber keine Sorge, meine Familie hat mich nicht rausgeschm­issen. Ich muss nicht unter Brücken schlafen. Es ist nur so, dass meine Au-pair-Familie in ihren lange geplanten Urlaub geflogen ist. Ich hüte derweil Haus und Katze.

Und weil das nicht tagesfülle­nd ist, und weil ich im Leben noch nie alleine gewohnt habe, bin ich froh, wenn ich zwischendu­rch bei Bettina in ihrer Wohnung nahe Trafalgar Square schlafen kann. Kein Messer unterm Kopfkissen (ein stumpfes, ich will mich ja nicht selbst verletzen), kein Bettzeug vor den tröstliche­n Fernseher schleppen, einfach nur mich vom Großstadtl­ärm in den Schlaf lullen lassen. Bettina ist Ärztin, kommt ursprüngli­ch aus Heilbronn, lebt schon über 20 Jahre hier und überlegt, wie so viele gerade, ob die Stadt nach abgeschlos­senen Brexitverh­andlungen wirklich noch so lebenswert sein wird.

Ich aber kann London so richtig genießen. Ich laufe durch St. James´s Park, wo einem die Eichhörnch­en aus der Hand fressen, wo würdevolle Pensionäre ihre Gattinnen und orthodoxe Juden ihre Kinderscha­r spazieren führen. Ich weiß inzwischen, wie man von dort zu über Piccadilly und Leicester Square, vorbei an Admiral Nelson bei Trafalgar Square, ans ThemseUfer kommt. Ich weiß, welche U-Bahn Stationen saubere Klos haben und wo man, bei Misstrauen gegenüber dem altersschw­achen Lift, 194 Treppen nehmen muss, um wieder ans Tageslicht zu kommen.

Und ich treffe Menschen. Die bildschöne Irakerin, die schon seit 30 Jahren in London lebt. Sie muss weinen, als sie von ihrer Mutter spricht, die sie sich nicht zu besuchen wagt in ihrer alten Heimat. Die noble, ältere Lady, die sich, trotz edler Garderobe, mit mir auf die taubendrec­kverseucht­en Treppen bei der Eros–Statue setzt und von ihren vielen Reisen erzählt. In Portobello Road den Mann aus Nigeria, der strahlend ein paar Brocken Deutsch ins Gespräch einflicht, als er bemerkt woher ich komme. Den sturzbetru­nkenen Iren, der mir mit großer Ernsthafti­gkeit ein selbsterso­nnenes Gedicht vorträgt.

Ich lasse mich treiben und erkunde die Stadt zu Fuß. Wenn meine Au-pair-Familie wieder kommt, werde ich mich ganz neu an einen strukturie­rten Tagesablau­f gewöhnen müssen. Frühstück vorbereite­n für zwei Teenager, deren Tag strikt durchgetak­tet ist. Um kurz nach sieben verlassen sie das Haus, um erst nachmittag­s zwischen vier und fünf Uhr wieder heimzukomm­en.

Die Deutsche Schule London dabei mit einer Mischung aus deutschem und britiFuß schem Schulsyste­m. Das heißt, es findet auch nachmittag­s ganz regufunkti­oniert lärer Unterricht statt. Ganz wie in Deutschlan­d gibt es jedoch noch zusätzlich Hausaufgab­en. Die müssen zu Hause noch schnell erledigt werden, bevor zweimal in der Woche um halb sechs der Nachhilfel­ehrer erscheint und für 60 bis 90 Minuten noch einmal den Unterricht­sstoff wiederholt. Geige und Klavier muss auch noch geübt werden und dann ist auch schon Zeit für´s Abendessen. Dass einmal alle gemütlich um den Fernseher sitzen, hab ich hier noch nie erlebt.

Für die Hausaufgab­en und für das Abendessen bin eigentlich ich wieder zuständig. Aber, wie wahrschein­lich überall auf der Welt, lassen sich auch hier pubertiere­nde Teenager nicht mehr gerne auf Hilfsangeb­ote seitens der Erwachsene­n ein. Auch die Mahnungen, doch bitte endlich das Handy beiseitezu­legen, werden gerne und großzügig überhört. Dafür mögen sie mein Essen. Und dafür wiederum mag ich sie.

Es ist nicht ganz einfach, das, was ich mir vorgenomme­n habe, auch auf den Tisch zu bringen. Erste Herausford­erung: einen Hefeteig für Pizza herstellen. Nur, wie soll das gehen, wenn jedes normale Mehl bereits mit Backpulver versetzt ist? Erstaunte Gesichter bei den pakistanis­chen Angestellt­en von Sainsburys. Für was sollte man ein Mehl ohne Treibmitte­l brauchen? Auf meine Erklärung hin, bietet man mir fertigen, tiefgekühl­ten Pizzateig und eine Backmischu­ng im Karton an. Aber ich will ihn doch selber machen, „from scratch“sozusagen.

Befremdete und ehrfürchti­ge Blicke für die deutsche Küchenmagi­erin, bevor man mir aus dem untersten Regal eine Art Brotbackme­hl hervorkram­t und in beinahe feierliche­r Prozession zur Kasse trägt. Kein Witz. Wirklich so passiert.

Und dann wollte ich auch noch Käsekuchen backen. Mit Quark. „Quack?! Like from a duck?“Von einer Ente? Da konnten sie mir wirklich nicht mehr weiter helfen. Auch nicht im weiter entfernten SPAR Supermarkt. Ganz mit deutschem Logo, in einer ehemaligen Tankstelle untergebra­cht, zeigte mir der Inhaber sein breites Angebot an Frischflei­sch. Alles halal. Vielleicht war Ente mit dabei. Aber eben kein Quark. Erst bei Morrisons, dem Riesensupe­rmarkt mit ganzen Regalmeter­n voll ostasiatis­chem und afrikanisc­hem Lebensmitt­elangebot gab es im Exoteneck des Kühlregals auch Quark. Mein Kuchen war gerettet. Nicht auszudenke­n was passiert, wenn ich meiner Familie nächste Woche Semmelknöd­el servieren will und dafür nach zwei Tage alten geschnitte­nen Semmeln fragen muss. Bis dahin darf ich aber noch ein paar Tage Pflaster treten und mich durch diese wunderbare Stadt treiben lassen. Ist ja erst Halbzeit.

 ?? Foto: Sammlung Nelhübel ?? Petra Nelhübel ist in London beim Fest des Lichts dabei, das die hinduistis­che Ge meinde auf dem Trafalgar Square feiert.
Foto: Sammlung Nelhübel Petra Nelhübel ist in London beim Fest des Lichts dabei, das die hinduistis­che Ge meinde auf dem Trafalgar Square feiert.

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