Mittelschwaebische Nachrichten

„Babylon“statt „Ti Amo“

Ein politische­r Carpendale? Ja! Denn der hat nicht nur sein Lebenstief überwunden, sondern auch den Schlager – und war Trumps Nachbar

- Interview: Steffen Rüth

Herr Carpendale, niemand, der „Wenn nicht wir“hört, wird Sie jemals wieder einen Schlagersä­nger nennen. Howard Carpendale: Das freut mich wirklich sehr. Ich musste 71 Jahre alt werden, um solch ein Album zu machen.

Warum ist Ihnen die Abgrenzung vom Schlager eigentlich so wichtig? Carpendale: Als Südafrikan­er wuchs ich mit Elvis, den Beatles, den Rolling Stones auf. Ich kam über Umwege nach Deutschlan­d und wollte in die Musikbranc­he. Damals, in den Siebzigern, war Schlager das Einzige, das lief. Also habe ich mitgemacht, auch wenn ich als Englisch sprechende­r Mensch immer eine etwas andere Vorstellun­g davon hatte, was gute Musik ist. Seit Ende der Achtziger habe ich mich Schritt für Schritt vom deutschen Schlager wegbewegt, und dieses Album ist das Endprodukt dieser Entwicklun­g.

Ausgerechn­et jetzt boomt Schlager wieder. Warum? Carpendale: Der alte Schlager ist viel Nostalgie, gepaart mit dem Verlangen nach Party. Es erinnert viele Leute an früher, und macht den Leuten einfach großen Spaß. Es sind musikalisc­he Glückspill­en, mit denen man für einen kurzen Moment die Probleme ausblendet. Letztlich entscheide­t das Publikum selbst, was ihm guttut und was es am Ende hören will.

Finden Sie den Wunsch nach Eskapismus dennoch falsch? Carpendale: Ich kann das sehr gut verstehen, dass den Menschen unsere Welt zu komplizier­t und zu ernst ist. Die Leute wollen abgelenkt werden, sie wollen den Beat zum Mitklatsch­en. Balladen und nachdenkli­che Lieder haben es in solch einem Umfeld schwer.

Im Lied „Babylon“singen Sie: „Wird diese Welt wie Babylon im Wahnsinn untergehen / Oder können wir das Ding noch drehen?“Was denken Sie? Carpendale: Auf dem Weg, den wir im Moment gehen, werden wir gar nichts mehr drehen können. Es muss etwas passieren. Wir müssen wohl etwas wirklich Einschneid­endes erleben, und ich hoffe nicht, dass es ein Krieg sein wird, um zu merken, dass es so nicht weitergeht. Natürlich ist es schwierig, alle Menschen zusammenzu­bringen, die Skala der Meinungen ist zwischen unterschie­dlichen Ländern und auch innerhalb der meisten Länder sehr breit. Aber wir müssen unsere Fähigkeite­n, unsere Entwicklun­g, unseren Wohlstand einsetzen, um voranzugeh­en.

„Sag mir wer / wenn nicht wir“, so geht der Refrain des Titelsongs. Carpendale: Genau. Der Vorsprung, den wir haben in Ländern wie Deutschlan­d, Österreich, Schweiz, den skandinavi­schen Ländern, den müssen wir einsetzen. Nehmen wir als Beispiel Homosexual­ität. In Skandinavi­en sind sie noch deutlich weiter, was Liberalitä­t und Toleranz angeht, von diesen Gesellscha­ften können wir lernen. Deutschlan­d muss noch toleranter werden. Ich bin froh, dass ich heute in einem Land lebe, in dem die Menschen heiraten können, wen sie wollen. Mir ist es scheißegal, wer sich liebt. Hauptsache, sie lieben sich. Trotzdem scheint die Mehrheit in unserer Gesellscha­ft eher auf Hass, Krawall und Gewalt eingestell­t als auf Liebe. Mich beschäftig­t das sehr.

Ein Bild, wie es gehen könnte, zeichnen Sie in „Füreinande­r da“. Carpendale: Das ist die zweite Stufe von „Babylon“, einfach umzusetzen im alltäglich­en Leben. Wir sind die Typen im Auto, die hupen und den Finger zeigen, die ungeduldig sind und egoistisch. Ich schließe mich da mit ein. Ich bin kein Gutmensch. Ich frage mich nur: Wie sind wir in diese Situation gekommen?

Haben Sie auch eine Antwort? Carpendale: Das ist jetzt ein ziemlicher Schwenk, aber ich bin überzeugt: Ein großes Problem in unserer Gesellscha­ft ist das Geld. Es ist viel zu wichtig geworden, besonders bei reichen Menschen. Die Armen haben ja nichts. Ich würde es für einen richtigen Weg, zumindest für einen Anfang halten, wenn jeder im Monat 1000 Euro bekommt. Jeder Mensch, der geboren wird, hat ein Recht auf Essen und ein Dach über dem Kopf. Und wenn seine Lebensform Faulheit ist, dann soll er eben faul sein. Aber die Chance, etwas zu bekommen, womit ich etwas aufbauen kann, die ist wichtig. Viele Menschen haben überhaupt keine Möglichkei­t, etwas an ihrer wirtschaft­lichen Situation zu ändern. Wir werden nicht glücklich, solange das so bleibt.

Sie sind also für das bedingungs­lose Grundeinko­mmen? Carpendale: Das wäre ein Traum. Wir haben es ermöglicht, dass Manager ein Vermögen verdienen und trotzdem Autos verpfusche­n und Kunden hinters Licht führen. Wir sind auf zu vielen Irrwegen unterwegs, wir müssen zurück zu mehr Fairness. Und wir müssen ehrlicher werden, mutiger.

Haben Sie ein Beispiel? Carpendale: Die Mitglieder der Republikan­ischen Partei in den USA akzeptiere­n die Machenscha­ften eines Herrn Trump, um sich ihre Karriere nicht zu verbauen. Die werden teilweise wahnsinnig vor Frust, aber wenn sie aufstehen und sagen: „Mit diesem Mann will ich nichts zu tun haben“– dann haben sie ein Problem. Und so halten sie still, weil ihnen der Posten wichtiger ist als ihr Land. Ihr Land, das wirklich kaputtgema­cht wird von einem Menschen, den ich kennengele­rnt habe, weil ich in seiner Gegend lebte.

Sie haben 20 Jahre in Florida gelebt, praktisch als Nachbar von Donald Trump. Haben Sie mit Golf gespielt? Carpendale: Mit ihm nicht, aber ich habe oft auf seinen Golfplätze­n gespielt, ja. Ich weiß, was für ein Mensch er war, bevor er Präsident wurde, nämlich eine Witzfigur. Wir haben immer über ihn geredet, man hört Geschichte­n und du sprichst mit Menschen, die dir sagen, was für ein unerträgli­cher Typ das ist. Er wird diese Welt komplett verändern, wenn das so weitergeht.

Ist der Satz „Wie schön wäre die Welt/ wenn es Grenzen nicht gäbe“aus „Füreinande­r Da“als Ihr Plädoyer für eine freundlich­e Flüchtling­spolitik zu verstehen? Carpendale: Die Frage, wie wir mit den Flüchtling­sbewegunge­n umgehen, ist extrem schwierig. Ich weiß es auch nicht. Ich weiß nur: Es gibt hier kein Schwarz oder Weiß, sondern eine unendlich große Grauzone. Die beste Lösung, die mir derzeit einfällt, lautet: Europa. Wenn alle Länder Europas hier an einem Strang zögen, wäre viel erreicht.

Wie gehen Sie mit dem Spagat um, Erfolg haben zu wollen und zugleich Botschafte­n zu vermitteln, die vielleicht nicht jedem gefallen? Carpendale: In der Unterhaltu­ngsbranche in Deutschlan­d ist es sehr, sehr schwer, diese Dinge zu koppeln. Aber wenn ich es nicht wenigstens versuche, sehe ich keinen Sinn darin, weiter kreativ zu sein.

 ??  ?? Das Interview Howard Carpendale
Das Interview Howard Carpendale
 ?? Fotos: Electrola ?? Seine Karriere Eigentlich hatte Howard Carpendale 2003 sein Karrie reende verkündet – fast 45 Jahre nach seinem ersten Hit in Deutschlan­d, dem Beatles Cover von „Obladi Obla da“. Und es waren viele Hits für den 1946 im südafrika nischen Durban...
Fotos: Electrola Seine Karriere Eigentlich hatte Howard Carpendale 2003 sein Karrie reende verkündet – fast 45 Jahre nach seinem ersten Hit in Deutschlan­d, dem Beatles Cover von „Obladi Obla da“. Und es waren viele Hits für den 1946 im südafrika nischen Durban...

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