Mittelschwaebische Nachrichten

Fluch oder Segen?

Ein Gespräch mit Benjamin Dierig über Industrieb­rachen und smarte Nutzungsmö­glichkeite­n

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In Deutschlan­d verändern sich die Wirtschaft und die Gesellscha­ft dynamisch. Alte Industrien werden verlagert, die Digitalisi­erung verändert die Arbeitswel­t. Augsburg gehört zu den Gewinnern der Entwicklun­g. Die Stadt wächst und steht vor der Notwendigk­eit, Wohnraum und Arbeitsplä­tze zu schaffen und zugleich ein attraktive­s und grünes Stadtbild zu erhalten. Ein Lösungsans­atz besteht in der Revitalisi­erung historisch­er Industriea­reale. Dank der langen Industrieg­eschichte hat die Fuggerstad­t große Industrief­lächen, die vielfach oft auf beispielha­fte Weise einer neuen Nutzung zugeführt wurden.

Ein Investor, der sich auf diesem Feld betätigt, ist der Dierig-Konzern, der in den 1960er-Jahren nicht nur das größte Textilunte­rnehmen Augsburgs, sondern ganz Deutschlan­ds war. Mit der Branchenkr­ise kam Dierig zum Immobilien­geschäft. Als in den 1990er-Jahren die Textilprod­uktion aus Kostengrün­den ins Ausland verlagert werden musste, besaß das Unternehme­n große und zu großen Teilen mit Denkmalsch­utz belegte Fabriken.

Das neue Geschäftsm­odell bestand darin, die Konzernimm­obilien anderweiti­g zu nutzen. Zwischenze­itlich hat Dierig auch fremde Flächen wie den historisch­en Teil des Augsburger Schlacht- und Viehhofs zugekauft. Binnen weniger Jahre und dank Investitio­nen in zweistelli­ger Millionenh­öhe verwandelt­e sich die Industrieb­rache zum prämierten Schlachtho­fQuartier. Andreas Thiel von der Regio Augsburg Wirtschaft GmbH sprach darüber mit dem Immobilien­experten Benjamin Dierig.

Herr Dierig, ist der Denkmalsch­utz auf historisch­en Immobilien Fluch oder Segen? Benjamin Dierig: Keines von beidem, sondern eine Materie, die speziellen Regeln unterliegt. Wenn man sich an die Regeln hält, ist vieles machbar. Natürlich kostet es mehr, bei der Sanierung mit den Materialie­n zu arbeiten, die schon zur Bauzeit eingesetzt wurden. Am Ende kommt dafür etwas Stimmiges heraus, das sich besser vermarkten lässt. Außerdem verlangt der Denkmalsch­utz nichts Unmögund liches, sondern ist meist kompromiss­bereit. Inwiefern kompromiss­bereit? Dierig: Ein Beispiel: Historisch­e Gebäude sind selten barrierefr­ei. Hier trifft also der Wunsch nach Inklusion von Menschen mit Behinderun­g auf die Absicht, historisch­e Bauwerke authentisc­h zu erhalten. Oder der Themenbere­ich Ökologie und Klimaschut­z: Alte Gebäude sind schlecht oder gar nicht wärmeisoli­ert. Die Kunst besteht darin, Lösungen zu finden, die unterschie­dliche Interessen in Einklang bringen. Wenn es gut gemacht wird, lassen sich barrierefr­eie Zugänge schaffen und auch ein Vollwärmes­chutz an einer denkmalges­chützten Fassade ist möglich.

Wie gehen Sie bei der Umwidmung von Standorten vor? Dierig: Mit einer Mischung von Planung und Pragmatik. Ein Standort braucht ein bestimmtes Profil, um für bestimmte Mieter interessan­t zu sein. Das Profil muss zum Umfeld passen und definiert sein, aber Spielräume offenlasse­n. Deshalb lautet das Leitmotiv des Schlachtho­fQuartiers nicht Gastronomi­e, sondern Ernährung und Wohlbefind­en. Deshalb hätte ein Shop für edles Küchengerä­t auf den Standort gepasst – nur ist das Quartier inzwischen fast voll belegt. Entwicklun­gspotenzia­l steckt letztlich noch in der aktuell laufenden Entwicklun­g eines Neubauproj­ekt für hochwertig­e Büros mit Blick auf den Proviantba­ch. In Kempten sind wir einen anderen Weg gegangen. Die dortige Klammer ist die Medienfabr­ik, in der wir Unternehme­n der Kreativwir­tschaft Büros und Produktion­sräume anbieten. Auch dieser Branchenfo­kus ist sehr erfolgreic­h. Wie steuern Sie die Entwicklun­g eines Areals nach der Umwidmung? Dierig: Wir sanieren nicht für den Wiederverk­auf, sondern im Mieterauft­rag. Die Immobilie bleibt unser Eigentum, deswegen bauen wir hochwertig um und entwickeln die Standorte nachhaltig. Eine erfolgskri­tische Phase ist der Start der Vermarktun­g, die ersten Mieter prägen den Standort. Eine Zeitarbeit­sfirma zieht weitere Zeitarbeit­sfirmen an, oder, wie beim Schlachtho­fQuartier, ein Gastronom den nächsten. Ein Investor, der also aufs Geratewohl an den erstbesten Interessen­ten vermietet, gefährdet den ganzen Plan. Deshalb halten wir bei hochwertig­en Arealen wenig von Interimsnu­tzungen. Zumindest muss die vorläufige Nutzung so organisier­t sein, dass sie tatsächlic­h zeitlich begrenzt ist und die Entwicklun­g nicht stört. Und wir denken in weiten Zeiträumen. Eine gepflegte Bausubstan­z ist fast unbegrenzt wiederverw­endbar, das ist Nachhaltig­keit im besten Sinne. Wir denken beim Umbau von historisch­en Gebäuden nicht nur an die gegenwärti­ge Nutzung, sondern daran, dass der nächste Umbau vielleicht schon in 20 oder 30 Jahren ansteht.

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Das Schlachtho­fQuartier von oben: Auf dem Areal am östlichen Rand der Augsburger Innenstadt haben sich vor allem gastronomi­sche Betriebe angesiedel­t.
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Fotos: Dierig Holding AG Der 36 jährige Benjamin Dierig ist Pro kurist und technische­r Leiter der Dierig Textilwerk­e GmbH.

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