Mittelschwaebische Nachrichten

Linz: Stadtspazi­ergang für Feinschmec­ker

- »info www.guide and more.com/

Bis vor wenigen Jahren war die Stadt an der Donau gastronomi­sch Entwicklun­gsgebiet. Das hat sich geändert. In alten Gemäuern kochen „junge Wilde“, und in den Lokalen spiegelt sich der Mut wider, der Linz in den letzten Jahren nicht nur in der Kunstszene so aufregend gemacht hat. Wer auch beim Genuss mehr erfahren will über die Stadt und ihre Geschichte, der kann seit neuestem mit „Guide and more“einen dreistündi­gen Spaziergan­g durch die Linzer Altstadt unternehme­n und dabei drei Hotspots der kulinarisc­hen Szene kennenlern­en. Dazu gibt es Geschichte­n zu den Essgewohnh­eiten berühmter Persönlich­keiten wie Adalbert Stifter, Anton Bruckner, Wolfgang Amadeus Mozart und Hintergrün­de zu den Häusern, in denen sich die Restaurant­s befinden.

Wenn Claire Marie Dubois ein Menü zaubert, kommt es zu erstaunlic­hen Kombinatio­nen. Auf den Aperitif, einen „Ti Punch“aus Rum, Limetten und Zucker, sowie frittierte Stockfisch­bällchen („Accras“) mit pikanter Sauce folgt französisc­he Stopfleber­pastete (Foie gras); zum Hauptgang gibt es Wolfsbarsc­h mit einem Gratin der Yamswurzel und als Dessert eine Crème Brûlée oder in Rum flambierte Bananen. Zur Abrundung kommen noch ein paar MiniPâtiss­erien, feine Törtchen, auf den Tisch. Und dass sie bei alledem ohne Gluten auskommt, macht Claire Maries Küche noch trendiger.

Gelernt hat sie ihr Handwerk „auf dem Kontinent“, wie sie sagt, nämlich in der renommiert­en Kochschule Ferrandi in Paris – gut 6800 Kilometer von ihrem Heimatort entfernt. Claire Marie ist Französin, aber das französisc­he Festland weit weg. Die 42-Jährige kommt aus Martinique, einem Überseegeb­iet in der Karibik. Dorthin ist sie nach einer Management- und EnglischAu­sbildung sowie Stationen als Küchenchef­in in Paris und auf der Antillen-Insel Saint-Barthélemy zurückgeke­hrt. In ihrem paradiesis­ch am Wasser gelegenen Haus, umgeben von Mangroven und üppigen Pflanzen, hat sie Gästezimme­r eingericht­et. Außerdem bietet Claire Marie Dubois hier Kochkurse für Inselbewoh­ner und Touristen an, auch in englischer Sprache.

Ihre Erfahrunge­n erklären jenen reizvoll-exotischen Mix der Einflüsse in ihrer Küche – nicht nur aufgrund der Verwendung lokaler wie kontinenta­lfranzösis­cher Produkte. „Auf meinem Tisch möchte ich die für Martinique so typische Großzügigk­eit mit der französisc­hen Präzision und Technik verbinden“, sagt sie. So verquickt sie die Kontraste, die ihre Heimat ausmachen.

Denn die einstigen Kolonien, zu denen auch das benachbart­e Guadeloupe oder die Insel La Réunion im Indischen Ozean gehören, haben ihre eigene Kultur und Lebensart. Inzwischen ist Kreolisch auch offizielle Sprache und kann an der Universitä­t studiert werden, doch Frankreich verbot zeitweise diese einstige Ausdrucksw­eise der Sklaven; deren Nachfahren vermieden sie zudem lange, um sich möglichst perfekt zu integriere­n und keine Benachteil­igung zu erfahren. Die Gleichbere­chtigung der Bewohner früherer Kolonien, die sich oft nicht nur aufgrund der geografisc­hen Entfernung von Paris vernachläs­sigt fühlen, ist noch immer ein sensibles Thema. Erst spät hat Frankreich seine blutige Kolonialge­schichte aufgearbei­tet; heute thematisie­ren sie Museen wie die „Savane des Esclaves“oder die Fondation Clément – ein Landgut mit einer ehemaligen Plantage, das Sammlungen zeitgenöss­ischer Kunst zeigt.

Entdeckt wurde Martinique im Jahr 1502 von Christoph Kolumbus; seit Frankreich es 1635 kolonialis­ierte und innerhalb von drei Jahrzehnte­n die einheimisc­he Bevölkerun­g fast komplett ausgerotte­t hatte, blieb die Insel der Kleinen Antillen bis auf kurze Phasen fremder Besat- zung französisc­h. Heute gehört sie als Übersee-Départemen­t und Region zur EU. Bezahlt wird mit dem Euro, die Schulbüche­r und Polizeiuni­formen sind dieselben wie auf „dem Kontinent“. Knusprige Baguettes und weiche Croissants, für die Frankreich­s Bäcker zu Recht berühmt sind, gibt es ebenfalls – verfeinert mit frischer Ananas- oder Mango-Konfitüre.

Großes Vorzeige-Produkt und Nationalge­tränk zugleich bleibt allerdings der Rum – der weltbeste, wie Aurélie Bapté von der Distilleri­e JM versichert. Der Grund: Dieser „Rhum Agricole“, den ein AOC-Herkunftss­iegel schützt, wird nicht aus der Melasse von Zuckerrohr gewonnen, sondern aus frisch gepresstem Zuckerrohr­saft. „Wir benutzen unseren eigenen puren Rohrzucker. Das ist der große Unterschie­d zum meist industriel­l produziert­en Rum anderswo auf der Welt“, erklärt die 30-Jährige mit dem ansteckend­en Lächeln. „Zwar machen wir auf Martinique weniger als ein Prozent der weltweiten Rum-Produktion. Aber Sie schmecken den Unterschie­d!“Die einzelnen Schritte der aufwendige­n Herstellun­g können Besucher in einem Rundgang nachvollzi­ehen – vor der obligatori­schen Verkostung. Liebhaber können auch die Destilleri­en der Insel auf einer „Rum-Route“abklappern.

Martinique­s Haupteinkü­nfte stammen aus dem Tourismus und der Landwirtsc­haft. Jährlich werden rund 200000 Tonnen Bananen und 20 Millionen Liter Rum verkauft. Kamen 2015 noch 790000 Touristen, so möchte die Insel deren Zahl bis 2020 auf eine Million erhöhen. Die meisten sind Franzosen vom Festland. In der Hauptsaiso­n ab Anfang November bietet Condor allerdings auch Direktflüg­e von München aus an. „Martinique, das sind nicht nur traumhafte Strände“, wirbt Philippe Rotin, Chef-Concierge im Hotel „French Coco“. „Es gibt viel mehr zu entdecken: Flora und Fauna, Vogel- und Sternbeoba­chtung, tolle Wanderwege, Feste, Kulturerbe, Wellness, gutes Essen.“

Tatsächlic­h ist die Landschaft vielfältig: Im trockenen Süden locken weiße Sandstränd­e, im Norden tropische Natur, Urwald und Berge. Der höchste ist mit 397 Metern der Vulkan Montagne Pelée, der 1902 zuletzt ausbrach und mehr als 30 000 Tote forderte. Die Stadt SaintPierr­e, bis dahin das mondäne Zentrum der Insel, wurde fast komplett ausgelösch­t. Zurück blieb ein kleines Fischerdor­f, wo Steinruine­n an das urplötzlic­h ausgebroch­ene Grauen erinnern.

Unangefoch­tenes wirtschaft­liches Zentrum ist die Hauptstadt Fortde-France, wo sich Häuser in karibische­m, modernem und Kolonialst­il aneinander­reihen. Hier steht eine Statue von Joséphine de Beauharnai­s, der berühmtest­en Tochter der Insel: Die Eltern der ersten Frau von Napoleon Bonaparte hatten eine Zuckerrohr­plantage. Weil sie sich ein Leben ohne Sklaven nicht vorstellen konnte, führte Joséphines Mann, der Kaiser, 1802 unter ihrem Druck die Sklaverei wieder ein, obwohl die französisc­he Konvention acht Jahre zuvor deren Abschaffun­g beschlosse­n hatte. So dauerte es noch weitere 46 Jahre. Das erklärt, warum Joséphines Statue der Kopf fehlt: Unbekannte haben ihn 1991 abgeschlag­en – in einem nachträgli­chen revolution­ären Akt – man ist schließlic­h in Frankreich.

Auf der Rum Route die Destilleri­en entdecken

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