Mittelschwaebische Nachrichten

Die rasende Spirale abwärts

Wie aus der Flucht einer Familie vor Polizei und Behörden Literatur wurde

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Krumbach Vater beschleuni­gt. Das Auto rast auf einen Betonpfeil­er zu. „Mitdenken! Mitdenken, verdammt.“Das Hirn des Sohnes arbeitet fieberhaft, als ließe sich denkend Unheil bannen.

Er stellt sich vor, wie in Superzeitl­upe der Kühler am Stahlbeton zerschellt, die Windschutz­scheibe sich am Beton in eine glitzernde Splitterwo­lke auflöst, der Motor „als tödlicher Roboter durch den schwarzen Kunststoff des Armaturenb­rettes“bricht.

Doch das Unheil kommt von hinten, denn in diesem Moment speit der große Hund aus dem Fond sein Erbrochene­s „in krampfhaft­en Schüben und wässrigen Strahlen“durch den Innenraum des Automo- bils. Der Vater fährt am Pfeiler vorbei. Es war die letzte Drehung nach unten dieser Lesung aus dem Buch „So, und jetzt kommst du“.

War es dem Autor Arno Frank bewusst, wie schnell er las und wie stark er die Hörer in die Abwärtsbew­egung dieser Familienge­schichte zwang?

Der Vater, ein glückloser Hochstaple­r, reißt die Familie aus dem Alltag. Die erste Station der Flucht ist noch geprägt vom schönen Schein.

300 000 Mark unterschla­genes Geld erlauben in Südfrankre­ich ein Leben in Luxus, das durch Casinogewi­nne fortzusetz­en aber Illusion bleibt. Fortan regiert die Not und treibt Vater und Kinder zu immer abenteuerl­ichen Manövern des Überlebens. Das ergibt zwangsläuf­ig viele Stationen, Handlungen, Personen, Fakten.

Wie aber wird daraus Literatur? Arno Frank gewinnt das literarisc­he Potenzial aus der Erzählerpo­sition. Es ist ein Kind, das die Familienge­schichte zu Papier bringt, ein Kind, das zwar vieles nicht versteht, aber die Brüchigkei­t der Situation spürt und sensibel in vielschich­tige und vieldeutig­e Bilder transformi­ert. Frappieren­d sind viele Einzelbeob­achtungen.

Der Erzähler holt seine Schwester, die noch ein Kind ist, aus einer Kneipe, wo sie von den Tellern fremder Männer isst, weil sie den Hunger nicht mehr erträgt. Als beide aus der Kneipe treten, glänzt das Kopfsteinp­flaster „wie aus sich selbst heraus, dünn wie Eis“. Die kleine Schwester Jeany hat das Morbide und Absurde der familiären Lage gleichsam verinnerli­cht.

Sie züchtet in Einweckglä­sern Schimmel und Verwesung, freut sich über die Maden, die aus dem Bauch einer erschossen­en Ratte kriechen und lackiert dem Hund der Familie mit der Farbe für das Modell eines japanische­n Zerstörers aus dem 2. Weltkrieg die Krallen knallrot.

Das Gespräch mit dem Publikum nach der Lesung im Rahmen des Literaturh­erbstes Krumbach in der Fachakadem­ie konzentrie­rte sich vor allem auf das Problem autobiogra­fischen Schreibens. Schließlic­h erzählt Arno Frank in diesem Buch die Geschichte seiner eigenen Kindheit.

Es sei ihm nicht darum gegangen, diese schwierige Phase seiner Vergangenh­eit durch das Schreiben quasi-therapeuti­sch aufzuarbei­ten, erklärte der Autor.

Es handle sich ganz einfach um eine Kette unerhörter Begebenhei­ten, die mitgeteilt werden sollte. Das Buch im Übrigen sei viel heller und lustiger als das, was er daraus vorgelesen hätte, lässt er das Publikum wissen.

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Foto: Lindenmayr Arno Frank las auf Einladung des KULT Vereins im Krumbacher Schloss. Unser Bild zeigt ihn beim Signieren seiner Bü cher mit einer Besucherin der Veranstal tung.

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