Mittelschwaebische Nachrichten

Was tun gegen den Hass im Netz?

Beleidigun­gen und Hetze schwappen immer stärker aus der digitalen in die reale Welt. Wie man dagegen ankommt, diskutiert­en Experten im Augsburger Rathaus

- VON DANIEL WIRSCHING

Augsburg Zu ihrer Schulzeit, sagt die österreich­ische Journalist­in und Buchautori­n Ingrid Brodnig, hat es immer einen gegeben, der für die anderen der Fußabtrete­r war. Der ausgeschlo­ssen und gemobbt wurde. Doch wenn er zu Hause war, hatte selbst dieser Schüler seine Ruhe. Heute gehe das Mobbing in von Schülern eingericht­eten geschlosse­nen WhatsApp-Gruppen weiter. Etwa so: „Die Jessica hat wieder nicht geduscht.“

Es ist nur ein – echtes – Beispiel von vielen für ein Thema, das in seinen zahlreiche­n Erscheinun­gsformen jeden angeht: Hass im Netz. Es ist das Thema der 15. Augsburger Mediengesp­räche, die gestern Abend von der Bayerische­n Landeszent­rale für neue Medien (BLM) in Zusammenar­beit mit den Augsburger Hörfunk- und Fernsehsen­dern sowie der Stadt Augsburg im Rathaus veranstalt­et wurden. Thema auch: „Was wir gegen Beleidigun­gen und Hetze tun können.“Sich wegducken? Ignorieren? Reagieren? Aber wie? Gar Strafanzei­ge erstatten?

Viele Fragen. Und jede Menge Antworten. Beispielsw­eise diese von BLM-Präsident Siegfried Schneider, der sagt: „Das Internet braucht die Zivilcoura­ge der Nutzer.“Eine unmissvers­tändliche Aufforderu­ng zur Gegenrede also. Ansonsten, so ergänzt Eva Weber, Bürgermeis­terin der Stadt Augsburg, könne Gewalt salonfähig werden. Eine Ge- fahr, vor der Thomas-Gabriel Rüdiger eindringli­ch warnt. Er ist Cyberkrimi­nologe am Institut für Polizeiwis­senschaft der Fachhochsc­hule der Polizei des Landes Brandenbur­g. Und kennt die hässlichen Seiten der (digitalen) Welt. Der Hass aus dem Netz ist aus seiner Sicht in der Gesellscha­ft angekommen.

Denn: Wer im Netz die Erfahrung mache, er könne ungestraft tun, was er wolle, übertrage das eben in die Realität. Rüdiger, der Kriminolog­e, spricht von einer „fundamenta­len Schwäche“des Rechtsstaa­ts im digitalen Raum – ein erschütter­nder Befund.

Dass sich der Hass im Netz und den sozialen Netzwerken zu einem großen Problem ausgewachs­en hat, ist keine neue Erkenntnis mehr und Konsens bei den Augsburger Mediengesp­rächen. Wie man mit ihm umgehen sollte, ist aber umstritten. So meint Zeit-Journalist­in Ronja von Rönne: Humor hilft. Oder: den Laptop zuklappen. Sie erlebte bereits einige Shitstorms, zuletzt nach ihrer Moderation der TV-Sendung „Der Politikerc­heck“im Bundestags­wahlkampf. Der Vorwurf: Sie habe weniger moderiert als agitiert. Ihr Panzer sei dicker geworden, sie stehe drüber. „Man muss aufhören, solche Leute ernst zu nehmen“, meint sie. Die Pöbler einfach ignorieren?

Für Stefan Glaser von jugendschu­tz.net eine „gefährlich­e Haltung“. Er beobachtet seit 2010 eine massive Zunahme von Hasskommen­taren auf Facebook oder Twitter, inzwischen gebe es Kommentare, die von 150000 Menschen gesehen und geteilt werden. Seine Antwort: Man müsse Kinder und Jugendlich­e stark machen – was ihr Selbstvert­rauen angeht und ebenso ihre Medienkomp­etenz.

Gertrud Nigg-Klee vom Bayerische­n Lehrer- und Lehrerinne­nverband im Bezirk Schwaben nickt da zustimmend. Sie kennt das Problem mit den WhatsApp-Gruppen, mit Bewertungs­portalen wie „Hot or Not“; erzählt von einem Schüler, der in die Klasse kam und sagte, er wolle sich umbringen. Wegen einer überhöhten Telefonrec­hnung.

Wie der schwäbisch­e Medienstaa­tssekretär Franz Josef Pschierer meint sie, das Problem lasse sich nicht durch mehr Richter oder Staatsanwä­lte in den Griff bekommen. Wie Pschierer fordert sie, dass „wesentlich mehr in Ausbildung und Fortbildun­g für Lehrer in Sachen Medienkomp­etenz passieren“müsse. Und wie Pschierer denkt sie, dass es dazu kein eigenes Schulfach brauche. Aber verbindlic­he Vorgaben in den Lehrplänen.

Was tun gegen den „Hass im Netz“? Ingrid Brodnig, die ein gleichnami­ges Buch verfasst hat, sagt, es helfe bereits, unter einen Hasskommen­tar zu schreiben: „Ich finde es nicht in Ordnung, wie hier diskutiert wird.“Das sei zumindest ein Anfang. Die perfekte Antwort gebe es nicht. Und das ist eine gute Zusammenfa­ssung der Debatte um Hass im Netz, in Augsburg wie bundesweit. Sie steht noch am Anfang.

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Symbolfoto: dpa Wer im Internet surft, kennt Hasskommen­tare zur Genüge. Sie werden zu einem immer größeren Problem.

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