Mittelschwaebische Nachrichten
Als die Pershings nach Neu Ulm kamen
In seinem Buch „Klein-Amerika links und rechts der Donau“berichtet Joachim Lenk über die Zeit der US-Soldaten in der Doppelstadt
Neu Ulm Viel Prominenz war im Neu-Ulmer Wiley-Club zusammengekommen. Anlass für den Aufmarsch von Ex-Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU), Neu-Ulms Oberbürgermeister Gerold Noerenberg (CSU), hohen Bundeswehroffizieren, Bundes- und Landtagsabgeordneten, Stadträten und ehemals hier stationierten US-Soldaten war die Vorstellung des Buches „KleinAmerika links und rechts der Donau“des freien Journalisten und Buchautors Joachim Lenk.
Ein Buch, das die Zeit der amerikanischen Garnison in Ulm und Neu-Ulm beleuchtet, die in NeuUlm 40 Jahre gedauert hat. Da kommen einige vom Autor sehr gut recherchierte Geschehnisse ans Tageslicht, von denen die Öffentlichkeit zum Teil bis heute in Unkenntnis war. „Vieles war streng geheim“, berichtete Lenk vor den 240 Gästen im Club. „Damals hätte ich das nicht schreiben dürfen, heute kräht kein Hahn mehr danach.“
In den Ulmer Kasernen waren die Amerikaner eigentlich nur von November 1951 bis 1959 ansässig, in den Neu-Ulmer Wiley- und Nelson Barracks hingegen vom 5. Dezember 1951 bis 26. Juli 1991. Sie zogen ab, nachdem bereits die Mauer gefallen war und die innerdeutsche Grenze nicht mehr existierte. Dies und die gesamte Entspannung in den Beziehungen zwischen Ost und West war für die US-Streitkräfte Anlass, ihren 40-jährigen Aufenthalt in Neu-Ulm zu beenden. Deshalb beschäftigen sich die spannendsten Kapitel des Buches von Joachim Lenk auch mit Geschichte und Geschichten der amerikanischen Präsenz in Neu-Ulm, mit der auch Theo Waigel, früher Wahlkreisabgeordneter für seine Partei in Neu-Ulm und CSU-Ehrenvorsit- zender, der das Vorwort zu dem Buch geschrieben hat, eng verbunden ist. Unter seiner Ägide kaufte die Stadt Neu-Ulm für insgesamt 43 Millionen Euro alle ehemaligen militärischen Liegenschaften der früheren US-Garnison.
„Aus der bayerischen Garnisonsstadt Neu-Ulm ist eine moderne, wirtschaftlich pulsierende Stadt geworden“, würdigte Theo Waigel in seiner unterhaltsamen Rede die Entwicklung Neu-Ulms. „NeuUlm hat damals, als die Amerikaner abzogen, schneller und besser die Chance ergriffen als jede andere deutsche Stadt. Das Buch von Joachim Lenk gibt ein Stück Zeitgeschichte der vergangenen Jahrzehnte wieder.“
Gerold Noerenberg verlieh seiner Hoffnung Ausdruck, dass das Buch „in 50 oder 60 Jahren noch einmal zur Hand genommen wird.“Er betonte, man müsse als Neu-Ulmer dankbar sein, dass dieses riesige Gelände, das in erster Linie aus den Wiley-Barracks, den Nelson-Barracks und dem Wohngebiet Vorfeld-Housing bestand, gekauft und entwickelt wurde. Alleine in Wiley Süd ist ein Gebiet mit 1250 Wohneinheiten für etwa 3000 Bürger entstanden.
Doch die Geschichte dieses Areals holt einen immer wieder ein, auch dank des just auf den Markt gekommenen Buches von Joachim Lenk. Dort wird an die Anfänge der amerikanischen Besatzung erinnert, an die Beziehungen zwischen den USSoldaten und den hiesigen Bürgern, die phasenweise recht problematisch waren, vor allem, wenn amerikanische Soldaten über die Stränge schlugen oder gar kriminell wurden, was vom US-Gericht mit extrem hohen Strafen geahndet wurde. Es gab auch sehr freundschaftliche Verknüpfungen. Und es gab viele Proteste. Gegen Lärm, der von Panzern und Soldaten ausging, vor allem aber Proteste gegen die Politik der Amerikaner, die meist vor dem Haupttor der Wiley-Barracks – in der Regel recht friedlich – vorgebracht wurden. Diese spitzten sich zu, als 1968 Pershing-I-Raketen in Neu-Ulm stationiert wurden. Die Atomsprengköpfe für diese lagerten unter strenger Bewachung im „Bombenwald“bei Merklingen auf der Schwäbischen Alb und dann im Waldstück „Lehmgrube“zwischen Buch und Kettershausen. Als bekannt wurde, dass später die verbesserten Pershing-II-Raketen nach Neu-Ulm kommen sollten, was dann 1984 auch geschah, gab es am 22. Oktober 1983 eine weltweit beachtete Aktion von Friedensanhängern. Von den Wiley-Barracks bis zur europäischen Kommandozentrale in Stuttgart wurde eine 108 Kilometer lange, durchgehende Menschenkette gebildet, an der mehr als 300000 Demonstranten beteiligt waren, die sich gegen die Nachrüstung der Nato als Folge der Aufrüstung in der Sowjetunion wandten.
Das Buch „Klein-Amerika links und rechts der Donau“arbeitet die Geschichte der Ulm/Neu-Ulmer Garnison bis in kleine Details auf, sodass Generalleutnant Richard Roßmanith, Befehlshaber des Multinationalen Kommandos Operative Führung in Ulm, anerkennend meinte: „Das Thema ist von allgemeiner Relevanz. Joachim Lenk weckt Erinnerungen an die Vergangenheit – im Kleinen wie im Großen.“9000 Soldaten und 2000 bis 3000 Familienangehörige waren der höchste Personenstand in den Ulmer und Neu-Ulmer US-Kasernen. Einige Soldaten von damals sind geblieben, weil sie hier die Liebe ihres Lebens gefunden haben. Auch durch sie blieb damals der von den Deutschen so gerne übernommene American Way of Life erhalten.