Mittelschwaebische Nachrichten

Als die Pershings nach Neu Ulm kamen

In seinem Buch „Klein-Amerika links und rechts der Donau“berichtet Joachim Lenk über die Zeit der US-Soldaten in der Doppelstad­t

- VON STEFAN KÜMMRITZ

Neu Ulm Viel Prominenz war im Neu-Ulmer Wiley-Club zusammenge­kommen. Anlass für den Aufmarsch von Ex-Bundesfina­nzminister Theo Waigel (CSU), Neu-Ulms Oberbürger­meister Gerold Noerenberg (CSU), hohen Bundeswehr­offizieren, Bundes- und Landtagsab­geordneten, Stadträten und ehemals hier stationier­ten US-Soldaten war die Vorstellun­g des Buches „KleinAmeri­ka links und rechts der Donau“des freien Journalist­en und Buchautors Joachim Lenk.

Ein Buch, das die Zeit der amerikanis­chen Garnison in Ulm und Neu-Ulm beleuchtet, die in NeuUlm 40 Jahre gedauert hat. Da kommen einige vom Autor sehr gut recherchie­rte Geschehnis­se ans Tageslicht, von denen die Öffentlich­keit zum Teil bis heute in Unkenntnis war. „Vieles war streng geheim“, berichtete Lenk vor den 240 Gästen im Club. „Damals hätte ich das nicht schreiben dürfen, heute kräht kein Hahn mehr danach.“

In den Ulmer Kasernen waren die Amerikaner eigentlich nur von November 1951 bis 1959 ansässig, in den Neu-Ulmer Wiley- und Nelson Barracks hingegen vom 5. Dezember 1951 bis 26. Juli 1991. Sie zogen ab, nachdem bereits die Mauer gefallen war und die innerdeuts­che Grenze nicht mehr existierte. Dies und die gesamte Entspannun­g in den Beziehunge­n zwischen Ost und West war für die US-Streitkräf­te Anlass, ihren 40-jährigen Aufenthalt in Neu-Ulm zu beenden. Deshalb beschäftig­en sich die spannendst­en Kapitel des Buches von Joachim Lenk auch mit Geschichte und Geschichte­n der amerikanis­chen Präsenz in Neu-Ulm, mit der auch Theo Waigel, früher Wahlkreisa­bgeordnete­r für seine Partei in Neu-Ulm und CSU-Ehrenvorsi­t- zender, der das Vorwort zu dem Buch geschriebe­n hat, eng verbunden ist. Unter seiner Ägide kaufte die Stadt Neu-Ulm für insgesamt 43 Millionen Euro alle ehemaligen militärisc­hen Liegenscha­ften der früheren US-Garnison.

„Aus der bayerische­n Garnisonss­tadt Neu-Ulm ist eine moderne, wirtschaft­lich pulsierend­e Stadt geworden“, würdigte Theo Waigel in seiner unterhalts­amen Rede die Entwicklun­g Neu-Ulms. „NeuUlm hat damals, als die Amerikaner abzogen, schneller und besser die Chance ergriffen als jede andere deutsche Stadt. Das Buch von Joachim Lenk gibt ein Stück Zeitgeschi­chte der vergangene­n Jahrzehnte wieder.“

Gerold Noerenberg verlieh seiner Hoffnung Ausdruck, dass das Buch „in 50 oder 60 Jahren noch einmal zur Hand genommen wird.“Er betonte, man müsse als Neu-Ulmer dankbar sein, dass dieses riesige Gelände, das in erster Linie aus den Wiley-Barracks, den Nelson-Barracks und dem Wohngebiet Vorfeld-Housing bestand, gekauft und entwickelt wurde. Alleine in Wiley Süd ist ein Gebiet mit 1250 Wohneinhei­ten für etwa 3000 Bürger entstanden.

Doch die Geschichte dieses Areals holt einen immer wieder ein, auch dank des just auf den Markt gekommenen Buches von Joachim Lenk. Dort wird an die Anfänge der amerikanis­chen Besatzung erinnert, an die Beziehunge­n zwischen den USSoldaten und den hiesigen Bürgern, die phasenweis­e recht problemati­sch waren, vor allem, wenn amerikanis­che Soldaten über die Stränge schlugen oder gar kriminell wurden, was vom US-Gericht mit extrem hohen Strafen geahndet wurde. Es gab auch sehr freundscha­ftliche Verknüpfun­gen. Und es gab viele Proteste. Gegen Lärm, der von Panzern und Soldaten ausging, vor allem aber Proteste gegen die Politik der Amerikaner, die meist vor dem Haupttor der Wiley-Barracks – in der Regel recht friedlich – vorgebrach­t wurden. Diese spitzten sich zu, als 1968 Pershing-I-Raketen in Neu-Ulm stationier­t wurden. Die Atomspreng­köpfe für diese lagerten unter strenger Bewachung im „Bombenwald“bei Merklingen auf der Schwäbisch­en Alb und dann im Waldstück „Lehmgrube“zwischen Buch und Kettershau­sen. Als bekannt wurde, dass später die verbessert­en Pershing-II-Raketen nach Neu-Ulm kommen sollten, was dann 1984 auch geschah, gab es am 22. Oktober 1983 eine weltweit beachtete Aktion von Friedensan­hängern. Von den Wiley-Barracks bis zur europäisch­en Kommandoze­ntrale in Stuttgart wurde eine 108 Kilometer lange, durchgehen­de Menschenke­tte gebildet, an der mehr als 300000 Demonstran­ten beteiligt waren, die sich gegen die Nachrüstun­g der Nato als Folge der Aufrüstung in der Sowjetunio­n wandten.

Das Buch „Klein-Amerika links und rechts der Donau“arbeitet die Geschichte der Ulm/Neu-Ulmer Garnison bis in kleine Details auf, sodass Generalleu­tnant Richard Roßmanith, Befehlshab­er des Multinatio­nalen Kommandos Operative Führung in Ulm, anerkennen­d meinte: „Das Thema ist von allgemeine­r Relevanz. Joachim Lenk weckt Erinnerung­en an die Vergangenh­eit – im Kleinen wie im Großen.“9000 Soldaten und 2000 bis 3000 Familienan­gehörige waren der höchste Personenst­and in den Ulmer und Neu-Ulmer US-Kasernen. Einige Soldaten von damals sind geblieben, weil sie hier die Liebe ihres Lebens gefunden haben. Auch durch sie blieb damals der von den Deutschen so gerne übernommen­e American Way of Life erhalten.

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Foto: Donnie Swearengin Als vor Jahrzehnte­n Pershing Raketen in Neu Ulm stationier­t wurden, gab es heftige Proteste. Über dieses und viele weitere Er eignisse berichtet Joachim Lenk in seinem Buch „Klein Amerika links und rechts der Donau“.

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