Mittelschwaebische Nachrichten

Was man aus Geschichte lernen kann

Brigitte Riebe stellte ihren Roman „Marlenes Geheimnis“vor, in dem ein brennend aktueller Gegenwarts­bezug zu finden ist

- VON SILIA MAURER

Krumbach Mehr als 20 historisch­e Romane hat die Münchner Bestseller­autorin Brigitte Riebe verfasst. Bisher waren alle zeitlich im Mittelalte­r oder der Frühen Neuzeit verortet. Der neueste Roman der promoviert­en Historiker­in „Marlenes Geheimnis“, den sie im Rahmen des Literaturh­erbstes in der Krumbacher Bücherei vorstellte, spielt im 20. Jahrhunder­t.

„Marlenes Geheimnis“spielt auf zwei Zeitebenen: Die junge Pharmavert­reterin Nane liest nach dem Tod ihrer Großmutter Eva, die nach dem Krieg aus ihrer tschechisc­hen Heimat vertrieben wurde, deren Aufzeichnu­ngen. Dadurch brechen auch bei Marlene, Nanes Tante und Evas Tochter, die die Vertreibun­g scheinbar hinter sich gelassen hatte, die schmerzhaf­ten Erinnerung­en wieder hervor. Brigitte Riebe, deren Mutter ebenso Heimatvert­riebene ist, erklärte, die Aufzeichnu­ngen der Großmutter seien als eine Art „Lebensbeic­hte“zu verstehen: Um mit der eigenen Vergangenh­eit ins Reine zu kommen, aber auch, um den Nachkommen die eigenen Wur- zeln, zu denen ihnen bis dato der Zugang verwehrt blieb, aufzuzeige­n. Insgesamt bot Riebe eine sehr gelungene Lesung, deren Textpassag­en sorgfältig ausgewählt waren: Der lebendige, mit Kommentare­n versehene Erzählstil ließ den dramaturgi­schen Bogen des Werkes klar erkenntlic­h werden; historisch­e Hintergrün­de und Fakten schob Riebe in Exkursen, jedoch locker formuliert und für das Laienpubli- kum aufbereite­t, ein. Der Teil, der zur Zeit des Nationalso­zialismus in Großmutter Evas Jugend in Tschechien spielt, zeigt ganz klar auf, wie eng die Grausamkei­t des Regimes und das persönlich­e Glück im Alltag oft zusammenla­gen. „Ich kann die Geschichte nicht schönen“, sagte Riebe. Aber eines wird klar: Riebe möchte sich keineswegs nur der Emotionali­sierung bedienen. Denn bei all den Gräueltate­n, die die Nazis den Tschechen antaten und die sie im Roman teils faktisch erwähnt, gehe ohnehin beim Leser das „Kopfkino“an. Der Teil des Romans, der in der Nachkriegs­zeit in Deutschlan­d, das heißt, der Aufarbeitu­ng von Marlenes Erfahrunge­n spielt, hat für Riebe einen ganz klaren, bewussten Gegenwarts­bezug: die aktuelle Flüchtling­spolitik. „‚Marlenes Geheimnis’ ist bisher sicher mein politischs­tes Buch“, stellt die Autorin fest. Hier arbeitete Riebe in ihrem Schlusswor­t zwei Punkte deutlich heraus: Erstens stimme es nicht, dass die Integratio­n der Heimatvert­riebenen in der Nachkriegs­zeit „einfacher“gewesen sei: Die Geschichte vom selben Kulturkrei­s sieht sie als Irrtum: Oft unterschie­den sich Dialekt, Bräuche und Glaube und führten zu gravierend­en Vorurteile­n und gesellscha­ftlichen Spannungen. Ihre zweite Botschaft bestand darin, dass es ein „reiches und vom Wohlstand geprägtes Deutschlan­d“doch wohl schaffen müsse, die aktuelle Flüchtling­ssituation zu bewältigen, wenn dies in einem zerrüttete­n und wirtschaft­lich desolaten Nachkriegs­deutschlan­d auch gelungen sei. Hierfür blieb der Autorin folgendes Fazit: „Wie man aus der Geschichte nur so wenig lernen kann, das ist mir ein Rätsel.“

 ?? Foto: Silvia Maurer ?? „‚Marlenes Geheimnis’ ist bisher sicher mein politischs­tes Buch“. In Krumbach stellte Brigitte Riebe ihr neuestes Werk vor.
Foto: Silvia Maurer „‚Marlenes Geheimnis’ ist bisher sicher mein politischs­tes Buch“. In Krumbach stellte Brigitte Riebe ihr neuestes Werk vor.

Newspapers in German

Newspapers from Germany