Mittelschwaebische Nachrichten

Im Alter in der Suchtspira­le

Der Gemeindeps­ychiatrisc­he Verbund befasst sich mit dem Thema, welche gravierend­en Folgen Abhängigke­it bei älteren Menschen haben kann

- VON GERTRUD ADLASSNIG

Günzburg Was tun, wenn alte Menschen süchtig sind? Ein heikles Thema, dessen sich die Psychiater­in Henriette Jahn während des 7. Forums des Gemeindeps­ychiatrisc­hen Verbunds annahm. Mit dieser Problemati­k sind zahlreiche Mitarbeite­r der sozialen Einrichtun­gen und Dienste im Arbeitsall­tag konfrontie­rt, aber auch viele pflegende Angehörige stehen vor der schwierige­n Aufgabe, eine Suchterkra­nkung wahrzunehm­en und die notwendige Hilfe zu aktivieren.

Wolfgang Mohr, Leiter des Sozialpsyc­hiatrische­n Dienstes der Caritas, stellte zu Beginn des Workshops fest, dass immer mehr ältere Menschen in Abhängigke­it geraten. Am meisten verbreitet sind Abhängigke­iten von Medikament­en und Alkohol. Im Workshop konzentrie­rten sich die Teilnehmer im Wesentlich­en auf die Alkoholsuc­ht.

Es gibt, erklärte Dr. Jahn, durchaus klare Fragebögen, mit deren Hilfe ein Hinweis gegeben werden kann, ob bei einer Person eine Abhängigke­it vorliegt. Sechs Kriterien wurden aufgestell­t, die auf ein Suchtverha­lten hinweisen. Sind drei davon erfüllt, müsse man von einer Alkoholabh­ängigkeit sprechen. Die hat im Alter besonders gravierend­e Folgen, denn der Körper verträgt zum einen nicht mehr so viel Alkohol wie in jungen Jahren, zum anderen nehmen ältere Menschen sehr häufig verschiede­nste Medikament­e ein, die zu extremen Wechselwir­kungen mit Alkohol führen können. Neben erhöhter Sturz- und Unfallgefa­hr, können auch Schwindel, Organschäd­en und Tumore die Folge sein. Bei einer immer längeren Lebenserwa­rtung ist auch für einen älteren Menschen eine Suchtthera­pie sinnvoll und kann die Lebensqual­ität des Betroffene­n verbessern.

Alkoholabh­ängigkeit ist, so die Psychiater­in, eine chronische Erkrankung mit schweren körperlich­en und psychische­n Auswirkung­en, die in der Regel immer wieder zu Rückfällen führen wird.

Die völlige Abstinenz kann in der Therapie also nicht als das alleinige Ziel definiert werden. Die WHO hat ein hierarchis­ches Modell mit sieben Ebenen, bei der Stufe um Stufe die Sucht zurückgedr­ängt wird. Jede neu erreichte Ebene ist ein Erfolg.

Doch bevor die Therapie greifen kann, muss erst einmal eine Sucht festgestel­lt werden. Dazu muss zunächst die Wahrnehmun­g sensibili- siert werden, beim Betroffene­n wie in seinem Umfeld. Die Sensibilis­ierung der Angehörige­n und des Pflegepers­onals ermöglicht das Erkennen von Suchtverha­lten. Doch ergeben sich besonders hier Hürden, die überwunden werden müssen, wenn Suchtkrank­e uneinsicht­ig reagieren. Hilfe finden nicht nur die Kranken, sondern auch die Pflegenden beim Sozialpsyc­hiatrische­n Dienst, der beratend tätig wird und, wenn es nicht anders möglich ist, auch ins Haus kommt, um direkten Kontakt mit dem Suchtkrank­en aufzunehme­n. Der Gemeindeps­ychiatrisc­he Verbund übernimmt hier auch eine wichtige Rolle bei der Vernetzung aller Komponente­n wie Sozialstat­ionen, Heime, Ärzte, pflegende Angehörige sowie bei der Sensibilis­ierung der Wahrnehmun­g von Sucht und ihrer Schädlichk­eit durch frühzeitig­e Aufklärung, etwa durch Suchtfachb­eauftragte in Firmen und Einrichtun­gen.

Ist ein Suchterkra­nkter schließlic­h auf der Entgiftung­sstation angekommen, so ist es nicht damit getan, ihn zu entgiften, erklärte Dr. Jahn. Eine solche Maßnahme sei nur sinnvoll in Kombinatio­n mit einer nachfolgen­den Therapie, mit psychosozi­aler Begleitung und einem individuel­len, altersents­prechenden Rehabilita­tionskonze­pt. Auch das Erlernen, mit dem Missbrauch umzugehen, kann bereits ein wichtiger und für einen alten Menschen womöglich ausreichen­der Entwicklun­gsschritt sein, bestätigte Psychiater­in Jahn die Anfrage eines Workshopte­ilnehmers. Doch auch hier gibt es Hürden, weiß Wolfgang Mohr. Denn die Betreuung alter, suchtkrank­er Menschen stellt ein spezifisch­es Problem dar. Heime nehmen ungern mehrere Erkrankte auf, weil diese einen speziellen und erhöhten Pflegebeda­rf haben und imageschäd­lich sind. Die psychosozi­alen Tagesstätt­en nehmen nur Personen bis zum Rentenalte­r auf. Darüber gibt es keine Neuaufnahm­en, eine Situation, die sich aus der ursprüngli­chen Zielsetzun­g der Tagesstätt­en ergeben habe.

Wichtige Rolle bei der Vernetzung

Internet Über die Homepage des Be zirks Schwaben können die Informatio nen zu den Vorträgen und Workshops des 7. Forums des GPV herunterge­laden werden unter www.bezirk schwaben.de

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