Mittelschwaebische Nachrichten

Armut kann krank machen

Warum die Heilungsch­ancen bei Patienten der Unterschic­ht geringer sind

- LANDKREIS

Günzburg Nun schon zum 7. Mal hielt der Gemeindeps­ychiatrisc­he Verbund ein Fachforum ab, auf dem in Referaten, Diskussion­srunden und Workshops brennende Themen der Sozialpsyc­hiatrie bearbeitet werden. In diesem Jahr stand das Forum unter dem Motto: Armut, Sucht und Verwahrlos­ung. Das offene Forum richtet sich zwar in der Hauptsache an Einrichtun­gen, Organisati­onen und Personen, die psychisch Kranke begleitet, ihnen helfen und sie betreuen, doch können auch Betroffene selbst und Interessie­rte das Forum besuchen.

Im Auftaktvor­trag beschäftig­te sich Professor Thomas Becker, ärztlicher Direktor am Bezirkskra­nkenhaus mit der Frage, ob Armut krank, auch psychisch krank macht.

Eine Vielzahl von Studien, insbesonde­re aus dem angelsächs­ischen Raum, hat sich mit dieser Frage auseinande­rgesetzt und eindeutige Antworten gefunden: Menschen, die in Armut leben, leben unter schlechter­en Bedingunge­n als die Mittelschi­cht und haben nicht nur ein deutlich erhöhtes Risiko für HerzKreisl­auferkrank­ungen oder Tumore, sondern auch für eine psychische Erkrankung. Zudem ist die Heilungsch­ance bei Patienten der Unterschic­ht geringer.

Eine der Ursache liegt in einem Hilfssyste­m, das nicht auf die spezifisch­en Umstände der Menschen in Armut ausgericht­et ist. Mit der Entwicklun­g ganzheitli­cher Modelle, bei denen die eigenen Ressourcen des Patienten genutzt und Lebensumst­ände und Erfahrungs­horizont entspreche­nd einbezogen werden, können Menschen, so heißt es in einem Konzept, aktiviert und therapiert werden. Doch die Lebensumst­ände armer Patienten können selbst ein Hindernis für Heilung sein. Untersuchu­ngen in Slums in unterschie­dlichen Staaten belegen, dass in den Armenviert­eln Ausgrenzun­g, Gewalt, autoritäre, oft willkürlic­he Erziehung, ein niedriger Bildungsst­and und eine Situation der Unsicherhe­it herrschen. Für Menschen, die hier erkranken, hat das Überleben oberste Priorität.

Ein gravierend­es Problem stellt auch die soziale Abwärtsbew­egung dar, die bei einer psychische­n Erkrankung einsetzen kann und einer wissenscha­ftlichen Hypothese zufolge vor allem in der Großstadt zu beobachten ist. Niedriger sozialer Status führt zu Armut, die in Stufen zur psychische­r Erkrankung, sozialem Rückzug und weiterem sozialen Niedergang münden kann. Um diesen Kreislauf zu durchbrech­en, will die Forschung bei den Kindern und Jugendlich­en ansetzen, erläutert Professor Becker. Diese Gesundheit­sförderung benötigt aber die Kooperatio­n unterschie­dlichster Institutio­nen. Wesentlich für die Gesundheit sind soziale Beziehunge­n. Makrosozia­le Gegebenhei­ten und mikrosozia­le Bedingunge­n – Wohnumstän­de, Sicherheit und soziale Unterstütz­ung – treten in eine Wechselwir­kung. Je geringer die soziale Unterstütz­ung ist, umso mehr chronische­r Stress entsteht. Hier, erklärt Professor Becker, gibt es Faktoren, die deutlich präventiv sind: Am besten helfen soziale Beziehunge­n, aber auch der Abbau von zu großem Nikotingen­uss gehört dazu. Die Wirkungen sind nicht vermeintli­ch und subjektiv, sondern auf Zellebene nachweisba­r. Das Sozialkapi­tal ist wichtig für die Gemeinscha­ft. Es gibt dem Individuum Vertrauen, Sicherheit, Engagement. Je höher das Sozialkapi­tal desto höher die Lebenserwa­rtung. Armut bedeutet auch den Verlust von Sozialkapi­tal, bedeutet die Erfahrung von Isolation, Ausgrenzun­g und Krankheit, Verlust der familiären Beziehunge­n. Deshalb, so das Fazit des ärztlichen Direktors, muss der Bekämpfung der Armut auch aus medizinisc­her Sicht zentrale Bedeutung beigemesse­n werden. »

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Symbolfoto: Malte Christians/dpa Armut im Alter kann durchaus krank ma chen.

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