Mittelschwaebische Nachrichten

Kampfausfl­ug nach Korea

Taekwondo ist für unsere Autorin eine fremde Welt. Sie taucht ein und merkt: Vor allem Schreien kann sie nicht

- VON STEPHANIE LORENZ

Günzburg Ich habe ja schon viel probiert. Tennis, Tischtenni­s, Hockey, Fußball, Volleyball, Handball, Tanzen. Aber Kampfsport? Damit hatte ich bisher nichts am Hut. Bis auf einen Selbstvert­eidigungsk­urs in der dritten Klasse. Damals hatte ich erfolgreic­h ein Holzbrett mit dem Fuß durchtrenn­t. Ein Brettchen eher. Aber immerhin. Schnell merke ich: Ganz verloren sind die Fertigkeit­en nicht. Was ich dagegen gar nicht kann: Schreien.

Barfuß betrete ich den Übungsraum der Günzburger Sportschul­e Sonner, bereit für 75 Minuten Taekwondo. In einem weißen Anzug mit schwarzem Gürtel kommt Inhaber Günter Sonner auf mich zu und schüttelt mir die Hand. In seiner Schule kann an sieben Tagen die Woche an vier Standorten trainiert werden. Er hat mich zum Probetrain­ing nach Wasserburg eingeladen. „Machen Sie Sport?“, fragt er. Ich nicke. Sonner lächelt: „Sie brauchen keine Angst zu haben.“

Habe ich auch nicht, aber etwas Respekt. Denn ich gebe zu: Ich habe mich darauf eingestell­t, dass hier alle ein bisschen aggressiv sind. Männer, die sich auf die Brust trommeln und gegenseiti­g auf die Sportmatte­n drücken. Kinder, die die Zähne fletschen und ihren Gegner mit ausgestrec­kten Armen am weißen Kampfkitte­l packen. Doch nichts davon passiert.

In dem hellen, rechteckig­en Raum mit vielen Fenstern und Spiegeln sehe ich Frauen, Männer und Kinder. Und alle lächeln mich an und nicken mir aufmuntern­d zu. Sonner klatscht in die Hände. Laufen ist angesagt. Erst ein paar Runden normal, dann im Side-Step, danach mit den Fersen zum Po. Der Chef joggt locker neben mir her und erzählt: „Ich schau immer, dass die Atmosphäre stimmt. Ein respektvol­ler Umgang ist mir wichtig.“

Seit 1990 gibt es seine Kampfsport­schule für Kinder und Erwachsene. Vor sechs Jahren hat er den Raum in Wasserburg vergrößert. Zur Zeit sei die Nachfrage wieder sehr groß, sie stünden kurz vor dem Aufnahmest­opp. Sonner klatscht. „Jetzt die Knie nach oben.“Wir traben weiter im Kreis. Neben mir lau- fen Sportler jeden Alters. Zwischen fünf und 66 seien seine Schüler, sagt Sonner. „Jeder kann es machen, weil jeder individuel­l für sich trainiert. Man hat viel Abwechslun­g und hört nie auf zu lernen.“

Er stellt uns nebeneinan­der auf. Das Kommando verstehe ich nicht, aber alle halten die Arme senkrecht nach unten und verbeugen sich. Ich mache mit. Gymnastik und Dehnung kündigt Sonner an. Er setzt sich auf den Boden und streckt beide Beine zur Seite. „Mit dem Bauchnabel zum Boden. Wer viel Bauch hat, bei dem geht’s leichter“, sagt er und grinst. Als wir wieder aufstehen, bin ich erleichter­t: Laufen, check. Gymnastik, check. „Alles halb so wild“, denke ich.

Doch da wird es wild. Die ersten Übungen stehen an. Linke Hand zur rechten Schulter, rechten Arm strecken, linke Hand am rechten Arm entlang nach unten führen, rechten Ellbogen zurück zur Hüfte, die Faust der rechten Hand nach oben drehen, linken Arm strecken. Puh!

Danach das Ganze im Wechsel, links, rechts, links, rechts. Für die anderen sind die Diagonalbe­wegungen kein Problem. Ich verknote mir fast die Arme. Dann stellen wir uns paarweise gegenüber auf und kicken abwechseln­d mit den Beinen. Geradeaus nach vorne kriege ich hin. Mit Rückwärtsd­rehung? Schon schwierige­r. Noch schwierige­r als das Kicken selbst ist das Schreien beim Kicken. Bernadette steht mir gegenüber, bei jedem Tritt stößt sie einen kurzen Schrei aus. „Hah!“Von allen Seiten höre ich „he“, „hu“, „zia“, „kia“. Nur ich bringe keinen Laut über die Lippen. Tut mir ja fast schon leid, so hingebungs­voll wie Bernadette mich anschreit. Doch die Hemmschwel­le, einfach loszuschre­ien, ist zu groß. Wozu auch? Bernadette ist so nett, kein Grund aggressiv zu werden.

Doch mit Aggressivi­tät hat es nichts zu tun, erklärt mir Günter Sonner. Der „Kiap“, der Kampfschre­i, diene dazu, selbst mehr Kraft zu entwickeln, im Selbstvert­eidigungsf­all den Gegner zu erschrecke­n und vor allem richtig zu atmen. „Wenn ich schreie, muss ich danach wieder einatmen“, sagt Sonner. Das verhindere Pressatmun­g.

Ich bin kein Einzelfall. „Bei Frauen ist das oft ein Problem“, erzählt Sonner. Das liege an der Erziehung. Den meisten sage man: „Du bist lieb, brav und nett.“Ich kann also nicht schreien, weil ich zu nett erzogen wurde. Bei den Kindern in Sonners Schule ist es noch nicht zu spät: „Ich will, dass sie mutig und stark sind. Und sie müssen lernen: Zum Leben gehört verlieren und gewinnen dazu.“Doch vor allem Spaß sollen sie haben, das ist Sonner wichtig.

Der elfjährige Felix aus Leipheim dreht sich zu mir um. „Machst du mit beim Pratzentra­ining?“, fragt er. „Pratzen was?“, frage ich zurück. Er lacht und zeigt auf überdimens­ional große Handschuhe, auf die wir gleich mit den Beinen kicken sollen. Wir werden in Gruppen aufgeteilt, ich mache bei den Kleinsten mit. Felix grinst mich an: „Du lernst genauso schnell wie mein kleiner Bruder“, sagt er.

Danach schickt Sonner mich zum Zuschauen an die Seite. „Tschumbi“, „Sitschak“, „aufrecht“, ruft er. Ich verstehe nichts. Die anderen laufen los und führen synchron Schrittfol­gen und Armbewegun­gen aus. Nach der Stunde erfahre ich: Es heißt „Junbi“und „Sijak“, ist koreanisch und steht für Kampfstell­ung einnehmen und Übungsstar­t. Was ich beobachte, ist der sogenannte Formenlauf: Arm- und Fußkombina­tionen, die in einem Lauf präsentier­t werden. Richtig gut beherrscht das die 15-jährige Desiree Neumann. Sie ist im Nationalte­am und tritt am Wochenende bei der Deutschen Meistersch­aft an. Sie zeigt ihren Lauf und erhält Applaus.

Gemeinsam mit der SG Krumbach hat die Sportschul­e Sonner schon viele Spitzenspo­rtler hervorgebr­acht. Seine Schüler treten unter dem Dach des TC Donau-Lech-Iller an. „Bayernweit und bundesweit sind wir auf Wettkämpfe­n dominieren­d beim Formenlauf“, sagt Sonner. Aber darauf kommt es den meisten hier gar nicht an. Ausdauer, Kraft, Selbstvert­eidigung und mehr werden in Sonners Sportschul­e geübt. Ich bleibe trotzdem lieber bei Ballsport und Tanzen. Da brauche ich keinen Kampfschre­i.

Liebe Leser! In unserer Serie „Ich probier’s mal“suchen unsere Mitarbeite­r Herausford­erungen, die sie vorher noch nie gemeistert haben. In regelmäßig­en Abständen berichten sie in unserer Zei tung von ihren Erlebnisse­n. Haben Sie eine Anregung, was wir mal unbedingt versuchen sollen? Dann nichts wie her da mit! Melden Sie sich einfach in unserer Redaktion 08282/90740. Und vielleicht probieren wir’s ja.

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Foto: S. Lorenz Im Formenlauf sind Günter Sonners Schüler besonders gut. Sandra aus Leipheim (vorne, gelber Gürtel) kommt jede Woche mit ih ren drei Söhnen und findet es toll, dass sie einen Sport gefunden hat, den sie alle zusammen ausüben können.
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Foto: Rafael Harder Christian Quack hält die Pratze, unsere Autorin kickt dagegen. Lachen kann sie bes ser als schreien. „Wird schon“, kommentier­te Chef Günter Sonner.
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Foto: Christian Quack Seit über fünf Jahren ist die zehnjährig­e Cara schon dabei.

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