Mittelschwaebische Nachrichten
Kampfausflug nach Korea
Taekwondo ist für unsere Autorin eine fremde Welt. Sie taucht ein und merkt: Vor allem Schreien kann sie nicht
Günzburg Ich habe ja schon viel probiert. Tennis, Tischtennis, Hockey, Fußball, Volleyball, Handball, Tanzen. Aber Kampfsport? Damit hatte ich bisher nichts am Hut. Bis auf einen Selbstverteidigungskurs in der dritten Klasse. Damals hatte ich erfolgreich ein Holzbrett mit dem Fuß durchtrennt. Ein Brettchen eher. Aber immerhin. Schnell merke ich: Ganz verloren sind die Fertigkeiten nicht. Was ich dagegen gar nicht kann: Schreien.
Barfuß betrete ich den Übungsraum der Günzburger Sportschule Sonner, bereit für 75 Minuten Taekwondo. In einem weißen Anzug mit schwarzem Gürtel kommt Inhaber Günter Sonner auf mich zu und schüttelt mir die Hand. In seiner Schule kann an sieben Tagen die Woche an vier Standorten trainiert werden. Er hat mich zum Probetraining nach Wasserburg eingeladen. „Machen Sie Sport?“, fragt er. Ich nicke. Sonner lächelt: „Sie brauchen keine Angst zu haben.“
Habe ich auch nicht, aber etwas Respekt. Denn ich gebe zu: Ich habe mich darauf eingestellt, dass hier alle ein bisschen aggressiv sind. Männer, die sich auf die Brust trommeln und gegenseitig auf die Sportmatten drücken. Kinder, die die Zähne fletschen und ihren Gegner mit ausgestreckten Armen am weißen Kampfkittel packen. Doch nichts davon passiert.
In dem hellen, rechteckigen Raum mit vielen Fenstern und Spiegeln sehe ich Frauen, Männer und Kinder. Und alle lächeln mich an und nicken mir aufmunternd zu. Sonner klatscht in die Hände. Laufen ist angesagt. Erst ein paar Runden normal, dann im Side-Step, danach mit den Fersen zum Po. Der Chef joggt locker neben mir her und erzählt: „Ich schau immer, dass die Atmosphäre stimmt. Ein respektvoller Umgang ist mir wichtig.“
Seit 1990 gibt es seine Kampfsportschule für Kinder und Erwachsene. Vor sechs Jahren hat er den Raum in Wasserburg vergrößert. Zur Zeit sei die Nachfrage wieder sehr groß, sie stünden kurz vor dem Aufnahmestopp. Sonner klatscht. „Jetzt die Knie nach oben.“Wir traben weiter im Kreis. Neben mir lau- fen Sportler jeden Alters. Zwischen fünf und 66 seien seine Schüler, sagt Sonner. „Jeder kann es machen, weil jeder individuell für sich trainiert. Man hat viel Abwechslung und hört nie auf zu lernen.“
Er stellt uns nebeneinander auf. Das Kommando verstehe ich nicht, aber alle halten die Arme senkrecht nach unten und verbeugen sich. Ich mache mit. Gymnastik und Dehnung kündigt Sonner an. Er setzt sich auf den Boden und streckt beide Beine zur Seite. „Mit dem Bauchnabel zum Boden. Wer viel Bauch hat, bei dem geht’s leichter“, sagt er und grinst. Als wir wieder aufstehen, bin ich erleichtert: Laufen, check. Gymnastik, check. „Alles halb so wild“, denke ich.
Doch da wird es wild. Die ersten Übungen stehen an. Linke Hand zur rechten Schulter, rechten Arm strecken, linke Hand am rechten Arm entlang nach unten führen, rechten Ellbogen zurück zur Hüfte, die Faust der rechten Hand nach oben drehen, linken Arm strecken. Puh!
Danach das Ganze im Wechsel, links, rechts, links, rechts. Für die anderen sind die Diagonalbewegungen kein Problem. Ich verknote mir fast die Arme. Dann stellen wir uns paarweise gegenüber auf und kicken abwechselnd mit den Beinen. Geradeaus nach vorne kriege ich hin. Mit Rückwärtsdrehung? Schon schwieriger. Noch schwieriger als das Kicken selbst ist das Schreien beim Kicken. Bernadette steht mir gegenüber, bei jedem Tritt stößt sie einen kurzen Schrei aus. „Hah!“Von allen Seiten höre ich „he“, „hu“, „zia“, „kia“. Nur ich bringe keinen Laut über die Lippen. Tut mir ja fast schon leid, so hingebungsvoll wie Bernadette mich anschreit. Doch die Hemmschwelle, einfach loszuschreien, ist zu groß. Wozu auch? Bernadette ist so nett, kein Grund aggressiv zu werden.
Doch mit Aggressivität hat es nichts zu tun, erklärt mir Günter Sonner. Der „Kiap“, der Kampfschrei, diene dazu, selbst mehr Kraft zu entwickeln, im Selbstverteidigungsfall den Gegner zu erschrecken und vor allem richtig zu atmen. „Wenn ich schreie, muss ich danach wieder einatmen“, sagt Sonner. Das verhindere Pressatmung.
Ich bin kein Einzelfall. „Bei Frauen ist das oft ein Problem“, erzählt Sonner. Das liege an der Erziehung. Den meisten sage man: „Du bist lieb, brav und nett.“Ich kann also nicht schreien, weil ich zu nett erzogen wurde. Bei den Kindern in Sonners Schule ist es noch nicht zu spät: „Ich will, dass sie mutig und stark sind. Und sie müssen lernen: Zum Leben gehört verlieren und gewinnen dazu.“Doch vor allem Spaß sollen sie haben, das ist Sonner wichtig.
Der elfjährige Felix aus Leipheim dreht sich zu mir um. „Machst du mit beim Pratzentraining?“, fragt er. „Pratzen was?“, frage ich zurück. Er lacht und zeigt auf überdimensional große Handschuhe, auf die wir gleich mit den Beinen kicken sollen. Wir werden in Gruppen aufgeteilt, ich mache bei den Kleinsten mit. Felix grinst mich an: „Du lernst genauso schnell wie mein kleiner Bruder“, sagt er.
Danach schickt Sonner mich zum Zuschauen an die Seite. „Tschumbi“, „Sitschak“, „aufrecht“, ruft er. Ich verstehe nichts. Die anderen laufen los und führen synchron Schrittfolgen und Armbewegungen aus. Nach der Stunde erfahre ich: Es heißt „Junbi“und „Sijak“, ist koreanisch und steht für Kampfstellung einnehmen und Übungsstart. Was ich beobachte, ist der sogenannte Formenlauf: Arm- und Fußkombinationen, die in einem Lauf präsentiert werden. Richtig gut beherrscht das die 15-jährige Desiree Neumann. Sie ist im Nationalteam und tritt am Wochenende bei der Deutschen Meisterschaft an. Sie zeigt ihren Lauf und erhält Applaus.
Gemeinsam mit der SG Krumbach hat die Sportschule Sonner schon viele Spitzensportler hervorgebracht. Seine Schüler treten unter dem Dach des TC Donau-Lech-Iller an. „Bayernweit und bundesweit sind wir auf Wettkämpfen dominierend beim Formenlauf“, sagt Sonner. Aber darauf kommt es den meisten hier gar nicht an. Ausdauer, Kraft, Selbstverteidigung und mehr werden in Sonners Sportschule geübt. Ich bleibe trotzdem lieber bei Ballsport und Tanzen. Da brauche ich keinen Kampfschrei.
Liebe Leser! In unserer Serie „Ich probier’s mal“suchen unsere Mitarbeiter Herausforderungen, die sie vorher noch nie gemeistert haben. In regelmäßigen Abständen berichten sie in unserer Zei tung von ihren Erlebnissen. Haben Sie eine Anregung, was wir mal unbedingt versuchen sollen? Dann nichts wie her da mit! Melden Sie sich einfach in unserer Redaktion 08282/90740. Und vielleicht probieren wir’s ja.