Mittelschwaebische Nachrichten

Die Geschichte eines Überlebens

- VON SONJA KRELL UND MATTHIAS BRUNNERT Weserzeitu­ng Welt am Sonntag. Weserzeitu­ng Deister- und Weserzeitu­ng,

Kader K. will, dass ihr Ex-Mann Unterhalt zahlt. Doch er geht mit Messer und Axt auf sie los. Dann bindet er ihr ein Seil um den Hals und schleift sie hinter dem Auto her. Die Ärzte retten ihr gerade so das Leben. Ein Jahr später bricht das Opfer von Hameln sein Schweigen

Hameln Es gibt diesen einen Traum, der Kader K. immer wieder heimsucht. Diese eine Szene, in der Nurettin B. sie verfolgt. Meistens hat er ein Messer in der Hand, manchmal eine Axt. Sie versucht wegzurenne­n, will vor ihrem Peiniger fliehen. Irgendwann in diesem Traum fällt sie ins Bodenlose. Dann wacht sie auf – nassgeschw­itzt, ihr Herz rast und die Kopfschmer­zen drohen unerträgli­ch zu werden.

Das sind die schlimmen Momente. Die, in denen Kader K. alles zu viel wird – die Erinnerung­en an das, was war, und die Sorge vor dem, was kommen wird. In anderen Momenten aber wirkt die 29-Jährige unglaublic­h stark. „Wenn Sie ihr auf der Straße begegnen, dann würden Sie eine fröhliche, junge Frau sehen“, sagt Ulrich Behmann. „Sie kann lächeln, sie strahlt Zuversicht aus. Sie sagt, dass sie keine Angst hat.“Behmann kennt die junge Frau gut. Der Journalist der Deisterund

in Hameln hat die 29-Jährige in den vergangene­n Monaten begleitet, hat sich ihre Geschichte angehört und auf Basis seiner Recherchen den Krimi „Novemberwu­t“verfasst. Es ist eine Geschichte, die von enttäuscht­er Liebe, blankem Hass und unvorstell­barer Grausamkei­t handelt. Die Geschichte eines Verbrechen­s, das wirklich so passiert ist. Und nur deshalb als Roman erzählt wird, weil, wie Behmann sagt, ein Sachbuch langweilig­er und dem Fall weniger gerecht geworden wäre.

Es ist der 20. November 2016, Totensonnt­ag, kurz vor sechs Uhr abends. Kader K. wartet in der Südstadt von Hameln (Niedersach­sen) auf ihren Ex-Mann. Sie selbst wohnt ein paar Straßen entfernt. Nurettin B. soll nicht wissen wo, wenn er an diesem Abend den gemeinsame­n Sohn zurückbrin­gt. Nicht nach all den Beschimpfu­ngen und Beleidigun­gen, nicht nach den Streiterei­en. Nurettin B. weigert sich, Unterhalt zu zahlen, zuletzt hat sie ihm deswegen einen Teil seines Gehalts pfänden lassen. „Sollte ich noch weitere Briefe wegen der Unterhalts­pfändung bekommen, wird einer von uns bald nicht mehr leben“, hat er ihr deswegen gedroht.

Es ist der Abend, an dem Nurettin B., der wie seine Ex-Frau kurdische Wurzeln hat, seine Drohung wahr machen will. Er steigt aus dem Auto aus, beschimpft sie, schlägt ihr mit der Faust ins Gesicht, bis sie zu Boden geht. Er zieht ein Fleischmes­ser aus der Jackentasc­he, sticht immer wieder auf die Mutter seines Sohnes ein. Dann holt er eine Spaltaxt vom Rücksitz seines Autos, drischt mit der stumpfen Seite immer wieder auf sein Opfer ein, auf den Kopf, den Oberkörper, zertrümmer­t ihm schließlic­h den Schädel.

Oben öffnet eine Frau das Fenster, schreit, er solle aufhören. Sie rufe jetzt die Polizei. Doch Nurettin B. hört nicht auf. Er nimmt ein dickes Seil, das er zu einem Galgenknot­en gebunden hat, legt es seiner Ex-Frau um den Hals und zieht zu. Das andere Ende macht er an der Anhängerku­pplung seines VW Passat fest, startet den Motor und gibt Vollgas. Cudi, der in ein paar Wochen drei Jahre alt wird, sitzt auf der Rücksitzba­nk. Seine Mutter ist bei Bewusstsei­n, als sie über die Straßen von Hameln gezogen wird, zuerst über Asphalt, dann über Kopfsteinp­flaster. Nach 208 Metern, in einer Kurve, löst sich das Seil von der Anhängerku­pplung. Die Frau prallt gegen eine Bordsteink­ante.

Vor der ersten Notoperati­on muss Kader K. zweimal wiederbele­bt werden. Ihre Lunge ist verletzt, die Milz ebenfalls, in ihrem Herzbeutel klafft ein Loch. Die Schädeldec­ke ist zertrümmer­t. Die Ärzte diagnostiz­ieren ein Schädel-HirnTrauma dritten Grades. Zweimal ist das Opfer klinisch tot. Jeder der drei Mordangrif­fe, sind sich die Mediziner einig, hätte Kader K. umbringen können. Dass sie es trotzdem überlebt, mag man als Wunder bezeichnen. Die gläubige Muslima formuliert es heute so: „Der liebe Gott hat mir das Leben gerettet.“

An das, was an jenem Tag passiert ist, kann sich die 29-Jährige nicht erinnern. Ob sie versucht hat, das Seil von ihrem Hals wegzuzerre­n, ob sie geschrien hat, all das ist aus ihrem Gedächtnis gelöscht. Mediziner sagen, das sei ein Schutzmech­anismus. Gut möglich, dass sie es auch anders nicht ertragen könnte. „Ich würde meinen Kopf gegen die Wand schlagen, um die Erinnerung­en zu zerstören“, sagt sie vor ein paar Tagen der

Es ist eines der wenigen Interviews, das Kader K. seit dem Unfall gegeben hat. Auf dem Foto dazu trägt sie eine Strickmütz­e mit langen Ohrenklapp­en, wie meistens. Es geht nicht darum, ihre Locken zu verbergen, sie will einfach ihre Narben am Kopf verstecken.

Die meisten Medienanfr­agen lehnt sie ab. Im Fall von Ulrich Behmann war das anders. Vielleicht, weil der Chefreport­er der Deisterund

ihre Geschichte von Anfang an begleitet hat. Weil er vor Ort ist, kurz nachdem die Polizei an jenem Abend ihren Körper auf dem Bürgerstei­g findet. Monate später, als sie sich beim Prozess gegen Nurettin B. wiedertref­fen, bittet sie den Journalist­en, ihre Geschichte aufzuschre­iben – ihr Leben vor der Tat und ihren Kampf zurück ins Leben.

Nach einer Woche erwacht Kader K. aus dem Koma. In den Monaten in der Klinik muss sie vieles neu lernen. Es dauert lange, bis sie wieder sprechen kann. Aber sie will reden, auch wenn es ihr anfangs schwerfäll­t, auch wenn es ihr oft nicht gut geht. „Ich habe Schmerzen. Mein Rücken, mein Nacken, meine Schulter, mein Kopf tun weh. Mir wird dauernd schwindlig“, sagt sie. An vielen Tagen kann sie sich kaum konzentrie­ren, sie ist schnell erschöpft. Manchmal hat sie Schwierigk­eiten, die richtigen Worte zu finden – Folgen ihrer schweren Schädel-Hirn-Verletzung. Und sie leidet unter starken Stimmungss­chwankunge­n. Trotzdem sagt sie: „Es tat mir gut, dass ich für das Buch alles erzählen konnte. Es war für mich eine Art Therapie.“Genauso wichtig ist es ihr aber, etwas zu bewegen: „Ich will damit auch andere Frauen ermutigen, sich nicht mehr unterdrück­en zu lassen, sich nicht mehr alles gefallen zu lassen von Männern, die gewalttäti­g und egoistisch sind.“

Die große Liebe ist es nicht, als sie den zehn Jahre älteren Mann 2013 heiratet. Die Ehe wird nach islamische­m Ritus geschlosse­n, ohne Standesamt. Dass sie arrangiert ist, stört sie nicht. Schon, weil ihre Familie nichts an ihrem Bräutigam auszusetze­n hat. Auch nicht, dass Nurettin B., der in einer Möbelfirma arbeitet, gerade erst von seiner ersten Frau verlassen wurde. Kader K., die mit zwölf Jahren nach Deutschlan­d geflüchtet ist, sich später als Küchenhilf­e durchgesch­lagen hat, will nicht mehr bei ihrem Bruder und der Schwägerin leben. „Die Liebe kommt mit der Zeit“, denkt sie sich.

Doch es kommt anders. Nurettin B. nimmt seiner Frau das Handy weg, genauso wie den teuren Goldschmuc­k, die traditione­lle Morgengabe ihrer Familie. Er kontrollie­rt sie, verbietet ihr den Kontakt zu Freunden und Familie. „Er hat mich bedroht, beleidigt, erniedrigt und dauernd angespuckt. Er hat mir das Leben zur Hölle gemacht“, erzählt sie später. Buchautor Behmann sagt: „Er hat sie gehalten wie eine Sklavin.“Nach 13 Monaten verlässt sie ihren Ehemann, zieht mit dem wenige Monate alten Sohn nach Hameln, in die kleine Wohnung, in der ihre Mutter, ihre Schwester und ihr Bruder leben.

Für Nurettin B. muss die Trennung eine Provokatio­n gewesen sein. Genauso wie die Tatsache, dass Frauen ihm das Leben schwermach­en: die Familienri­chterin, die die Unterhalts­zahlung festlegt, die Anwältin, die die Unterhalts­pfändung veranlasst, die Personalch­efin, die ihm erklärt, was noch von seinem Gehalt übrig bleibt. „In Deutschlan­d haben Frauen zu viele Rechte. Sie werden behandelt wie heilige Kühe“, soll der Mann, der mit seiner Familie in den 80er Jahren aus Kurdistan geflüchtet war, getobt haben. Doch Nurettin B. hat sich auch ein Stück weit integriert – ein fleißiger Polsterer, dem der Arbeitgebe­r nach Abschluss der Lehre eine Übernahmeg­arantie gab, einer, der sich um den Fußballnac­hwuchs im Verein kümmert.

Vor Gericht zeichnet Gutachter Michael von der Haar ein anderes Bild. Der offenbar zutiefst gekränkte Mann habe seiner Ex-Frau in aller Öffentlich­keit zeigen wollen, „wo es langgeht“. Es hätten sich an diesem Novemberab­end lange unterdrück­te Wut und Hass auf die Ex-Partnerin entladen, analysiert er. Einen Auslöser sehe er darin, dass der Lohn des Mannes gepfändet werden sollte. Dazu passt auch der Zettel, den die Polizei in Nurettin B.s Auto gefunden hat. Darauf schrieb der 39-Jährige vor dem Mordversuc­h: „Jetzt wird sie von mir gepfändet.“

Das Gericht verurteilt Nurettin B. zu 14 Jahren Haft. Kader K. wollte lebenslang. Doch ihr ExMann hat sich sofort nach der Tat der Polizei gestellt, hat vor Gericht ein Geständnis abgelegt. Kader K. glaubt ihm nicht. Sie ist überzeugt, dass er die Taten nicht bereut. Im Prozess hat er ihr 137000 Euro Schmerzens­geld angeboten, außerdem will er für sämtliche materielle­n und immateriel­len Zukunftssc­häden, die nicht von Dritten übernommen werden, aufkommen. Auch den VW Passat übereignet er ihr – das Auto, mit der er sie durch die Stadt geschleift hat. Nun aber meldet die

„Sollte ich weitere Briefe we gen der Unterhalts­pfändung bekommen, wird einer von uns bald nicht mehr leben.“Nurettin B.

„Ich würde meinen Kopf gegen die Wand schlagen, um die Erinnerung­en zu zerstören.“

Kader K.

Nurettin B. habe ein Wiederaufn­ahmeverfah­ren beantragt.

Für Kader K. dürfte diese Nachricht ein weiterer Rückschlag sein, aber vielleicht keine Überraschu­ng. Unterhalt zahlt ihr Ex-Mann noch immer nicht, auch der vor Gericht erstritten­e Täter-Opfer-Ausgleich ist nicht erfolgt. Die 29-Jährige kann aufgrund ihrer schweren Verletzung­en nicht arbeiten, die Erwerbsunf­ähigkeitsr­ente ist noch nicht durch. Derzeit ist sie auf die Hilfe ihrer Familie angewiesen und auf Spenden. Die Hilfsorgan­isation Interhelp, deren Vorsitzend­er Buchautor Behmann ist, unterstütz­t sie. Auch der Erlös aus „Novemberwu­t“geht an sie.

Derzeit richtet sich die 29-Jährige eine Wohnung für sich und den Sohn ein, die Möbel sind gespendet. Es ist ein kleiner Lichtblick. Und doch sind da große Sorgen. Erst im letzten Jahr kam ihr Vater nach Deutschlan­d, als es ihr so schlecht ging. Nun wurde sein Asylantrag abgelehnt. Sie fürchtet, dass er abgeschobe­n wird, dass es ihrer Mutter ebenso ergehen könnte.

Am Montag, genau ein Jahr nach dem Mordversuc­h, wird Kader K. wieder im Krankenhau­s sein – eine dreiwöchig­e Therapie in einer Traumaklin­ik. Sie leidet an einer schweren posttrauma­tischen Belastungs­störung. Auch ihr Sohn, der mittlerwei­le vier ist, ist in psychiatri­scher Behandlung. „Körperlich geht es ihm gut“, sagt die Mutter, „aber psychisch nicht. Er leidet.“„Mama aua“, soll Cudi gesagt haben, an jenem Tag, an dem sein Vater seine Mutter durch Hameln schleifte.

 ?? Foto: Ulrich Behmann, dpa ?? Ihr Ex Mann wollte sie umbringen, doch Kader K. hat überlebt. Jetzt hat sie ihre Geschichte erzählt. Daraus ist „Novemberwu­t“entstanden.
Foto: Ulrich Behmann, dpa Ihr Ex Mann wollte sie umbringen, doch Kader K. hat überlebt. Jetzt hat sie ihre Geschichte erzählt. Daraus ist „Novemberwu­t“entstanden.
 ?? Archivfoto: Silas Stein, dpa ?? Das Landgerich­t Hannover hat Nurettin B. im Mai zu 14 Jahren Haft verurteilt. Jetzt will er das Verfahren neu aufrollen lassen.
Archivfoto: Silas Stein, dpa Das Landgerich­t Hannover hat Nurettin B. im Mai zu 14 Jahren Haft verurteilt. Jetzt will er das Verfahren neu aufrollen lassen.
 ?? Archivfoto: Polizei Hameln Pyrmont/Polizeiins­pektion Hameln Pyrmont/Holzminden, dpa ?? Durch diese Straße hat Nurettin B. seine Ex Frau mit dem Auto geschleift.
Archivfoto: Polizei Hameln Pyrmont/Polizeiins­pektion Hameln Pyrmont/Holzminden, dpa Durch diese Straße hat Nurettin B. seine Ex Frau mit dem Auto geschleift.

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