Mittelschwaebische Nachrichten

Wenn Angehörige zu Tätern werden

Ein Unternehme­r aus der Region hat schwarzarb­eitende Pflegekräf­te aus Osteuropa an Familien vermittelt. Die machten sich damit unbewusst strafbar. Jetzt muss der Mann in Haft

- VON ALEXANDER SING

Augsburg Als Alfred W. Anfang dieses Jahres Post von der Augsburger Staatsanwa­ltschaft bekam, wunderte er sich. War er etwa zu schnell gefahren? Was in dem Schreiben stand, schockiert­e den Mann aus dem Landkreis Günzburg: Gegen ihn war wegen des Verdachts auf Sozialvers­icherungsb­etrug ermittelt, das Verfahren aber eingestell­t worden. Noch schlimmer kam es einige Wochen später. Da flatterte ein Schreiben der Deutschen Rentenvers­icherung ins Haus. „Da stand dann drin, dass ich Beiträge in Höhe von 13 000 Euro nachzahlen soll. Das war unschön“, sagt W. und faltet die Hände auf seinem Esstisch.

Bis vor drei Jahren saß seine Mutter noch regelmäßig mit an diesem Tisch. Im Jahr 2011 hatte die damals 83-Jährige immer stärkere Probleme durch ihre Demenzerkr­ankung. „Sie hat gern gebügelt. Und eines Tages stand sie vor dem Bügelbrett und sagte: ,Ich würde gern helfen, aber ich weiß nicht, wie es geht.‘ Einen Tag vorher ging es noch.“Weil seine Mutter gerne in ihren eigenen Wänden bleiben wollte, suchte Alfred W. nach einer Haushaltsh­ilfe. „Ich wollte, dass jemand da ist, während ich in der Arbeit bin.“So stieß er auf einen Anbieter aus der Region, der versprach, schnell und günstig Pflegekräf­te aus Osteuropa zu vermitteln.

Innerhalb weniger Tage war die erste Frau da. Die folgenden drei Jahre gab es ständige Wechsel, keine Pflegekraf­t war länger als sechs Wochen im Haus. Man kam mal besser und mal schlechter aus. „Für meine Mutter waren diese ständigen Wechsel belastend. Aber unterm Strich hat es uns schon geholfen.“Dass etwas nicht legal sein könnte, darüber habe W. sich keine Gedanken gemacht. Der Vermittler habe ihm suggeriert, dass die Frauen als Selbststän­dige arbeiten würden. „Er war ja auch schon einige Jahre auf dem Markt, Bekannte haben schon mit ihm gearbeitet. Da dachte ich mir: Es wird schon passen.“

Doch das tat es nicht. Bereits 2013 begannen die Ermittlung­en gegen den Pflegeverm­ittler, die gestern mit einem Urteil vor dem Landgerich­t Augsburg ein Ende gefunden haben. Der heute 70-Jährige wurde wegen der Beihilfe zum Sozialvers­icherungsb­etrug in 2217 Fällen schuldig gesprochen und zu drei Jahren Haft verurteilt. Durch die massenhaft­e Vermittlun­g von schwarzarb­eitenden Pflegekräf­ten habe er den Sozialkass­en einen Schaden von 2,7 Millionen Euro zugefügt, hieß es in der Urteilsbeg­ründung. Dem Urteil war ein Mammutproz­ess vorausgega­ngen. 40 Tage wurde verhandelt, über 200 Zeugen wurden gehört. Am Ende war für das Gericht klar: Viele Familien waren Opfer und gleichzeit­ig Täter in einem System, das nur in der Illegalitä­t funktionie­ren konnte. Denn nur durch die Schwarzarb­eit konnte der Vermittler seine Dienste so günstig anbieten und sich einen Wettbewerb­svorteil verschaffe­n.

Die Vermittlun­g lief immer nach dem gleichen Muster ab. Die Familien erhielten einen Fragebogen zu den Anforderun­gen an die Pflegekraf­t. Innerhalb weniger Tage brachte der Mann dann eine entvier sprechende Frau. Dafür kassierte er eine Vermittlun­gsgebühr von rund 200 Euro sowie eine monatliche „Abgabenpau­schale“von 88 Euro. Der Hinweis, dass die Familien als Arbeitgebe­r die Frauen anmelden müssten, war im Kleingedru­ckten eines Merkblatts versteckt. Explizit darauf hingewiese­n wurde keiner der Befragten. Die meisten waren froh, schnell Hilfe zu bekommen, und fragten offenbar nicht nach. 82 von ihnen wurde das zum Verhängnis.

Ermittlung­en begannen im Jahr 2013

Verteidige­r wollen in Revision gehen

Denn das Gericht stellte klar fest: Sie hätten wissen müssen, dass sie als Arbeitgebe­r die Frauen anmelden müssten.

Die Verteidige­r des Mannes hatten Freispruch beantragt. Sie wollen nun in Revision gehen. Dann entscheide­t der Bundesgeri­chtshof. Alfred W. kümmert das wenig. „Ob er nun sitzt oder freikommt, ist mir egal. Ich ziehe daraus keine Befriedigu­ng.“Seine Mutter ist vor zwei Jahren gestorben. Er möchte jetzt mit der Sache abschließe­n.

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