Mittelschwaebische Nachrichten

Abrechnung im NSU Prozess

Die Nebenklage spricht in den Plädoyers von „institutio­nellem Rassismus“. Welche schwerwieg­enden Vorwürfe es gegen den Staat gibt

- Christoph Lemmer, dpa

München Erst zwei von rund 50 Nebenkläge­rn im NSU-Prozess sind bisher mit ihren Plädoyers zu Wort gekommen. Sie geben einen Vorgeschma­ck auf das, was noch folgt – eine Abrechnung nicht nur mit den Terroriste­n des „Nationalso­zialistisc­hen Untergrund­s“und deren Helfern, sondern auch mit dem Staat. Rechtsanwa­lt Mehmet Daimagüler, der die Tochter eines NSU-Mordopfers vertritt, spricht am Donnerstag mehrfach von „institutio­nellem Rassismus“bei den Sicherheit­sbehörden. Drei der Verteidige­r der Hauptangek­lagten Beate Zschäpe unterbrech­en ihn dabei immer wieder, teils empört und lautstark. „Dieses Verfahren findet nicht statt in einem politische­n Vakuum“, sagt Daimagüler. Auch manche Polizisten seien Rassisten, wenngleich wohl keine Nazis. „Dass die NSUMorde bis zum Schluss nicht aufgeklärt wurden, hat mit Rassismus zu tun, nicht mit Nazismus.“

Schon nach diesen wenigen Sätzen greifen die Verteidige­r Wolfgang Heer und Wolfgang Stahl ein. Sie beanstande­n, Daimagüler halte eine „politische Rede“. Heer moniert: „Wir sind in einem Strafproze­ss, nicht in einer politische­n Veranstalt­ung.“Die Verteidige­r stehen damit zwar allein, aber die Debatte darüber, wie weit Daimagüler gehen darf, zieht sich dann über Stunden hin. Andere Nebenkläge­r nehmen Daimagüler in Schutz und werfen den Verteidige­rn vor, sie missbrauch­ten ihr Recht auf Beanstandu­ngen. Auch Vertreter der Bundesanwa­ltschaft ergreifen Partei für Daimagüler. Dieser habe das Recht, sein Plädoyer „im Zusammenha­ng“vorzutrage­n. Mehrmals zieht sich das Oberlandes­gericht München zu Beratungen zurück und lehnt die Vorstöße der Zschäpe-Verteidige­r am Ende sämtlich ab. Zschäpe selbst verfolgt die Debatte stumm und reglos. Ihr Vertrauens­anwalt Mathias Grasel schaltet sich nicht ein.

Erst am Nachmittag kann Daimagüler sein Plädoyer fortsetzen – mit scharfer Kritik an den Geheimdien­sten. Die seien keineswegs „auf dem rechten Auge blind gewesen“. Sie hätten vielmehr die Führungsle­ute der Neonazi-Szene jahrelang mit Steuergeld bezahlt. „Was ist mit diesem Geld bezahlt worden?“, fragt der Nebenkläge­r-Anwalt. „Miete? Lebensmitt­el? Schusswaff­en? Diese Schusswaff­e?“Gemeint ist die Mordwaffe vom Typ Ceska, die Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt bei ihren Morden einsetzten. Daimagüler hatte sein Plädoyer im NSU-Prozess schon am Vortag begonnen und darin an das Verspreche­n von Bundeskanz­lerin Angela Merkel erinnert, alles zu tun, „um die Morde aufzukläre­n und die Helfershel­fer und Hintermänn­er aufzudecke­n“. Da habe seine Mandantin Hoffnung geschöpft. Aber anschließe­nd seien „landauf, landab bei Verfassung­sschutzbeh­örden Hunderte von Akten vernichtet worden“. Abschließe­n kann Daimagüler seinen Vortrag auch am Donnerstag nicht. Am Dienstag soll er sein Plädoyer fortsetzen. Anschließe­nd sollen auch weitere Nebenkläge­r an die Reihe kommen.

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Foto: Peter Kneffel, dpa Beate Zschäpe verfolgte die Debatte vor dem Oberlandes­gericht München stumm und reglos.

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