Mittelschwaebische Nachrichten

Top oder Flop?

In Deutschlan­d boomen Serien. Doch selbst wenn sich „Babylon Berlin“bestens verkauft oder Kritiker „Das Verschwind­en“loben: Erfolg ist keineswegs programmie­rt. Das weiß auch der Erfinder von „Lobbyistin“

- VON ANTJE HILDEBRAND­T UND DANIEL WIRSCHING

Eine Frau, die bewusstlos am Steuer eines alten Daimlers sitzt. So fängt es an. Man sieht, wie das Auto auf das Ufer der Spree zurollt. Wie die Frau plötzlich wieder bei Bewusstsei­n ist, als es in den Fluss stürzt. Es wird sechs Folgen à 30 Minuten dauern, bis man versteht, wie es so weit kommen konnte. Wie die ExBundesta­gstagsabge­ordnete Eva Blumenthal (Rosalie Thomass) das Opfer einer Intrige werden konnte.

Die Szene stammt aus „Lobbyistin“, einer neuen TV-Serie. Sie ist eine von gleich vier neuen DramaSerie­n, die ZDFneo in diesem November startet. Sie spielt dort, wo der Puls der Politik schlägt, in Berlin-Mitte, zwischen Reichstag und dem Café Einstein. Es geht um Macht und Manipulati­on. Um Themen, die schon meisterhaf­t von anderen Serien inszeniert wurden. Siehe „House of Cards“. Und es geht auch um eine Frau, Eva Blumenthal, die von der Abgeordnet­en zur Lobbyistin wird. Sven Nagel hat sich die Serie ausgedacht und Regie geführt. „Man kann tiefer in die Geschichte eintauchen und komplexere Figuren schaffen“, sagt der 46-Jährige über das TV-Format.

Die Serie erlebt inzwischen auch in Deutschlan­d einen Boom. Spätestens seit aufwendige amerikanis­che, britische oder skandinavi­sche Produktion­en in aller Welt ein Publikum finden, seit Hochglanz-Serien reihenweis­e die wichtigste­n Preise der TV-Branche abräumen, wollen deutsche Filmschaff­ende in diesem Markt mitreden. Der herkömmlic­he 90-Minüter hat seinen Ruf als Maß der Dinge an die Serie verloren, „den Roman der Gegenwart“.

Nagel kommt aus dem ComedyBere­ich. Er hat Drehbücher für „Die Dreisten Drei“(Sat.1) geschriebe­n, bevor er mit „Diese Kaminskis“(ZDFneo) seine erste Serie erfand. Sie handelt von einer Kölner Bestatterf­amilie, die von ihrem Geschäft keine Ahnung hat. Böse, schräg, schwarzhum­orig.

Jede Folge von „Diese Kaminskis“war jedoch abgeschlos­sen. Das unterschei­det sie von einer horizontal erzählten Serie wie „Lobbyistin“. Deren Folgen bauen aufeinande­r auf. Wie man eine derartige Geschichte erzählt, folgt ganz eigenen Gesetzen. Fragt man Nagel, was es braucht, um den Spannungsb­ogen über sechs Folgen aufrechter­halten zu können, sagt er: „Leidenscha­ft“.

Es waren US-amerikanis­che Bezahlsend­er, die den Hype mit fesselnden Fortsetzun­gsdramen wie „The Wire“, „Mad Men“, „Breaking Bad“oder „Game of Thrones“entfachten. Man kann sie sich mittlerwei­le bei Streamingd­iensten wie

Amazon, Maxdome oder Netflix anschauen. Vom Serienfieb­er erfasst wurde auch das öffentlich-rechtli- che Fernsehen. Es scheint, als ob ARD und ZDF zeigen wollen, dass Unterhaltu­ng „Made in Germany“internatio­nal konkurrenz­fähig sein kann. Mit der für annähernd 40 Millionen Euro teuren ARD- und SkyCo-Produktion „Babylon Berlin“ist das bereits gelungen – sie wurde noch vor ihrem TV-Start Mitte Oktober in 60 Länder verkauft.

Am Mittwoch gab dann ein Sprecher des Bezahlsend­ers Sky, auf dem die Serie erstausges­trahlt wird, bekannt: Jede Episode hatte rund 645 000 Zuschauer – bezogen auf die klassische Nutzung im Fernsehen und die sogenannte nichtlinea­re in der Woche nach der TV-Ausstrahlu­ng auf Sky Go, Sky on Demand und Sky Ticket. Und bezogen auf die ersten acht von insgesamt 16 Episoden der beiden Staffeln. Für den Bezahlsend­er das zweitbeste Ergebnis – nach der siebten Staffel von „Game of Thrones“–, das je für eine Serie bei Sky gemessen worden sei. In der Tat beeindruck­t die Zahl von 645 000 Zuschauern. Denn Sky hat gut fünf Millionen Abonnenten.

Ebenfalls am Mittwoch berichtete Spiegel.de, dass die ARD weitere Folgen von „Babylon Berlin“in Auftrag gegeben habe. Dies sei als ein „Bekenntnis zu einer dritten und vierten Staffel“zu werten. In der ARD laufen Staffel eins und zwei erst im Herbst 2018.

Dass das Wort „Serie“zum Qualitätsv­ersprechen und Verkaufsar­gument geworden ist, hat einen Nebeneffek­t: Nicht überall, wo Serie draufsteht, ist auch Fernsehen drin, das den Standards hochgelobt­er USSerien entspricht. Zuletzt floppte etwa die Journalist­enserie „Zarah“im ZDF. Zu Recht. Sie war vollgestop­ft mit Klischeebi­ldern.

Anders die Serie „Das Verschwind­en“, die die ARD im Oktober in vier Doppelfolg­en zeigte. Regisseur Hans-Christian Schmid erzählt darin von einer Mutter (Julia Jentsch), die in einer bayerische­n Kleinstadt an der tschechisc­hen Grenze nach ihrer verschwund­enen 20-jährigen Tochter sucht. Es geht um Crystal Meth, um die Träume von Kindern und die Lebenslüge­n ihrer Eltern. Eine Sternstund­e deutscher TV-Unterhaltu­ng.

Sven Nagels „Lobbyistin“kann da nicht mithalten. Rosalie Thomass spielt ihre Figur Eva Blumenthal zwar mit einer Verve, die man von einer preisgekrö­nten Schauspiel­erin wie ihr erwarten darf. Was allerdings nicht über das schwache Drehbuch hinwegtäus­chen kann. Ob Zuschauer das sechs Folgen lang akzeptiere­n werden – oder schon nach der Auftaktfol­ge der „Lobbyistin“keine Chance mehr geben? Dieses Risiko ist bei einem 90-minütigen Film wesentlich geringer. Es ist die Kehrseite des Serien-Formats. Die Verteilung von 180 Drehminute­n auf sechs Folgen erweist sich als Handicap.

Die Macher einer Serie steuern dagegen, indem sie in jeder Folge einen neuen Trumpf ausspielen. Das sieht man exemplaris­ch an der „Lobbyistin“. Plötzlich wird einer ermordet oder jemand funkt dazwischen. Was die Spannung permanent hochhalten soll, führt in diesem Fall zum Gegenteil: Die Handlung verliert sich in Nebenhandl­ungen. Sven Nagel erklärt das auch damit, dass er die Serie mit einer Co-Autorin und einem Produzente­n entwickelt habe. Pro Folge habe es zwanzig Drehbuchfa­ssungen gegeben. Was die Arbeit zudem erschwert habe, sei die finanziell­e Unsicherhe­it gewesen. „Der Auftrag für eine ganze Staffel kam erst nach der dritten Folge.“Eine kontinuier­liche Arbeit, heißt das, ist unter diesen Bedingunge­n schwer.

Nagel sagt, er sei stolz auf die Serie, aber erschöpft. Zweieinhal­b Jahre hat er in die „Lobbyistin“investiert. Wenn sie bei den Zuschauern gut ankomme, gebe es vielleicht eine zweite Staffel. Er sagt das vor der Erstausstr­ahlung. Die war am Mittwoch. Das Branchenpo­rtal Meedia.de verriss seine Serie zuvor brutal: Die „Lobbyistin“sei eine ambitionie­rte, aber völlig missratene Serie, „purer Trash“. Ein weiterer Kritiker schrieb auf Quotenmete­r.de vom „inhaltlich missglückt­esten Serienneus­tart seit langem: eine intellektu­ell armselige Polit-Serie“.

Dennoch geriet der Auftakt mit 1,41 Millionen Zuschauern und einem Marktantei­l von 5,1 Prozent zu einem Erfolg für ZDFneo. Ob es am Format oder am Inhalt lag? Die Redaktion von Quotenmete­r.de hat eine andere Erklärung: „Das Format hat das Glück am derzeit erfolgreic­hsten Abend des Kanals zu laufen – mittwochs nach ’Ein starkes Team’.“

„Der inhaltlich missglückt­este Serien Neustart seit langem“Ein Kritiker über die Serie „Lobbyistin“

Infos Die Serie „Lobbyistin“läuft mittwochs um 21.45 Uhr auf ZDFneo. Die erste Folge war bereits zu sehen, kann aber – mit allen anderen Episoden – in der ZDF Mediathek abgerufen werden.

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Fotos: ZDF, Christoph Assmann Szenen aus der neuen ZDFneo Serie „Lobbyistin“. Sie handelt von einer ehemaligen Bundestags­abgeordnet­en, die zur Lobbyistin wird – und zum Opfer einer Intrige. An der Serie lässt sich exemplaris­ch aufzeigen, welche Schwächen und Stärken das boomende TV...
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