Mittelschwaebische Nachrichten
Top oder Flop?
In Deutschland boomen Serien. Doch selbst wenn sich „Babylon Berlin“bestens verkauft oder Kritiker „Das Verschwinden“loben: Erfolg ist keineswegs programmiert. Das weiß auch der Erfinder von „Lobbyistin“
Eine Frau, die bewusstlos am Steuer eines alten Daimlers sitzt. So fängt es an. Man sieht, wie das Auto auf das Ufer der Spree zurollt. Wie die Frau plötzlich wieder bei Bewusstsein ist, als es in den Fluss stürzt. Es wird sechs Folgen à 30 Minuten dauern, bis man versteht, wie es so weit kommen konnte. Wie die ExBundestagstagsabgeordnete Eva Blumenthal (Rosalie Thomass) das Opfer einer Intrige werden konnte.
Die Szene stammt aus „Lobbyistin“, einer neuen TV-Serie. Sie ist eine von gleich vier neuen DramaSerien, die ZDFneo in diesem November startet. Sie spielt dort, wo der Puls der Politik schlägt, in Berlin-Mitte, zwischen Reichstag und dem Café Einstein. Es geht um Macht und Manipulation. Um Themen, die schon meisterhaft von anderen Serien inszeniert wurden. Siehe „House of Cards“. Und es geht auch um eine Frau, Eva Blumenthal, die von der Abgeordneten zur Lobbyistin wird. Sven Nagel hat sich die Serie ausgedacht und Regie geführt. „Man kann tiefer in die Geschichte eintauchen und komplexere Figuren schaffen“, sagt der 46-Jährige über das TV-Format.
Die Serie erlebt inzwischen auch in Deutschland einen Boom. Spätestens seit aufwendige amerikanische, britische oder skandinavische Produktionen in aller Welt ein Publikum finden, seit Hochglanz-Serien reihenweise die wichtigsten Preise der TV-Branche abräumen, wollen deutsche Filmschaffende in diesem Markt mitreden. Der herkömmliche 90-Minüter hat seinen Ruf als Maß der Dinge an die Serie verloren, „den Roman der Gegenwart“.
Nagel kommt aus dem ComedyBereich. Er hat Drehbücher für „Die Dreisten Drei“(Sat.1) geschrieben, bevor er mit „Diese Kaminskis“(ZDFneo) seine erste Serie erfand. Sie handelt von einer Kölner Bestatterfamilie, die von ihrem Geschäft keine Ahnung hat. Böse, schräg, schwarzhumorig.
Jede Folge von „Diese Kaminskis“war jedoch abgeschlossen. Das unterscheidet sie von einer horizontal erzählten Serie wie „Lobbyistin“. Deren Folgen bauen aufeinander auf. Wie man eine derartige Geschichte erzählt, folgt ganz eigenen Gesetzen. Fragt man Nagel, was es braucht, um den Spannungsbogen über sechs Folgen aufrechterhalten zu können, sagt er: „Leidenschaft“.
Es waren US-amerikanische Bezahlsender, die den Hype mit fesselnden Fortsetzungsdramen wie „The Wire“, „Mad Men“, „Breaking Bad“oder „Game of Thrones“entfachten. Man kann sie sich mittlerweile bei Streamingdiensten wie
Amazon, Maxdome oder Netflix anschauen. Vom Serienfieber erfasst wurde auch das öffentlich-rechtli- che Fernsehen. Es scheint, als ob ARD und ZDF zeigen wollen, dass Unterhaltung „Made in Germany“international konkurrenzfähig sein kann. Mit der für annähernd 40 Millionen Euro teuren ARD- und SkyCo-Produktion „Babylon Berlin“ist das bereits gelungen – sie wurde noch vor ihrem TV-Start Mitte Oktober in 60 Länder verkauft.
Am Mittwoch gab dann ein Sprecher des Bezahlsenders Sky, auf dem die Serie erstausgestrahlt wird, bekannt: Jede Episode hatte rund 645 000 Zuschauer – bezogen auf die klassische Nutzung im Fernsehen und die sogenannte nichtlineare in der Woche nach der TV-Ausstrahlung auf Sky Go, Sky on Demand und Sky Ticket. Und bezogen auf die ersten acht von insgesamt 16 Episoden der beiden Staffeln. Für den Bezahlsender das zweitbeste Ergebnis – nach der siebten Staffel von „Game of Thrones“–, das je für eine Serie bei Sky gemessen worden sei. In der Tat beeindruckt die Zahl von 645 000 Zuschauern. Denn Sky hat gut fünf Millionen Abonnenten.
Ebenfalls am Mittwoch berichtete Spiegel.de, dass die ARD weitere Folgen von „Babylon Berlin“in Auftrag gegeben habe. Dies sei als ein „Bekenntnis zu einer dritten und vierten Staffel“zu werten. In der ARD laufen Staffel eins und zwei erst im Herbst 2018.
Dass das Wort „Serie“zum Qualitätsversprechen und Verkaufsargument geworden ist, hat einen Nebeneffekt: Nicht überall, wo Serie draufsteht, ist auch Fernsehen drin, das den Standards hochgelobter USSerien entspricht. Zuletzt floppte etwa die Journalistenserie „Zarah“im ZDF. Zu Recht. Sie war vollgestopft mit Klischeebildern.
Anders die Serie „Das Verschwinden“, die die ARD im Oktober in vier Doppelfolgen zeigte. Regisseur Hans-Christian Schmid erzählt darin von einer Mutter (Julia Jentsch), die in einer bayerischen Kleinstadt an der tschechischen Grenze nach ihrer verschwundenen 20-jährigen Tochter sucht. Es geht um Crystal Meth, um die Träume von Kindern und die Lebenslügen ihrer Eltern. Eine Sternstunde deutscher TV-Unterhaltung.
Sven Nagels „Lobbyistin“kann da nicht mithalten. Rosalie Thomass spielt ihre Figur Eva Blumenthal zwar mit einer Verve, die man von einer preisgekrönten Schauspielerin wie ihr erwarten darf. Was allerdings nicht über das schwache Drehbuch hinwegtäuschen kann. Ob Zuschauer das sechs Folgen lang akzeptieren werden – oder schon nach der Auftaktfolge der „Lobbyistin“keine Chance mehr geben? Dieses Risiko ist bei einem 90-minütigen Film wesentlich geringer. Es ist die Kehrseite des Serien-Formats. Die Verteilung von 180 Drehminuten auf sechs Folgen erweist sich als Handicap.
Die Macher einer Serie steuern dagegen, indem sie in jeder Folge einen neuen Trumpf ausspielen. Das sieht man exemplarisch an der „Lobbyistin“. Plötzlich wird einer ermordet oder jemand funkt dazwischen. Was die Spannung permanent hochhalten soll, führt in diesem Fall zum Gegenteil: Die Handlung verliert sich in Nebenhandlungen. Sven Nagel erklärt das auch damit, dass er die Serie mit einer Co-Autorin und einem Produzenten entwickelt habe. Pro Folge habe es zwanzig Drehbuchfassungen gegeben. Was die Arbeit zudem erschwert habe, sei die finanzielle Unsicherheit gewesen. „Der Auftrag für eine ganze Staffel kam erst nach der dritten Folge.“Eine kontinuierliche Arbeit, heißt das, ist unter diesen Bedingungen schwer.
Nagel sagt, er sei stolz auf die Serie, aber erschöpft. Zweieinhalb Jahre hat er in die „Lobbyistin“investiert. Wenn sie bei den Zuschauern gut ankomme, gebe es vielleicht eine zweite Staffel. Er sagt das vor der Erstausstrahlung. Die war am Mittwoch. Das Branchenportal Meedia.de verriss seine Serie zuvor brutal: Die „Lobbyistin“sei eine ambitionierte, aber völlig missratene Serie, „purer Trash“. Ein weiterer Kritiker schrieb auf Quotenmeter.de vom „inhaltlich missglücktesten Serienneustart seit langem: eine intellektuell armselige Polit-Serie“.
Dennoch geriet der Auftakt mit 1,41 Millionen Zuschauern und einem Marktanteil von 5,1 Prozent zu einem Erfolg für ZDFneo. Ob es am Format oder am Inhalt lag? Die Redaktion von Quotenmeter.de hat eine andere Erklärung: „Das Format hat das Glück am derzeit erfolgreichsten Abend des Kanals zu laufen – mittwochs nach ’Ein starkes Team’.“
„Der inhaltlich missglückteste Serien Neustart seit langem“Ein Kritiker über die Serie „Lobbyistin“
Infos Die Serie „Lobbyistin“läuft mittwochs um 21.45 Uhr auf ZDFneo. Die erste Folge war bereits zu sehen, kann aber – mit allen anderen Episoden – in der ZDF Mediathek abgerufen werden.