Mittelschwaebische Nachrichten

Christus kostet 450 Millionen Dollar

Am nunmehr weltweit teuersten Gemälde hat Leonardo da Vinci womöglich nur mitgearbei­tet. Aber der Wahnsinn der Trophäenja­gd bei Auktionen hat Methode

- VON RÜDIGER HEINZE

Augsburg Nun bleibt selbst hartgesott­enen Finanz-Kunst-Jongleuren die Spucke weg. Nicht 200 Millionen Dollar hat Leonardo da Vincis eher kleines (und diskutable­s) „Salvator Mundi“-Gemälde bei einer New Yorker Christie’s-Versteiger­ung erbracht (was ja auch schon mit deutlichem Abstand den absoluten Auktionsre­kordpreis für ein Gemälde bedeutet hätte), nicht 300 Millionen Dollar, nicht 400 Millionen Dollar, sondern inklusive Gebühren, die der neue Eigentümer ja auch bezahlen muss, 450312500 Dollar. Umgerechne­t 381,6 Millionen Euro. Das muss man verfügbar erst mal auf der hohen Kante haben.

Der Wahnsinn der Rekord- und Trophäenja­gd hat Methode. Noch weniger als Alte Meister liegen derzeit christlich­e Motive im Trend des Kunstmarkt­s. Nun aber hat dieser frontal segnende Christus, geschätzt auf „nur“100 Millionen Dollar, den bisherigen Gemälde-Rekordprei­s für Picassos „Frauen von Algier“(179,4 Millionen Dollar) mit Lässigkeit weit um das Doppelte übertrumpf­t. Wie das?

Zur Erklärung gehört auch, dass der „Salvator Mundi“am Donnerstag­abend in die Nachkriegs- und Zeitgenoss­en-Auktion von Christie’s eingeglied­ert worden war – eingeklemm­t zwischen die millionens­chweren Damen Louise Bourgeois und Vija Celmins zuvor und die millionens­chweren Herren Jean-Michel Basquiat und Keith Haring hernach. Ein Andachtsmo­tiv zwischen mehr oder weniger angesagter, mehr oder weniger hipper Gegenwarts­kunst, die regelmäßig der Finanzspek­ulation dient. Mit der die jeweiligen Besitzer auch erfolgreic­h

Alle anderen Gemälde von Leonardo sind in Museen

Vermögen und fashionabl­e Aufgeschlo­ssenheit demonstrie­ren können. Der Kunstmarkt nennt sie in Anlehnung an langjährig ertragssta­rke Aktien mitunter Bluechips. Da hinein war jetzt der Christus gesteckt – und der Grund dürfte einzig und allein am weltweit populären Namen des tatsächlic­hen oder mutmaßlich­en oder nur beteiligte­n Schöpfers liegen: Leonardo da Vinci. Keiner wohl ist internatio­nal bekannter als er – nachdem 1911 seine „Mona Lisa“spektakulä­r aus dem Louvre geklaut worden war.

Der bislang unbekannte Käufer des „Salvator Mundi“, der beim 19-minütigen New Yorker Gefecht per Telefon mitbot, hat also ein „Star“- und „Label“-Produkt ersteigert. Quasi eine männliche Mona Lisa, 66 mal 45 Zentimeter groß, um 1500 sfumato auf Walnusshol­z gemalt. Wenn er es seinen Freunden vorführt, darf er sich höchster Aufmerksam­keit, Bewunderun­g, Ergebenhei­t sicher sein: Keine 20 Gemälde sind von Leonardo überliefer­t, alle anderen befinden sich in Museumsbes­itz. Ein wirkliches und wirksames Alleinstel­lungsmerkm­al.

Zudem hat das Bild eine Geschichte, die unbedingt verkaufsfö­rdernd zündet. Seine Biografie ist eine Tellerwäsc­her-Story: vom Aschenbröd­el hinauf in die Spitzen- Was belegt werden kann, das ist für das 20. Jahrhunder­t die Zugehörigk­eit zu einer englischen Kunstsamml­ung unter der Autorschaf­t „Umkreis des Leonardo-Schülers Giovanni Antonio Boltraffio“. Ziemlich vage, das Ganze – und als nicht sonderlich wertvoll eingeschät­zt: Für unter 50 Pfund wechselte das gute Stück in den 50er Jahren den Besitzer.

Unter 50 Pfund! Dann „schlief“es erst mal bis ins Jahr 2005 hinein – bis es der US-Kunsthändl­er Robert Simon erblickte. Er erwarb es mit einem Kollegen-Konsortium, ließ es reinigen und restaurier­en. Angeblich war es die segnende Hand des Salvator Mundi, die Simon auf die Leonardo-Spur gebracht hatte (siehe Bildvergle­ich unten rechts).

Solcher Segnung konnte sich das Bild hinfort nicht mehr entziehen. Seine Super-Karriere wurde unaufhalts­am. Mehrere Leonardo-Experten bestätigte­n seine Authentizi­tät, und es war Teil der großen Londoner Leonardo-Retrospekt­ive 2011/2012 – bevor es 2013 für rund 77,5 Millionen Dollar an Yves Bouvier, den umstritten­en Betreiber weltweiter (Kunst-)Zollfreila­ger verkauft wurde. Er reichte es umgehend für etwa 127,5 Millionen Dollar an den russischen Multimilli­ardär Dimitri Rybolovlev weiter, der jetzt in New York durch die Versteiger­ung einen sauberen Schnitt machte: Auf seine Milliarden satteln noch mal einige hundert Millionen drauf. Bouvier und Rybolovlev streiten sich übrigens bis heute gerichtlic­h, ob im Jahr 2013 die Höhe der Vermittlun­gsgebühr von 50 Millionen Dollar angemessen war – oder weit überzogen. So etwas nennt man ein Luxus-Problem.

Was aber der neue Eigentümer jetzt weit hintanstel­lt, das sind die Zweifel, mit denen der „Salvator Mundi“belegt ist. Noch wenige Stunden vor der Versteiger­ung wiegesells­chaft. derholte der Leipziger Kunsthisto­riker Frank Zöllner seine Einschätzu­ng, dass zwar der Entwurf des Gemäldes von Leonardo stamme, dass aber das Werk insgesamt – auch aufgrund einiger künstleris­cher Schwächen – als Werkstatta­rbeit zu betrachten sei, an dem da Vinci nur mitgearbei­tet habe. Und Zöllner erklärte unmissvers­tändlich auch, dass es im Falle des „Salvator Mundi“um mehr als Kunst gehe: „Das Gemälde ist im Grunde ein Symbol für die extrem ungleiche Vermögensv­erteilung auf der Welt. Den Menschen, die darauf bieten, ist es letztlich egal, ob sie 100 oder 200 Millionen Dollar dafür zahlen.“

Das zweitteuer­ste Bild derselben Auktion betraf übrigens ein weiteres Leonardo-Motiv: sein „Letztes Abendmahl“in Mailand, allerdings in 60-facher Vervielfäl­tigung und 60-facher Verfremdun­g durch Andy Warhol. Dafür muss der Ersteigere­r 61 Millionen Dollar hinblätter­n. Eine Million Dollar pro Abendmahl.

Ein Multimilli­ardär macht einen sauberen Schnitt

 ?? Foto: afp ?? New York, 15. November 2017: Mitarbeite­r des Auktionsha­uses Christie’s nehmen gut gelaunt Telefon Gebote für das umstrit tene Leonardo da Vinci Gemälde „Salvator Mundi“, oben auf dem Bildschirm, entgegen.
Foto: afp New York, 15. November 2017: Mitarbeite­r des Auktionsha­uses Christie’s nehmen gut gelaunt Telefon Gebote für das umstrit tene Leonardo da Vinci Gemälde „Salvator Mundi“, oben auf dem Bildschirm, entgegen.
 ?? Fotos: dpa/Archiv ?? Ein Vergleich der rechten Hände von „Salvator Mundi“(links) und von „Johannes der Täufer“(rechts) soll die Spur auf Leonardo da Vinci gebracht haben.
Fotos: dpa/Archiv Ein Vergleich der rechten Hände von „Salvator Mundi“(links) und von „Johannes der Täufer“(rechts) soll die Spur auf Leonardo da Vinci gebracht haben.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany