Mittelschwaebische Nachrichten
„Familien und Behörden getäuscht“
Warum der Pflegevermittler ins Gefängnis muss
Augsburg Als er das Urteil hört, muss sich der Angeklagte kurz auf der Lehne seines Stuhls abstützen. Drei Jahre soll er ins Gefängnis. Außerdem soll er das Geld, das er durch die Vermittlung von schwarzarbeitenden Pflegekräften verdient hat, zurückzahlen, rund 184 000 Euro. Das hatte sich der 70-Jährige aus dem südlichen Landkreis Günzburg anders vorgestellt.
Noch in der vergangenen Woche hatte der Unternehmer nach einem Jahr Verhandlung vor dem Landgericht Augsburg auf einen Freispruch gehofft. Doch es kam anders. Die Große Strafkammer um Richterin Dorothee Singer sah es als erwiesen an, dass der Mann massenhaften Sozialversicherungsbetrug bewusst gefördert hat. Sein Geschäftsmodell sei darauf ausgelegt gewesen, osteuropäische Pflegekräfte schwarz zu beschäftigen. Nur so habe er günstig und schnell Hilfe an Familien vermitteln und sich einen Wettbewerbsvorteil verschaffen können.
In der Urteilsbegründung sagte Richterin Singer klar: „Die Familien hatten die Stellung eines Arbeitgebers und hätten das auch erkennen müssen.“Deshalb gelten 82 Angehörige als Haupttäter. Die Verfahren gegen sie wurden größtenteils bereits wegen geringer Schuld eingestellt. Für das Verfahren gegen den Vermittler sind sie trotzdem wichtig. „Er wusste genau, dass die Pflegekräfte in der Regel nicht angemeldet werden“, sagte die Richterin. Dass die Frauen auch als Selbstständige hätten arbeiten können, weist das Gericht zurück. Schließlich hätten sie genaue Vorgaben gehabt, einen festen Lohn bekommen und kein Gewerbe angemeldet.
Mehrfach betonte Singer die „mühevolle Kleinarbeit“, mit der die Kammer jeden einzelnen Fall in dem Mammutverfahren aufgearbeitet hat. Das führte sie zu dem Schluss, dass der 70-Jährige durchaus mit krimineller Energie gehandelt habe. Er habe die Familien und die Behörden getäuscht, sogar seine „eigene Krankenversicherung aufgemacht“, indem er Arztrechnungen von Pflegekräften einfach selbst bezahlt hatte. Der Fall habe eine „gesellschaftspolitische Dimension“, so die Richterin. An die PflegeProblematik „müsste die Politik dringend ran“.
Jetzt streben die Verteidiger eine Revision vor dem Bundesgerichtshof an. Rechtsanwalt Hansjörg Schmid rechnet damit, den Antrag im Frühjahr 2018 einreichen zu können. Regressansprüche durch die betroffenen Familien fürchtet er nicht. Schließlich seien sie selbst Tatbeteiligte. Die geschädigten Krankenkassen könnten allerdings auf zivilrechtlichem Weg klagen.