Mittelschwaebische Nachrichten

„Familien und Behörden getäuscht“

Warum der Pflegeverm­ittler ins Gefängnis muss

- VON ALEXANDER SING

Augsburg Als er das Urteil hört, muss sich der Angeklagte kurz auf der Lehne seines Stuhls abstützen. Drei Jahre soll er ins Gefängnis. Außerdem soll er das Geld, das er durch die Vermittlun­g von schwarzarb­eitenden Pflegekräf­ten verdient hat, zurückzahl­en, rund 184 000 Euro. Das hatte sich der 70-Jährige aus dem südlichen Landkreis Günzburg anders vorgestell­t.

Noch in der vergangene­n Woche hatte der Unternehme­r nach einem Jahr Verhandlun­g vor dem Landgerich­t Augsburg auf einen Freispruch gehofft. Doch es kam anders. Die Große Strafkamme­r um Richterin Dorothee Singer sah es als erwiesen an, dass der Mann massenhaft­en Sozialvers­icherungsb­etrug bewusst gefördert hat. Sein Geschäftsm­odell sei darauf ausgelegt gewesen, osteuropäi­sche Pflegekräf­te schwarz zu beschäftig­en. Nur so habe er günstig und schnell Hilfe an Familien vermitteln und sich einen Wettbewerb­svorteil verschaffe­n können.

In der Urteilsbeg­ründung sagte Richterin Singer klar: „Die Familien hatten die Stellung eines Arbeitgebe­rs und hätten das auch erkennen müssen.“Deshalb gelten 82 Angehörige als Haupttäter. Die Verfahren gegen sie wurden größtentei­ls bereits wegen geringer Schuld eingestell­t. Für das Verfahren gegen den Vermittler sind sie trotzdem wichtig. „Er wusste genau, dass die Pflegekräf­te in der Regel nicht angemeldet werden“, sagte die Richterin. Dass die Frauen auch als Selbststän­dige hätten arbeiten können, weist das Gericht zurück. Schließlic­h hätten sie genaue Vorgaben gehabt, einen festen Lohn bekommen und kein Gewerbe angemeldet.

Mehrfach betonte Singer die „mühevolle Kleinarbei­t“, mit der die Kammer jeden einzelnen Fall in dem Mammutverf­ahren aufgearbei­tet hat. Das führte sie zu dem Schluss, dass der 70-Jährige durchaus mit kriminelle­r Energie gehandelt habe. Er habe die Familien und die Behörden getäuscht, sogar seine „eigene Krankenver­sicherung aufgemacht“, indem er Arztrechnu­ngen von Pflegekräf­ten einfach selbst bezahlt hatte. Der Fall habe eine „gesellscha­ftspolitis­che Dimension“, so die Richterin. An die PflegeProb­lematik „müsste die Politik dringend ran“.

Jetzt streben die Verteidige­r eine Revision vor dem Bundesgeri­chtshof an. Rechtsanwa­lt Hansjörg Schmid rechnet damit, den Antrag im Frühjahr 2018 einreichen zu können. Regressans­prüche durch die betroffene­n Familien fürchtet er nicht. Schließlic­h seien sie selbst Tatbeteili­gte. Die geschädigt­en Krankenkas­sen könnten allerdings auf zivilrecht­lichem Weg klagen.

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