Mittelschwaebische Nachrichten
17 Kilometer zu Fuß zum Gottesdienst nach Burtenbach
500 Jahre Reformation 1878 gab es den ersten offiziellen evangelischen Gottesdienst in Krumbach. Vorher galt es für die Protestanten, weite Strecken in Kauf zu nehmen
Krumbach Die Ausstellung „Evangelisch in Schwaben“, die im Rahmen des Gedenkjahres 500 Jahre Reformation im Mittelschwäbischen Heimatmuseum gezeigt wurde, war Anlass für den Heimatverein zu erforschen, wann die ersten evangelischen Christen in Krumbach verzeichnet sind. In der Krumbacher Stadtgeschichte kann man zwar nachlesen, dass bereits im 16. Jahrhundert Juden in Hürben ansässig waren. Aber Evangelische, Lutherische? Fehlanzeige. Der Chronik der evangelischen Kirchengemeinde Krumbach kann man entnehmen, dass 1878 der erste evangelische Gottesdienst in Krumbach stattfand. Doch wo könnten die evangelischen Christen vorher zur Kirche gegangen sein?
Die älteste evangelische Gemeinde in unserer Nähe ist in Bur- tenbach zu finden. Hier hatte im Jahre 1546 der Stadthauptmann von Augsburg und Ortsherr Sebastian Schertlin von und zu Burtenbach das evangelische Bekenntnis eingeführt. Ein Anruf bei Pfarrer Norbert Riemer in Burtenbach stößt auf großes Verständnis. Für den versierten Familienforscher ist das Stöbern in alten Akten beliebte Freizeitbeschäftigung. Aber er bittet um etwas Geduld. Nach einigen Wochen meldet sich Pfarrer Riemer wieder. Er hatte ausführlich im Staatsarchiv Augsburg sowie in den Kirchenbüchern und den Kirchenvorstandsprotokollen im Pfarramtsarchiv Burtenbach recherchiert und überraschende Funde ans Tageslicht gebracht.
Bekanntlich gehörte der Marktflecken Krumbach im 16. Jahrhundert zur Markgrafschaft Burgau und stand, wie diese, unter der Herrschaft der Habsburger. Damit war es eindeutig katholisches Territorium mit eben einer Ausnahme, nämlich dem reichsfreien Markt Burtenbach. Dies hielt den in vielen Orten vertretenen katholischen Landadel aber nicht davon ab, evangelische Bedienstete anzustellen. So sind um 1600 solche bei Carles von Freyberg zu Raunau und bei den Vöhlin von Frickenhausen zu Neuburg an der Kammel nachgewiesen. Und in Krumbach? Fehlanzeige.
Erst als die Markgrafschaft Burgau durch den Frieden von Pressburg 1805 an den neu entstehenden bayerischen Staat fiel und die religiösen Verhältnisse durch das Religionsedikt von 1809 sowie die Bayerische Verfassung von 1818 geregelt waren, gab es eine garantierte Glaubens-, Gewissens- und Niederlassungsfreiheit. Die alten evangelischen Gemeinden in Burtenbach, Leipheim, Lauben und Frickenhausen bestanden weiterhin. Dazwischen aber lagen Krumbach und Hürben in einem sogenannten Niemandsland.
Laut Riemer waren die Evangelischen, die sich in diese „terra incognita“aufmachten, sozusagen „freie Radikale“, freie Protestanten. Sie gehörten formal zu keiner Kirchengemeinde, waren nirgends inkorporiert. Die Kirchen oder Gemeinden für Kasualien wie Taufen oder Trauungen konnten sie frei wählen, ebenso den Ort des Abendmahlempfangs. So machten sich im frühen 19. Jahrhundert die Evangelischen von Krumbach und Hürben auf den Weg nach Burtenbach, eine Wegstrecke von gut 17 Kilometern.
Ihre Absicht war, mindestens einmal im Jahr das Heilige Abendmahl zu feiern. Acht feste Termine gab es pro Jahr: Gründonnerstag, Ostersonntag, Pfingsten, 8. Sonntag nach Trinitatis, Erntedankfest, Reformationsfest, 1. Advent und Weihnachten. Seit 1838 sind die Teilnehmer namentlich bekannt, da sich die Abendmahlsgäste in das „Communikanten-Register“eintragen mussten.
Ab dem Jahr 1865 war der Gründonnerstag der bevorzugte Abendmahlstermin für die Evangelischen aus dem Krumbacher Raum. Sie nahmen einen bis zu dreistündigen Fußmarsch bei Wind und Kälte, über gefrorene, verschneite und matschige Straßen in Kauf. Durchgefroren kamen sie in einer ungeheizten Kirche an. Bei bis zu 150 Abendmahlsgästen an Gründonnerstag 1867 dürfte der Gottesdienst dann auch entsprechend lang gedauert haben. Vermutlich ging es dann anschließend, nach dem Segen, zum Aufwärmen und zur Stärkung in eines der damals zahlreichen Burtenbacher Wirtshäuser, bevor man sich wieder auf den Heimweg machte. Am Gründonnerstag 1870 hatten sich 17 Personen aus Krumbach und Umgebung in Burtenbach eingefunden. Unter ihnen war der Oberförster Johann Jacob Adolf Wiesner mit Gattin und fünf Töchtern aus Hürben. Wiesner und der seit 1871 in Krumbach als Notar tätige Friedrich Striedinger, ebenfalls evangelischen Glaubens, arbeiteten bald darauf hin, dass in Krumbach oder Hürben eine eigene Gottesdienststation eingerichtet würde.
Aber gut Ding will Weile haben. Zumal es einem königlich bayerischen Pfarrer nicht ohne Weiteres erlaubt war, irgendwo einen öffentlichen Gottesdienst zu halten. Dazu bedurfte es einer regierungsamtlichen Genehmigung aus München und der Zustimmung des protestantischen Konsistoriums in Ansbach. Und dann ging es doch ganz schnell. Am 4. April 1878 erging ein Schreiben der königlichen Regierung von Schwaben und Neuburg, Kammer des Inneren in Augsburg, an das königliche Bezirksamt Krumbach. Betreff: Die Abhaltung protestantischen Gottesdienstes zu Krumbach. Darin heißt es: „Sie erhalten gegen Rückgabe abruhend eine Zuschrift des kgl. protestantischen Consistoriums zu Ansbach nebst Beilage vom 27. v. Ms., wonach beantragt ist, daß, insolange das Bedürfnis besteht, für die Protestanten zu Krumbach u. Umgebung jährlich einmal zu Krumbach ein protestantischer Gottesdienst durch den Pfarrer von Burtenbach abgehalten werden dürfe. Sie werden beauftragt, nach Einvernehmung der Marktgemeindeverwaltung Krumbach sich binnen 14 Tagen zu äußern, ob der Abhaltung dieser Gottesdienste Bedenken entgegenstehen.“Bereits am 12. April 1878 antwortet der Bezirksamtmann von Riedl der kgl. Regierung von Schwaben und Neuburg wie folgt: … „bringe ich ehrerbietigst zur Anzeige, dass der Abhaltung jährlicher protestantischer Gottesdienste in Krumbach durch den protestantischen Pfarrer in Burtenbach nichts im Wege steht.“
Am Ostermontag, 22. April 1878 fand nun der erste offizielle Gottesdienst mit 41 Teilnehmern in Hürben statt. Tatsächlich aber war es nicht der erste Gottesdienst, denn schon ein Jahr zuvor, am Palmsonntag 1877, fand ein Gottesdienst mit 32 Kommunikanten im Speisesaal des Fernsemer’schen Töchterinstituts, dem späteren Englischen Institut, statt. Sozusagen ein Testlauf. Aber das wurde natürlich nicht an die große Glocke gehängt. Ende gut, alles gut, möchte man sagen – nicht ganz, denn die Burtenbacher haderten mit dem Krumbacher Gottesdiensttermin bis 1883. Dieser war auf den Ostermontag festgelegt worden, wobei dann der Gottesdienst in Burtenbach entfallen musste.
Der Kirchenvorstand befürchtete, dass dieser zweite Feiertag in Burtenbach als Werktag benützt würde, wenn dort kein Gottesdienst stattfände. Erst 1883 schloss man den Kompromiss, in Burtenbach den Gottesdienst am Ostermontag um 7 Uhr beginnen zu lassen, sodass der Pfarrer gegen 10 Uhr in Krumbach noch Gottesdienst halten könne. Was für den Pfarrer bedeutete: Raus aus der Kirche und rein in die wartende Kutsche oder auf den Schlitten. Und der Pfarrkutscher musste sich sputen.
War der Burtenbacher Pfarrer bis Anfang der 90er Jahre eher selten nach Krumbach gekommen, so änderte sich das unter Pfarrer Ernst Zech, ab 1890 evangelischer Geistlicher in Burtenbach. Da die Mehrzahl der Zöglinge des Fernsemer’schen Töchterinstituts in Krumbach protestantisch war, fuhr Pfarrer Zech alle 14 Tage nach Krumbach zur Erteilung eines eineinhalbstündigen Religionsunterrichts. Dadurch kam er auch mit der Gemeinde in lebhaftere und gesegnete Verbindung. Die Folge war ein Verlangen der Gemeinde nach Vermehrung der Gottesdienste. So wurden ihnen 1894 vier Gottesdienste jährlich durch den königlichen Regierungspräsidenten genehmigt.
Als dann im Jahre 1902 in Krumbach der Wunsch nach Ausweitung der jährlichen Gottesdienste von vier auf zehn aufkam und auch genehmigt wurde, erfolgte gleichzeitig die „Zuteilung“zum Vikariat Günzburg. Die Gottesdienste für die mittlerweile 144 Protestanten im Bereich des Bezirksamtes Krumbach, davon 88 im Stadtgebiet, hielt ein Reiseprediger aus Günzburg im Betsaal des Hürbener Rixnerhauses, auch „Hohes Haus“genannt. Bevor die Krumbacher Gemeinde 1930 ihre eigene neu gebaute Kirche in der Jochnerstraße benutzen konnte, hatte sie ab 1920 Gastrecht in der katholisch-apostolischen Kirche in der Burgauer Straße.