Mittelschwaebische Nachrichten
Zu Gast im grünen Musterdorf
Delegationen aus aller Welt kamen bereits in die Einöde Brandenburgs, um sich anzuschauen, wie die Energiewende klappen kann
Treuenbrietzen/Meitingen Am Anfang der grünen Revolution in Feldheim standen ein gewiefter Student und besorgte Bauern. Der eine sah das Dorf im Südwesten Brandenburgs als idealen Ort für Windräder, die anderen fürchteten angesichts fallender Rübenpreise um ihre Zukunft. Zusammen legten sie den Grundstein für ein einzigartiges Projekt. Seit 2009 ist das kleine Feldheim mit seinen etwa 135 Einwohnern und 35 Häusern energieautark. Es setzt nicht nur ausschließlich auf erneuerbare Energiequellen, sondern hat auch sein eigenes, vom Rest der Republik komplett unabhängiges Stromnetz. Doch taugt es auch als Blaupause für grüne Zukunftsträume?
Feldheim ist kaum mehr als eine lange Straße, gesäumt von Linden und Einfamilienhäusern, einer Bushaltestelle und einem Fußballplatz. In den Ställen gackern Hühner und grunzen Schweine. Auf den Feldern dahinter drehen sich die Windräder. 55 sind es inzwischen. 54 mehr als das Dorf jährlich für seinen Strom bräuchte, sagt Stefan Them, Energiemanager der Stadt Treuenbrietzen, zu der Feldheim gehört.
Die grüne Revolution hat Feldheim berühmt gemacht. Ein Dorf, das sich mit Strom und Wärme aus erneuerbaren Energien komplett selbst versorgt, das hat es in Deutschland noch nie gegeben. Strom liefert nun der Wind. Wenn der nicht weht, hilft die von der örtlichen Agrargenossenschaft aus der Not heraus gebaute und 2008 in Betrieb genommene Biogasanlage aus. Von dieser bezieht das Dorf auch seine Wärme. Nur im Winter, wenn es bitterkalt und der Bedarf besonders hoch ist, verfeuert das Dorf zusätzlich Holzhackschnitzel. Seit 2015 steht zudem ein Batteriespeicher am Dorfrand, um überschüssigen Strom zu lagern.
Für die Einwohner lohnt es sich. Der Preis liege pro Kilowattstunde bei 16,9 Cent, sagt Them. Bundesweit zahlt man durchschnittlich fast das Doppelte.
Besuch hatte Feldheim in den vergangenen Jahren reichlich. Aus Thailand und sogar Nordkorea kamen Delegationen in die brandenburgische Einöde, um sich von Ortskundigen wie Energiemanager Them das Feldheimer Modell erklären zu lassen. Am Anfang begrüßten die Feldheimer die Gäste noch auf der Straße, dann in einem Container. Inzwischen wartet ein schmucker Neubau mit Unterrichtsraum und Ausstellung auf neugierige Besucher. Die Botschaft aber blieb über all die Jahre dieselbe. „Feldheim zeigt, welche großen Chancen die Energiewende für den ländlichen Raum bietet“, sagt Them.
So sehen das immer mehr Kommunen. Wildpoldsried etwa – die Vorzeigegemeinde im Allgäu – produziert nach eigenen Angaben fast siebenmal mehr Energie aus erneuerbaren Quellen, als es selbst verbraucht. Doch nicht jede Kommune, geschweige denn Großstadt, hat genügend Flächen für Windrad und Solarpark. Und während bundesweit immer mehr Strom aus Wind und Energie ins Netz fließt, klettern die Preise immer weiter nach oben. Thilo Schaefer vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln warnt: „Energieintensive deutsche Unternehmen haben bisher einige Kraftanstrengungen mitgetragen – doch auch sie werden sich überlegen müssen, ob sie künftig hierbleiben oder nicht in Billigstromländer abwandern.“
Die Ziele der Bundesregierung sind ehrgeizig. Bis 2022 sollen alle deutschen Kernkraftwerke vom Netz gehen. Gleichzeitig will die Regierung den Anteil von fossilen Energieträgern wie Kohle und Gas am Strommix kräftig zurückfahren. Schaefer mahnt: „Im Moment benötigen wir diese Energieträger noch, damit weiterhin verlässlich Strom fließt und viele Orte Deutschlands nicht ihre Industrie verlieren.“
Meitingen, eine 11 000-Einwohner-Gemeinde nördlich von Augsburg, ist ein solcher Ort. Meitingen ist in vielerlei Hinsicht das Gegenteil von Feldheim. Meitingen ist gut angebunden. Die A8 ist wenige Autominuten entfernt, die B2 führt mitten durch das Gemeindegebiet. In Meitingen haben sich gleich zwei Unternehmen niedergelassen, die viel Strom verbrauchen: die LechStahlwerke und der KohlenstoffSpezialist SGL Carbon. Sie beschäftigen zusammen mehr als 1500 Mitarbeiter. Auch deshalb ziehen sich gleich mehrere Stromtrassen über die Kommune.
Auch in Meitingen ist die Energiewende längst im Alltag sichtbar. Seit fast einem Jahrhundert liefert das Wasserkraftwerk am Lech Strom. In der Gemeinde haben sich mehrere Straßen zu Wärmeverbünden zusammengeschlossen, auf einigen Häuserdächern liegen Solarmodule. Und auf einem Feld nahe dem Ortsteil Langenreichen dreht sich ein Windrad.
Ein bis zwei Prozent des eigenen Verbrauchs decke die Gemeinde durch selbst produzierten Strom ab, sagt Bürgermeister Michael Higl. Die Gemeinde sei deshalb zwingend auf Fremdlieferungen angewiesen. „Gerade unsere energieintensiven Unternehmen brauchen nicht nur wettbewerbsfähigen Strom, sondern auch Versorgungssicherheit – das ganze Jahr über.“Ansonsten könnten Arbeitsplätze verloren gehen.
Solche Sorgen hat Feldheim nicht. Im Dorf gibt es weder ein Stahlwerk noch einen KohlenstoffSpezialisten. Dafür eine kleine Autowerkstatt. Wie deren Besitzer den Feldheimer Weg findet? „Gut“, sagt er, „ein Modell für die Zukunft.“
Nicht jeder Ort hat Platz für Windräder oder Solarparks