Mittelschwaebische Nachrichten
Von der strategischen zur echten Harmonie
Wie Constanze Lindner in Ursberg ein ganzes Wohnhaus verkörperte
Ursberg Die Anwärmphase, die erste Kontaktnahme mit dem Publikum ist für einen Alleinunterhalter besonders wichtig. Die Verfahren der Kabarettisten und Komiker ähneln sich, ohnehin ist das Ziel das gleiche. Es gilt, das Publikum emotional aufzuwecken und Sympathien zu gewinnen. Constanze Lindner sprengte bei ihrem Auftritt im Saal des Klosterbräuhauses Ursberg deutlich den Rahmen des Üblichen.
Sie fegte in ihrer Gier nach Harmonie, wie sie erklärt hatte, durch den Saal und verteilte Küsse, wobei auch die hinteren Reihen ihren Teil abbekamen. Das Vorgehen dürfte einem zweiten Zweck dienen. Die Künstlerin tastet ab, welche Anwesende bereit sind, sich im Verlauf des Abends immer einmal wieder einbeziehen zu lassen.
Dass sie über die dafür nötige blitzartige Auffassungsgabe und Geistesgegenwart verfügt, das bewies sie fortwährend. Keine Reaktion aus dem Publikum entgeht ihr. Auf jedes Niesen reagiert sie und als einem Besucher das Handy zu Boden fällt, fragt sie in Anspielung auf eine Pointe in ihrem Programm spontan nach: „Ist der Herzschrittmacher noch am Mann?“Ansatzlos zieht Constanze Lindner das Publikum in den Sog ihrer raschen Rede, ihrer Pointen, ihrer Fantasien und Sprachspielereien, vor allem aber auch ihrer Seufzer, Schreie, Füllwörter, Wortfetzenstakkatos.
Und das Material scheint nicht erschöpfbar an einem Abend, denn es steht nicht eine Person auf der Bühne, sondern diese eine Person verkörpert ein halbes Dutzend Rollen. Alle diese mit ungeheurer Bühnenpräsenz Dargestellten wohnen in einem Haus: die spröde Maklerin, die schusselige Rentnerin, die männermordende Russin, die mopsige Fee und natürlich auch, an Komik kaum zu toppen: Cordula Brödtke.
Die Rollen liefern Constanze Lindner ein gewaltiges Beziehungsund Bedeutungsspektrum, das sich im Lauf des Abends selbst potenziert, wodurch die vom Publikum erwartete Steigerung gleichsam natürlich sich einstellt. Noch während sich die Künstlerin einen Augenblick vom Publikum abwendet und von einem Tisch die nötigen Utensilien für den Rollentausch anlegt, ändern sich die Stimme, das Sprechtempo und die Marotten, die kennzeichnend sind für die jeweilige Person. Cordula Bröthke trägt ihre Wollmütze, eine überdimensionierte Brille.
Ihre Zähne scheinen einem Steinbruch entnommen. Aber was ihr die Natur an Attraktivität verweigert hat, das kompensiert sie mühelos durch ihre kreischende Stimme, die beschwörenden Gesten, das anbiedernde Lächeln, den Gesichtsausdruck der Dauerentzückten.
Die Fee hingegen wirkt träge und weinerlich, ihr einziger Sport seien die vier Tafeln Ritter Sport täglich. Constanze Lindners Auftritt ist kurzweilig und witzig und dreht sich am Ende in die Harmoniephase des Anfangs.
War aber die Harmonie am Anfang eine aufgesetzte, eine strategische, so hat sie am Ende des Programms Echtheit, „Körper“und „Gewicht“.