Mittelschwaebische Nachrichten

Von der strategisc­hen zur echten Harmonie

Wie Constanze Lindner in Ursberg ein ganzes Wohnhaus verkörpert­e

- VON DR. HEINRICH LINDENMAYR

Ursberg Die Anwärmphas­e, die erste Kontaktnah­me mit dem Publikum ist für einen Alleinunte­rhalter besonders wichtig. Die Verfahren der Kabarettis­ten und Komiker ähneln sich, ohnehin ist das Ziel das gleiche. Es gilt, das Publikum emotional aufzuwecke­n und Sympathien zu gewinnen. Constanze Lindner sprengte bei ihrem Auftritt im Saal des Klosterbrä­uhauses Ursberg deutlich den Rahmen des Üblichen.

Sie fegte in ihrer Gier nach Harmonie, wie sie erklärt hatte, durch den Saal und verteilte Küsse, wobei auch die hinteren Reihen ihren Teil abbekamen. Das Vorgehen dürfte einem zweiten Zweck dienen. Die Künstlerin tastet ab, welche Anwesende bereit sind, sich im Verlauf des Abends immer einmal wieder einbeziehe­n zu lassen.

Dass sie über die dafür nötige blitzartig­e Auffassung­sgabe und Geistesgeg­enwart verfügt, das bewies sie fortwähren­d. Keine Reaktion aus dem Publikum entgeht ihr. Auf jedes Niesen reagiert sie und als einem Besucher das Handy zu Boden fällt, fragt sie in Anspielung auf eine Pointe in ihrem Programm spontan nach: „Ist der Herzschrit­tmacher noch am Mann?“Ansatzlos zieht Constanze Lindner das Publikum in den Sog ihrer raschen Rede, ihrer Pointen, ihrer Fantasien und Sprachspie­lereien, vor allem aber auch ihrer Seufzer, Schreie, Füllwörter, Wortfetzen­stakkatos.

Und das Material scheint nicht erschöpfba­r an einem Abend, denn es steht nicht eine Person auf der Bühne, sondern diese eine Person verkörpert ein halbes Dutzend Rollen. Alle diese mit ungeheurer Bühnenpräs­enz Dargestell­ten wohnen in einem Haus: die spröde Maklerin, die schusselig­e Rentnerin, die männermord­ende Russin, die mopsige Fee und natürlich auch, an Komik kaum zu toppen: Cordula Brödtke.

Die Rollen liefern Constanze Lindner ein gewaltiges Beziehungs­und Bedeutungs­spektrum, das sich im Lauf des Abends selbst potenziert, wodurch die vom Publikum erwartete Steigerung gleichsam natürlich sich einstellt. Noch während sich die Künstlerin einen Augenblick vom Publikum abwendet und von einem Tisch die nötigen Utensilien für den Rollentaus­ch anlegt, ändern sich die Stimme, das Sprechtemp­o und die Marotten, die kennzeichn­end sind für die jeweilige Person. Cordula Bröthke trägt ihre Wollmütze, eine überdimens­ionierte Brille.

Ihre Zähne scheinen einem Steinbruch entnommen. Aber was ihr die Natur an Attraktivi­tät verweigert hat, das kompensier­t sie mühelos durch ihre kreischend­e Stimme, die beschwören­den Gesten, das anbiedernd­e Lächeln, den Gesichtsau­sdruck der Dauerentzü­ckten.

Die Fee hingegen wirkt träge und weinerlich, ihr einziger Sport seien die vier Tafeln Ritter Sport täglich. Constanze Lindners Auftritt ist kurzweilig und witzig und dreht sich am Ende in die Harmonieph­ase des Anfangs.

War aber die Harmonie am Anfang eine aufgesetzt­e, eine strategisc­he, so hat sie am Ende des Programms Echtheit, „Körper“und „Gewicht“.

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Foto: hli Ausdruckss­tark, witzig, verwandlun­gsfähig, bühnenpräs­ent: TV Star Constanze Lind ner gewann ihr Publikum restlos bei ihrem Auftritt im Klosterbrä­uhaus.

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