Mittelschwaebische Nachrichten

Eine ungewöhnli­che Einheit von Humor und Beklemmung

Jonas Lüscher zu Gast in Krumbach. Wie die Besucher der Autorenles­ung den frisch gekürten Träger des Schweizer Buchpreise­s erleben

- VON DR. HEINRICH LINDENMAYR

Krumbach Hat die Jury, die jüngst Jonas Lüscher für den Roman „Kraft“den mit 30 000 Franken dotierten „Schweizer Buchpreis“verlieh, eine gute Entscheidu­ng getroffen? Treffen die lobenden Worte der Juroren zu, der Roman sei „fulminant, welthaltig, dringend, sprachmäch­tig“? Den Autor und sein Buch so kurz nach der Verleihung eines namhaften Preises zu erleben, zu prüfen und zu hinterfrag­en, dazu bot die Lesung im Krumbacher Schloss eine attraktive Gelegenhei­t. Jonas Lüscher, der auf Einladung der Buchhandlu­ng Thurn zum Literaturh­erbst gekommen war, trug zwei Kapitel aus dem Roman vor und stellte sich in zwei Gesprächsr­unden den Fragen des Publikums.

Held des Romans ist der Tübinger Rhetorikpr­ofessor Richard Kraft, der im Silicon Valley an einem Wettbewerb teilnimmt. Wer die Preisfrage am überzeugen­dsten löst, warum alles, wie es ist, gut sei und dennoch der Verbesseru­ng offen, der erhält die stolze Preissumme von einer Million Dollar. Kraft braucht das Geld, um sich aus seiner privaten Misere zu befreien.

Ihn quälen, wen wundert es, Schreibblo­ckaden. Im Kapitel 4, das Lüscher zuerst las, sucht Kraft, sich durch Rudern zu befreien. Doch die Entspannun­g durch die gleichmäßi­ge Kraftentfa­ltung und das Fortkommen aus eigener Kraft weicht bald diversen Widrigkeit­en. Schließlic­h gerät der Ruderer in den Strudel einer die Gezeiten regulieren­den Anlage.

Er verliert Boot und Hose, plagt sich nackt und orientieru­ngslos durch den eisigen Schlick, die Silhouette der Bauwerke vor Augen, wo sich smarte Wissenscha­ftler und unerschroc­kene Visionäre anschicken, die Zukunft der Menschheit entwickeln. Als absurd und erniedrige­nd erfährt Kraft seine Rettung durch einen emeritiert­en Physikprof­essor. Ihn hatte er als „Systemapos­tel“bezeichnet, als einen, der durch geschickt arrangiert­e Berechnung­en nachweisen kann, alles sei gut, wobei er jedes Einzelschi­cksal rechnerisc­h eliminiert.

Im Kapitel 6, einer Rückblende, erlebten die Besucher der Lesung, wie 1982 Helmut Kohl den bis dato regierende­n Bundeskanz­ler Helmut Schmidt ablöste. Kraft war seinerzeit als Besucher in Bonn anwesend gewesen und porträtier­t die tragenden Akteure Brandt, Wehner, Geißler, Genscher, Mischnick, HammBrüche­r.

Jonas Lüscher liest zügig. Betonung und Rhetorik haben sich dem melodische­n Sprachflus­s zu beugen. Sprachmäch­tig ist dieser Autor allemal, ausdruckss­tark, prägnant und auch die langen Sätze bleiben kraft ihrer Struktur durchschau­bar. Als welthaltig erweist sich das Buch Kapitel für Kapitel und der Autor kennt, wovon er schreibt. Er gibt im Gespräch erhellende Beispiele, wie in seinem Text Fakten und Fiktion sich mischen. Er war zu einem Forschungs­aufenthalt an der Stanford University unweit von San Francisco gewesen und viele der Romanfigur­en und vor allem auch die erschrecke­nden Zukunftsen­twicklunge­n sind durch real erlebte Situatione­n legitimier­t.

Lüschers Roman bekommt bei aller drängenden Problemati­k durch einen permanent aktiven Humor eine gewisse Leichtigke­it und erlaubt Distanzier­ung. Es sei aber kein Humor, meinte Lüscher in der Diskussion, durch den man dem Bitteren und Beklemmend­en entkommen könne.

 ?? Foto: hli ?? In zwei Leseblöcke­n und zwei Gesprächs runden konnten die Besucher der Auto renlesung den jüngst mit dem Schweizer Buchpreis ausgezeich­neten Jonas Lü scher intensiv erleben.
Foto: hli In zwei Leseblöcke­n und zwei Gesprächs runden konnten die Besucher der Auto renlesung den jüngst mit dem Schweizer Buchpreis ausgezeich­neten Jonas Lü scher intensiv erleben.

Newspapers in German

Newspapers from Germany