Mittelschwaebische Nachrichten
Warum sich die Situation bei der Pflege immer mehr zuspitzt
Mit deutlichen Worten spricht Armin Rieger über die Wurzeln des Übels
Attenhofen Armin Rieger hat ein Buch über sein Herzensthema geschrieben, zudem zahllose Briefe und Petitionen an die Politik. Aber an den Missständen in deutschen Pflegeheimen habe sich bis heute nichts geändert – im Gegenteil: „Mit jedem Gesetz ist es noch schlechter geworden“, beklagte der Augsburger Pflegeheimleiter am Donnerstag bei einer Veranstaltung der Senioren-Union im Attenhofer „Hirsch“.
Wie die Kreisvorsitzende Hildegard Mack sagte, haben sich die CSU-Senioren das Thema Pflege für das nächste Jahr als Schwerpunkt vorgenommen. Ein Thema, das mit der zunehmenden Alterung der Gesellschaft an Bedeutung gewinne. Insbesondere die Altenpflege hat sich aus Sicht von Mack zu einem unmenschlichen, vor allem an betriebswirtschaftlichen Daten orientierten System entwickelt. „Aber wir wollen uns dafür starkmachen, dass die Würde des Menschen auch im Alter noch anerkannt wird“, versprach die Kommunalpolitikerin.
Doch das könnte schwierig werden. Rieger, 59, von der Kriminalpolizei über die Immobilienbranche eher zufällig zu seiner heutigen Mission gekommen, kämpft seit Jahren gegen das „charakterlose und menschenverachtende System Pflegedienst“an. Ohne Erfolg. Dabei kennt er die Symptome und benennt die Ursachen, mitunter schonungslos. Was ihm in den Medien das Etikett „Pflegerebell“eingebracht hat.
Über die Zustände in vielen Pfle- geheimen waren sich der Referent und gut ein halbes Dutzend Pflegekräfte im Publikum in ihrer sehr lebhaften Diskussion weitgehend einig. Zu wenig und überlastetes Personal, oft schlechtes und unzureichendes Essen, mangelnde Zuwendung, nicht selten auch ein zumeist vermeidbares Wundliegen. Letzteres ist aus Riegers Sicht Körperverletzung – „eigentlich ein Fall für den Staatsanwalt“, wie er sagte.
Ausführlich widmete sich der Kritiker den Ursachen der Misere. Die resultiere hauptsächlich aus dem Gewinnstreben der jeweiligen Träger. Die simple Formel: „Gute Pflege bringt wenig Gewinn, schlechte bedeutet viel Gewinn.“Rieger zufolge erzielen die großen, börsennotierten Pflegeheim-Konzerne mitunter Beträge in dreistelliger Millionenhöhe. „Die gleichen Strukturen finden sich jedoch auch in den großen Wohlfahrtsverbänden.“Dort würden Gewinne bevor- zugt durch die Ausgliederung von bestimmten Leistungen erzielt, der Küche etwa oder des Putzdienstes.
Wer aber ist letztlich für die Entwicklung verantwortlich? Rieger ist der Meinung: Weder Träger noch Heimleiter oder das Personal. „Die Politik hat es in der Hand, das System zu kippen, aber alle Koalitionen verhielten sich in den vergangenen 15 bis 20 Jahren teilweise wie eine Hure im Bett der Heimbetreiber“, sagte er. Deshalb sei er parteiübergreifend wütend auf die Politik, vor allem wegen unzulänglicher Gesetze.
So könne etwa der Personalschlüssel, der seit Einführung der Pflegeversicherung 1995 trotz wachsender Aufgaben unverändert blieb, durch eine Nichtbesetzung von Stellen mühelos unterlaufen werden. Folgenlos und unzureichend seien die verschiedenen Kontrollen: Bei 900 Heimbewohnern würden neun Personen geprüft und diese zumeist von den jeweiligen Betreuern ausgesucht. Hinzu kämen zum Teil skurrile Vorgaben: Vom Pflege-Tüv etwa werde nicht die Qualität des Essens bewertet, sondern die Schriftgröße des Speiseplans. „Auch der Abstand eines Waschbeckens zur Wand ist wichtiger als die Zahl der Pflegekräfte.“
Aus Sicht des Referenten ist der Politik alles bekannt, aber es wird dort ignoriert. Was also tun? Eine gewisse Ratlosigkeit prägte auch die Debatte. Nicht erbrachte, jedoch dokumentierte Leistungen anzuprangern, sei keine Lösung. Rieger: „Damit wären Pflegekräfte Opfer und Täter zugleich.“
Ein Streik, wie eine Frau vom Fach anregte? Der Vorschlag des Heimleiters: „Das Personal sollte sich solidarisieren und der Heimaufsicht mit Überlastungsanzeigen dokumentieren, dass keine menschenwürdige Pflege gewährleistet werden kann.“
Unzureichende Kontrollen und skurrile Vorgaben