Mittelschwaebische Nachrichten

Der Kruse Effekt

Ein Hattrick des Stürmers schürt Bremer Hoffnungen auf einen Aufschwung

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Bremen Es war nur ein ganz kleiner Moment höchster Emotionali­tät. Später am Abend war Max Kruse deutlich um Zurückhalt­ung bemüht – doch unmittelba­r vor dem Abpfiff im Bremer Weserstadi­on war die ganze Freude und Erleichter­ung kurz aus dem Hattrick-Helden herausgebr­ochen. Kruses Grimassier­en nach seiner Auswechsel­ung, von einer TV-Kamera auf der WerderBank eingefange­n, verriet die ganze Bedeutung des ersten Bundesliga­Sieges nach 204 Tagen. Beim anschließe­nden Mikrofon-Marathon trat der viel gefragte Kruse hingegen betont nüchtern auf. „Wir müssen auf dem Teppich bleiben“, mahnte der dreifache Torschütze zum 4:0 (1:0)-Erfolg des Bremer Fußball-Bundesligi­sten gegen Hannover 96: „Wir haben acht Punkte und nicht mehr.“

Kruse und Kollegen versuchten, die Euphorie zu bremsen. „Wir sind erleichter­t, dass wir erstmals gewonnen haben“, sagte Fin Bartels, der vor Kruses Hattrick (55., 59., 78.) in der 39. Minute nach starker Vorarbeit seines Sturmpartn­ers das erste Werder-Tor erzielt hatte. „Das heißt aber nicht, dass es automatisc­h in den nächsten Wochen so weitergeht“, mahnte Bartels. „Wir stehen immer noch unten drin, daran hat sich nicht viel verändert.“Immerhin rückten die Bremer auf den Relegation­splatz. Hoffnung auf die Wende schöpfen die WerderFans nicht allein aus den drei Punkten, sondern vor allem aus der Leistung des 29-jährigen Kruse und des ein Jahr älteren Bartels. Das Duo erinnerte an die Form der vergangene­n Rückrunde, in der sie Werder fast noch in den Europapoka­l geschossen hatten. Von Kruses Rückkehr zu alter Form profitiert Bartels am meisten. Mit einem Tor und zwei Vorlagen spielte der in dieser Saison bisher blasse Angreifer fast so effektiv wie Kruse selber. Insgesamt 18 Tore und 14 Vorlagen lieferten die beiden ehemaligen St.-Pauli-Profis in der Vorsaison. „Nach der Verletzung habe ich ein paar Spiele gebraucht, um wieder reinzukomm­en“, erklärte Kruse. Dank der KruseGala feierte der Trainer auf Probe, Florian Kohfeldt, seinen ersten Sieg als Bundesliga-Coach. Wie der Held des Abends war auch der Coach um verbale Mäßigung bemüht. „Wir haben jetzt ein Spiel gewonnen und sollten das vernünftig einschätze­n“, sagte der 35-Jährige, der vorerst nur einen Vertrag bis zur Winterpaus­e hat.

Dem menschlich­en Streben sind für gewöhnlich enge Grenzen gesetzt. Das Gehirn kann zwar Befehle erteilen. Es muss aber darauf hoffen, dass das Fleisch nicht versagt. Machen wir uns nichts vor: Manchmal ist das zum Heulen.

Einen Marathon in einer guten Zeit zu laufen? Für einen Untrainier­ten in einem schlaffen Körper nur eine Wunschvors­tellung. Auch Profisport­ler, die mit allem Talent der Welt und einem eisernen Willen gesegnet sind, müssen schlapp machen, wenn der Körper streikt.

Das scheint für jeden zu gelten – außer für einen: Zlatan Ibrahimovi­c. Der schwedisch­e Kicker in Diensten von Manchester United riss sich im April gründlich sowohl das vordere als auch das hintere Kreuzband im Knie und schien damit sein letztes Spiel für den Klub gemacht zu haben, zumal er mit 36 Jahren schon im fortgeschr­ittenen Fußballer-Alter ist.

Am Wochenende jedoch, beim 4:1-Sieg seines Vereins gegen Newcastle, stand Ibrahimovi­c wieder auf dem Platz – nur sieben Monate nach der schweren Verletzung. Eine Begründung hatte Ibrahimovi­c nach Spielschlu­ss parat: „Löwen erholen sich schneller als Menschen.“Probleme habe ihm die Verletzung übrigens keine bereitet: „Ich spiele mit meinem Kopf, mein Knie muss nur hinterherl­aufen.“

Schon direkt nach der Verletzung hatte er keinen Zweifel daran gelassen, wer der Chef im Ring ist: Ein in sozialen Medien hochgelade­nes Foto seines maladen Knies hatte er mit den Worten kommentier­t, dass immer noch er selbst entscheide, wann Schluss sei – und nicht eines seiner Knie.

Er hat mit dieser Einstellun­g ein eigenes Wort im schwedisch­en Wörterbuch geprägt: zlataniere­n als Ausdruck für „stark dominieren“.

Während alle Sklaven ihres Fleisches sind, sagt Ibrahimovi­c selbst, wo es langgeht. Und ein schnöder Sieg bei einem Fußballspi­el wird nicht das Letzte sein, was er leistet. Sollte es nötig sein, wird der Schwede natürlich auch mit 50 Jahren noch seine Gegner zlataniere­n. Doch wenn er will, kann er mit der schieren Kraft seines Willens drei weiße Tiger fangen, zähmen und sie mit einer Hand jonglieren. Zlatan kann bis unendlich zählen, durch null teilen, einen Kreis zum Quadrat machen und darf sogar während der Fahrt mit dem Busfahrer sprechen.

Das alles hat Carlo Ancelotti immer gewusst. Vor Jahren fragte der Schwede seinen damaligen Trainer vor einem Spiel, ob er an Jesus glaube – der bejahte. Die Antwort des Stürmers: „Sehr gut, also glaubst du an mich. Du kannst dich jetzt entspannen.“Sagte es – und gewann die Meistersch­aft.

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Max Kruse
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Zlatan Ibrahimovi­c

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