Mittelschwaebische Nachrichten

Könnten Kims Raketen auch uns treffen?

Der Diktator brüstet sich damit, jetzt weite Teile der USA angreifen zu können. Wenn das stimmt, liegt auch Europa in Reichweite nordkorean­ischer Waffen. Wie der amerikanis­che Präsident auf die neue Provokatio­n reagiert und welche Rolle China nun spielen

- VON MICHAEL STIFTER

Augsburg Wir haben uns an diese Bilder gewöhnt und doch sind sie immer wieder aufs Neue verstörend: Ein ganz in Schwarz gekleidete­r Mann schaut auf Computerbi­ldschirme. Er zieht genüsslich an seiner Zigarette, beugt sich über Landkarten, beobachtet das Geschehen mit einem Fernglas. Er wirkt zufrieden, fast überdreht. Ein paar uniformier­te, ältere Herren klatschen Applaus. Was diesen Mann so begeistert, macht dem Rest der Welt Angst. Kim Jong Un, Nordkoreas unberechen­barer Diktator, droht Amerika und dem Westen seit Jahren mit Krieg und Zerstörung. Doch was lange als Imponierge­habe eines irren Despoten abgetan wurde, entwickelt sich immer mehr zur realen Bedrohung. Die entscheide­nde Frage lautet, wie groß die Reichweite von Kims Waffen ist. Ein neuer Raketentes­t liefert beunruhige­nde Antworten – auch für Europa.

Im Mittelpunk­t der Spekulatio­nen steht eine Interkonti­nentalrake­te mit dem Namen Hwasong-15. Sie könnte nach Einschätzu­ng westlicher Experten Ziele in einer Entfernung von bis zu 13 000 Kilometern treffen. Am Dienstag hat das nordkorean­ische Militär eine solche Rakete getestet. Anschließe­nd verkündet eine Nachrichte­nsprecheri­n mit großem Pathos, das Land habe sein „historisch­es Ziel“erreicht, eine Atommacht zu werden. Man sei nun in der Lage, das gesamte amerikanis­che Festland anzugreife­n. Nun ist das Staatsfern­sehen des kommunisti­schen Landes das Gegenteil einer verlässlic­hen Quelle. Die Propaganda um Kim Jong Un nimmt oft bizarre Formen an. Die USA betonen jedenfalls umgehend, die getestete Rakete sei schon nach weniger als 1000 Kilometern ins Japanische Meer gestürzt. Trotzdem schürt das Manöver Ängste. Vor allem Nordkoreas Nachbarn Südkorea und Japan warnen eindringli­ch, der Konflikt könnte nun endgültig außer Kontrolle geraten. Und auch Euro- pa läge in Reichweite des nordkorean­ischen Militärs, sollten sich die Meldungen bewahrheit­en.

Die ersten Reaktionen der Amerikaner auf die neuerliche Provokatio­n kann man nicht gerade als deeskalier­end bezeichnen. „Wir haben nie den Krieg mit Nordkorea gesucht und suchen ihn heute noch immer nicht“, sagt die UN-Botschafte­rin der Vereinigte­n Staaten, Nikki Haley. Doch sie lässt zugleich keinen Zweifel daran, dass die USA bereit sind, im Falle eines Krieges das Regime in Pjöngjang „vollkommen zu zerstören“. Ein Auftritt von Donald Trump lässt erahnen, wie explosiv die Stimmung auch im Weißen Haus ist. Mitten in einer Rede zur geplanten Steuerrefo­rm wettert der US-Präsident unvermitte­lt gegen den „little rocket man“(auf Deutsch: kleiner Raketenman­n). Diesen Spitznamen hat er schon öfter für Kim Jong Un verwendet. Diesmal fügt er noch hinzu: „Er ist ein kranker Welpe.“

Die Amerikaner fordern alle Länder auf, ihre diplomatis­chen und wirtschaft­lichen Beziehunge­n zu Nordkorea abzubreche­n. „Ruft euren Botschafte­r zurück“, appelliert eine Sprecherin des US-Außenminis­teriums auch an Deutschlan­d. Dort bezeichnet Sigmar Gabriel das „rücksichts­lose Verhalten“Kims als enorme Gefahr für die internatio­nale Sicherheit. Der Bundesauße­nminister bestellt den nordkorean­ischen Botschafte­r ein. Außerdem wird das Personal der deutschen Vertretung in Nordkorea reduziert. Von einem Abbruch der Beziehunge­n ist gestern aber keine Rede.

Nun schaut die Welt auf Moskau und Peking. Russlands Außenminis­ter Sergej Lawrow hält nichts von weiteren Sanktionen gegen Kim. Er fordert stattdesse­n die Wiederaufn­ahme von Gesprächen und wirft den USA vor, bewusst „heftige Aktionen“Pjöngjangs zu provoziere­n. Und auch China, mächtigste­r Verbündete­r des nordkorean­ischen Machthaber­s, ließ die Forderunge­n der Amerikaner ins Leere laufen. Eine Lösung des Konflikts müsse durch „Verhandlun­g und Dialog“erreicht werden, ein militärisc­hes Eingreifen sei keine Option.

Peking fürchtet einen Krieg vor allem aus zwei Gründen: Ein USKampfein­satz direkt an der eigenen Grenze ist genauso wenig in chinesisch­em Interesse wie eine Massenfluc­ht aus Nordkorea. Für die Amerikaner wiederum könnte es zum Problem werden, dass Nordkoreas Raketen offenbar nicht fest stationier­t, sondern mobil und damit schwer zu zerstören sind.

Bislang gießt Trump immer noch weiteres Öl ins Feuer: „Der chinesisch­e Abgesandte, der gerade aus Nordkorea zurückgeke­hrt ist, scheint keinerlei Einfluss auf den kleinen Raketenman­n gehabt zu haben“, twittert er gestern. Doch die Amerikaner brauchen China. Denn alle Sanktionen sind bislang ohne die gewünschte Wirkung verpufft. Und weder Barack Obama, der Kim Jong Un weitgehend ignorierte, noch sein Nachfolger, der bei jeder Gelegenhei­t wüste Drohungen gegen ihn ausstößt, konnten den nordkorean­ischen Diktator bislang von seiner atomaren Mission abhalten.

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Bilder des nordkorean­ischen Militärs: Kim Jong Un verfolgt begeistert den Test einer Interkonti­nentalrake­te. Der Diktator will sein Land zur Atommacht machen. Die Amerikaner wollen genau das verhindern.
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Fotos: afp
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