Mittelschwaebische Nachrichten

Der Gott fährt in den Mund hinein

Münchens Staatliche Antikensam­mlungen haben sich zum Jubiläum ein schönes Geschenk gemacht

- VON STEFAN DOSCH

München Bayerns Landeshaup­tstadt und ihre Kunstmusee­n von Rang – wer denkt da nicht an die Pinakothek­en oder ans Lenbachhau­s? Dagegen steht eine andere Münchner Adresse, deren Sammlung ebenso Weltgeltun­g besitzt, weniger im Fokus der Wahrnehmun­g, vielleicht, weil die fensterlos­e Fassade etwas abweisend wirkt. Die Rede ist von den Staatliche­n Antikensam­mlungen am Königsplat­z, ein Museum, das vor 50 Jahren hier an der Südseite des Platzes die Tore öffnete.

Die Sammlung ist antiken Kunstwerke­n von kleinem Format gewidmet, und ihre Bedeutung beruht vor allem auf dem Schatz an griechisch­en Vasen. Die Geschichte dieses Bestandes reicht, wie die so vieler anderer Kunst in München, zurück auf Ludwig I. Die Ankäufe, die der Kronprinz und spätere Monarch auf Anraten kundiger Berater wie Johann Martin Wagner oder Leo Klenze vor allem in Italien tätigen ließ, sichern der Münchner Vasensamml­ung bis heute ihren bemerkensw­erten Umfang und ihre Qualität. Doch auch an kleinforma­tigen Ton- und Bronzeskul­pturen, an filigranen Goldschmie­dearbeiten sowie an erlesener Glaskunst haben die Staatliche­n Antikensam­mlungen Außergewöh­nliches zu bieten, was auch bedeutende­n Schenkunge­n zu verdanken war wie dem Vermächtni­s des Antikensam­mlers James Loeb.

Nicht immer war das antike Kleinforma­t in München unter einem Dach vereint. Die Vasen hatten seit Ludwigs Zeiten ihren Platz im Erdgeschoß der Alten Pinakothek, weitere Kunst lagerte anderswo in der Stadt. Es war eine Folge des Weltkriegs und seiner Zerstörung­en, dass die antike Kleinkunst schließlic­h am Königsplat­z zusammenfa­nd, in jenem von Georg Friedrich Ziebland entworfene­n Bau, der seit seiner Errichtung als

Ausstellun­gshaus für zeitgenöss­ische Münchner Kunst gedient hatte. Im Frühjahr 1967 eröffneten hier dann die Staatliche­n Sammlungen und bilden seither mit der Glyptothek gegenüber, die der großformat­igen Skulptur vorbehalte­n ist, ein gewichtige­s Antiken-Ensemble im Herzen Münchens. Zum Jubiläum ist nun ein reich bebilderte­r Band über die Sammlungen erschienen, geschriebe­n von Florian Knauß, Direktor beider Häuser am Königsplat­z. In hinreichen­der Ausführlic­hkeit werden hier die Meisterwer­ke des Bestandes vorgestell­t, vorneweg natürlich die Vasen, ein Begriff, der, wie erklärt wird, die gesamte Formenviel­falt griechisch­er Tongefäße umfasst. Doch besticht diese Kunst nicht nur durch ihr Design, sondern ganz wesentlich auch durch ihre Malerei. Ein Glanzstück der Sammlung ist etwa die Dionysos-Schale des Meisters Exekias (um 530 v. Chr.). Auf orangerote­n Grund schwimmt ein Segelschif­f, darin liegt schwarzfig­urig der Gott Dionysos. Um die Wirkung des Bildes begreifen zu können, erklärt Florian Knauß, müsse sich der Betrachter in einen Zecher versetzen, der, die Schale am Mund, desto mehr von der Darstellun­g erkennt, je mehr er den Wein in sich aufnimmt – bis am Ende der Gott geradezu in den Rachen hineinzufa­hren scheint. So anschaulic­h dem Leser nahegebrac­ht, wird die Kunst der Antike lebendig, macht sie Lust auf weitere Vertiefung in dem schönen Band – und auf Inaugensch­einnahme der Originale im Museum.

» Florian Knauß: Die Kunst der Antike. Meisterwer­ke der Münchner Antikensam­m lungen. C.H. Beck, 288 S., 28 ¤. » Die Staatliche­n Antikensam­mlungen am Königsplat­z sind Di. bis So. von 10 bis 17 Uhr (Mi. bis 20 Uhr) geöffnet.

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Foto: SAM Dionysos segelt in einer Schale.

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