Mittelschwaebische Nachrichten
Stalker führte einen „Vernichtungsfeldzug“
Ein 56-Jähriger hat sein Opfer in Röfingen einem Martyrium ausgesetzt. Der Täter muss vier Jahre hinter Gitter. Warum vor dem Landgericht Memmingen eine deutlich höhere Strafe im Raum stand
Memmingen/Röfingen Das Verfahren gegen den Stalker von Röfingen ist nun überraschend schnell abgeschlossen worden. Bereits am Ende des zweiten von ursprünglich fünf Prozesstagen und nach fast elfstündiger Verhandlungsdauer erging das Urteil der Memminger Strafkammer. Der seit wenigen Tagen 56 Jahre alte Täter muss vier Jahre ins Gefängnis. Ein weitgehendes Geständnis bewahrte ihn vor einer deutlich höheren Strafe, wie es in der Urteilsbegründung hieß.
Dabei ist Karl A. noch ziemlich gut weggekommen. Ein weiterer schwerer Vorwurf des Anschlags auf das Auto des Opfers wurde mangels Beweisen eingestellt. An dem Wagen war in der Garage ein Bremsventil geöffnet worden, die Hydraulikflüssigkeit lief aus. Die ExFreundin des Täters bemerkte jedoch nach wenigen Metern Fahrt, das etwas nicht stimmte und stellte das Auto ab. Obwohl der Angeklagte zeitweise als Automechaniker gearbeitet hat und über einen Garagentoröffner verfügte, konnte ihm die Tat nicht nachgewiesen werden.
Aber die übrigen Vorwürfe gegen Karl A. wogen allein schwer genug. Vorsitzender Richter Jürgen Hasler sparte nicht mit deutlichen Worten. Die Strafkammer hätte etwas zum Motiv wissen wollen, doch dazu lieferte Karl A. keine Erklärung. „Er hat einen Vernichtungsfeldzug“geführt, so Hasler. Der psychiatrische Sachverständige Dr. Andreas Küthmann vom Bezirkskrankenhaus Memmingen habe nach den Ursachen gesucht, beispielsweise eine Kränkung. Aber er habe keinen Anhaltspunkt für den Eklat gefunden, eine derartige Eskalation war nicht zu erwarten. Eine verminderte Schuldfähigkeit aufgrund des Alkoholismus erkannte der Sachverständige nicht. Monatelang hatte der Angeklagte das Opfer in Röfingen massiv bedrängt, beleidigt und bedroht, „es war einem Martyrium ausgesetzt“, sagte der Richter.
Zu Beginn des zweiten Verhandlungstages hatte Karl A. über seinen Verteidiger Marko Becker (Waiblingen) ein weitreichendes Geständnis abgelegt und sich für die Taten entschuldigt. Er räumte den wochenlangen Telefonterror gegen sei- Ex-Freundin und ihre Familie ebenso ein wie zwei Brandanschläge auf eine Gartenhütte und das Haus der 55-Jährigen in Röfingen. Er habe nicht damit gerechnet, dass die Flammen auf das Dach übergreifen würden. Das Opfer war an diesem Abend des 3. Dezember vergangenen Jahres nicht zu Hause, aber in der zweiten Doppelhaushälfte wohnten eine Familie und eine alleinstehende Frau, die glücklicherweise nicht zu Schaden kamen.
Beim zweiten Brandanschlag hatte der Täter zwei Gaskartuschen, wie sie für Campingkocher verwendet werden, dabei. Doch die Polizei war in der Nacht zum 1. Februar 2017 vorbereitet. Das Video einer Überwachungskamera, das im Gerichtssaal vorgeführt wurde, zeigt den dramatischen Augenblick der Festnahme von Karl A. Der war zu diesem Zeitpunkt mit 3,8 Promille reichlich alkoholisiert, stürzte und zog sich eine Kopfplatzwunde zu. Zur Tat, die aus Juristensicht als Mordversuch hätte gewertet werden können, kam es nicht mehr. Als äußerst positiv stuften Oberstaatsanwalt Markus Schroth und Richter Hasler das Verhalten eines Bekannten von Karl A. ein. Dieser 38-Jährige sollte eigentlich den Brandanschlag ausführen, meldete dies aber rechtzeitig der Polizei.
Seit dem Ende der etwa einjährigen Beziehung begann A. mit seinen Stalkingattacken. Bis zu zehnmal am Tag terrorisierte er die Röfingerin am Handy und auf dem Festnetztelefon, schickte Nachrichten eindeune tigen Inhalts, wie die Heilerziehungspflegerin als Zeugin schilderte. Schon bald nach dem Kennenlernen in einer Rehaklinik hatte sie das Alkoholproblem des Mannes bemerkt. Sie aber immer gehofft, dass er sich verändere. Als er immer größere finanzielle Engpässe hatte, da er seit einem Arbeitsunfall nur Hartz IV bekam, beendete sie das Verhältnis. Danach ging es los: „Jetzt bekommst du Krieg“, „ich mach’ dich fertig“, „jetzt gibt’s eine Beerdigung oder mehr“, „es gibt heut’ noch einen Toten“, „bei dir brennt’s wohl bald“.
Die 55-Jährige wendete sich in ihrer Verzweiflung erst an ihren Anwalt, den renommierten Strafverteidiger Georg Zengerle (Dillingen) und dann an die Polizei. Auf Antrag des Anwalts erließ das Günzburger Amtsgericht nach dem Gewaltschutzgesetz Ende Dezember 2016 ein Kontaktverbot. Das hielt den Stalker jedoch nicht vom zweiten Anschlag ab. Das wochenlange Martyrium und die beiden Anschläge hatten dramatische Auswirkungen auf das Seelenleben der Frau. Sie versucht, mit psychologischer Hilfe, die Ereignisse zu verarbeiten und hofft, dass sie mit dem Urteil nun wieder Ruhe findet.
„Wir haben hier hautnah mitbekommen, wie die Zeugin unter den Geschehnissen leidet“, bestätigte Richter Hasler. Der Staat habe dem Opfer trotz der Stalkerattacken nicht viel helfen können. Selbst der Versuch, den Täter in eine geschlossene Psychiatrie zu bringen, scheiterte. „Die Schwerter der Justiz sind in diesem Fall stumpf“, räumte der Strafkammer-Vorsitzende ein. Als positiv stufte er das Teilgeständnis des Angeklagten ein und sein Versprechen, dass das Opfer nichts mehr vor ihm zu befürchten habe: „Ich hoffe, sie meinen es ernst“, sagte Hasler.
Der Brandanschlag auf die Gartenhütte in Röfingen wurde von der Strafkammer nicht als Spontantat angesehen, sondern sei vielmehr gezielt vorbereitet worden. An Karl A. als Täter bestehe kein Zweifel. In dessen Garage im baden-württembergischen Rems-Murr-Kreis war am nächsten Tag ein BMW entdeckt worden, der gefälschte Kennzeichen trug und dessen Motor noch Wärme abstrahlte. Im Innenraum fand die Polizei unter anderem Brennspiritus und Werkzeug.
Das Gericht geht davon aus, dass Karl A. mit diesem Auto zum Tatort kam. Aus mehreren Einzelstrafen wegen schwerer Brandstiftung, Verabredung zu einem Verbrechen, Beleidigung und Verstoß gegen das Gewaltschutzgesetz bildete die Kammer eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren.
Oberstaatsanwalt Schroth hatte vier Jahre und elf Monate Haft gefordert, dem sich Rechtsanwalt Zengerle für die Nebenklage anschloss. Verteidiger Becker hatte eine Strafe von deutlich unter vier Jahren gefordert. Das Urteil ist bereits rechtskräftig, da alle Parteien ihren Verzicht auf Berufung oder Revision erklärt haben.