Mittelschwaebische Nachrichten
Dem Richter platzt fast der Kragen
Ein 26-Jähriger soll seine Ex-Freundin und deren Baby misshandelt haben. Warum der Prozess gegen ihn weitergeht
Günzburg Eigentlich hätte die gestrige Verhandlung beim Amtsgericht nur eine Stunde dauern sollen. Aber allein die Aussage des Angeklagten entwickelte sich zu einem echten Problemfall. Dem 26-jährigen Syrer wird Körperverletzung, Bedrohung und Nötigung vorgeworfen. Der gravierendste Vorwurf der Staatsanwaltschaft: Der 26-Jährige soll das Baby seiner Freundin in den Oberschenkel gebissen haben, die Freundin beleidigt, bedroht, genötigt, geschlagen und ihr Haare ausgerissen haben.
Wegen dieser Delikte hatte die Staatsanwaltschaft einen Strafbefehl über 90 Tagessätze beantragt. Walter Henle, Direktor des Günzburger Amtsgerichts, hielt den Strafbefehl angesichts der Schwere der Taten aber für nicht ausreichend. Seine Auffassung machte er dem Angeklagten gleich zu Beginn der Verhandlung klar. „Wissen Sie, in welchem Land sie leben?“, fragte er den 26-jährigen Asylbewerber. „In Deutschland“, antwortete der. „In einem demokratischen Rechtsstaat“, ergänzte Henle. Wenn die Vorwürfe stimmten, so der Richter, sei Geldstrafe nicht angemessen. In Deutschland seien Mann und Frau gleichberechtigt. „Ich habe kein Verständnis“, bekräftigte Henle, „wenn jemand vor Gewalt flieht und im Zufluchtsland Gewalt anwendet“.
Der Angeklagte arbeitet zur Zeit in einem Aushilfsjob als Koch für 450 Euro in einem Lokal im südlichen Landkreis. Aus Syrien flüchtete er, weil er dort zum Militärdienst hätte eingezogen werden sollen. Er kam über den Libanon in die Türkei und von dort über die Balkanroute nach Deutschland bis in ein Asylheim in Thannhausen. Auf die Frage, warum er nicht in den durchquerten Staaten Griechenland, Ungarn und Österreich geblieben sei, blieb er die Antwort schuldig.
Schwierig wurde es, als es um die Angaben des 26-Jährigen zu den einzelnen Delikten ging. Er wisse, dass die Sprache in dessen Heimatland „blumig“sei, also sollte er sich aufs wesentliche konzentrieren, forderte Richter Henle. Aber trotz eines Dolmetschers machte der Syrer immer wieder weitschweifende Erklärungen und widersprüchliche Aussagen. Zunächst stritt er sämtliche Vorwürfe ab.
Stattdessen brachte er vor, die Ex-Freundin habe psychische Probleme, weil ihr Vater angeblich Sex mit ihr haben wolle. Eine völlig neue Aussage, die der Angeklagte so bei seiner Vernehmung durch die Polizei nie gemacht hatte. Dort hatte der 26-Jährige erzählt, dass er mithilfe eines Bekannten das Handy seiner Partnerin geknackt habe und dann ihren WhatsApp-Kontakt mit einem anderen Mann entdeckte. Das habe der Beziehung geschadet, weil er es nicht verkraftete, dass sie mit dem Fremden über Sex gechattet habe. Wegen des Babys hatte es Ärger gegeben, als er abends müde von der Arbeit gekommen sei und das Kind ihn durch Krach vom Schlafen abgehalten habe. Den Übergriff mit dem Biss stritt er ab. Ebenso will er keine massiven Drohungen per Wortnachricht verschickt haben.
Erst als Richter Henle ihm ein Foto von einem Text auf einem Handy-Display vorhielt, dass der Dolmetscher aus dem Arabischen übersetzte, gab er diese Nachricht zu. Darin hatte er gedroht, dass er sich für die Anzeige seiner ExFreundin bei der Polizei rächen werde und Mutter mit Kind verbrennen werde. Er habe sie aber weder geschlagen noch ihr Haare ausgerissen.
Richter Henle merkte, dass der Prozess auf der Stelle trat. Noch bevor die Ex-Freundin, die mit ihrem Baby zur Verhandlung gekommen war, als Zeugin aussagte, wurde das Verfahren ausgesetzt. Da für die stehenden Anklagepunkte immerhin eine Haftstrafe bis fünf Jahren oder Geldstrafe im Raum steht, wird dem Angeklagten jetzt ein Pflichtverteidiger bestellt. Außerdem sollen zur nächsten Verhandlung zwei Polizeibeamte kommen, die den Syrer nach der Anzeige vernommen haben.