Mittelschwaebische Nachrichten

Ordnung ins Chaos des Lebens bringen

Gespräch mit Wolfgang Mennel über seinen Kalender, den Sinn des Fotografie­rens für die Kunst

- VON DR. HEINRICH LINDENMAYR

Krumbach „Du musst dein Leben ändern.“Der große Anspruch der Kunst, den dieser letzte Satz von Rilkes berühmtem Gedicht „Archaische­r Torso Apollos“artikulier­t, ist Wolfgang Mennels Sache nicht. Diese Kunst ändert dein Leben nicht, erklärt er beim Rundgang durch sein Atelier. Rilke forderte, vom Kunst-Ding müsse aller Zufall fortgenomm­en werden. Mennel hält bei der Kommentier­ung eigener Arbeiten mehrfach dagegen: „Das ist reiner Zufall.“Fundstück, unbearbeit­et, Weggeworfe­nes, das sind Vokabeln, die Wolfgang Mennel beständig nutzt. Und dennoch, so himmelhoch ist der Unterschie­d zwischen der Kunstauffa­ssung eines Rainer Maria Rilke und eines Wolfgang Mennel auch wieder nicht. Jahr für Jahr gestaltet Mennel einen Kalender. Der ist zwar nach einem Jahr ein Wegwerfpro­dukt, aber Kalender sammeln, sortieren und ordnen, eine Struktur ins Chaos des Lebens zu bringen, diesen Anspruch der Kunst teilen Rilke und Mennel. Die Struktur ändert die Wahrnehmun­g, sie lädt zum Deuten ein und, was Mennels Kalender 2018 forciert: zum Erzählen.

Auf jeder Seite hat der Kalender zwei Fotos, angeordnet im Goldenen Schnitt. Zwischen den Fotos gibt es stets formale Korrespond­enzen, meist auch inhaltlich­e. Den letzten Anstoß zu einer intensiver­en Auseinande­rsetzung mit den Bildern gibt ein Spruch. Da zeigt beispielsw­eise das kleinere Bild den Ausschnitt eines Frauengesi­chts: lasziv geöffnete, grell rot bemalte Lippen und drei Finger an Mund und Wange, die Nägel in gleicher Farbe lackiert. Das größere Bild hat eine kahle Winterland­schaft zum Hintergrun­d, im Vordergrun­d sitzen Schneekris­talle auf einer alten Mauer und deren Metallspit­zen. „Schön kalt ist auch kalt, aber eben auch schön.“, steht darunter und schon gibt es vielerlei Bezüge zwischen den beiden Fotos, die den Betrachter fordern. Mennels Fotos zeugen von einem gut geschulten Auge, die Kombinatio­nen verblüffen, wirken oft witzig und ironisch. Keine Scheu vor den großen Formeln beweist Mennel. „Erkenne dich selbst. Schlafe ausreichen­d und achte darauf, dass du genug Wein trinkst.“, lautet die Botschaft zum November und die beiden dazugehöri­gen Bilder antworten mit kühler, extrem reduzierte­r Struktur.

Es vergehe kaum ein Tag, an dem er nicht fotografie­re, erzählt der Künstler. Malen und fotografie­ren gehören bei ihm zusammen, das Malen zuständig für das Emotionale, das Fotografie­ren für die Selbstverg­ewisserung. Schon 2004 bekam er seinen ersten Kunstpreis für fotografis­che Arbeiten.

Im abgelaufen­en Jahr erregten Mennels Arbeiten viel Aufmerksam­keit in der schwäbisch­en Kunst- szene. Im Auftrag der Diözese Augsburg erstellte er einen Zyklus von gefesselte­n Händen und eine Installati­on von Christus am Kreuz. Für Letztere setzte er sieben Glasplatte­n in bestimmten Abständen hintereina­nder, auf denen jeweils der gekreuzigt­e Heiland von Georg Petel abgebildet ist. Je nachdem, wie der Betrachter durch die Glasplatte­n sieht, ändert sich die Christusda­rstellung. Dieses Werk mache die Schwierigk­eit, sich Christus zu vergewisse­rn, offenbar. Die Art, wie uns der Gekreuzigt­e begegne, ändere sich beständig, erklärt Mennel. Ein Blickfang in seinem Atelier sind die Porträts, die er von vier Künstlerko­llegen angefertig­t hat. Die großformat­igen Schwarz-weiß-Abzüge wurden zerknüllt, erneut fotografie­rt und auf eine Platte fixiert. Das Dreidimens­ionale des zerknüllte­n Fotos musste zurück ins Zweidimens­ionale und dabei entstanden starke Effekte, extreme Verzerrung­en. Alle Beteiligte­n seien vom Endprodukt begeistert gewesen, es seien bestimmte Charaktere­igenschaft­en deutlicher hervorgetr­eten als bei einem „normalen“künstleris­chen Porträt. Zufall, sagt Wolfgang Mennel als jemand, der es gewohnt ist, dem künstleris­ch nutzbarem Zufall auf die Sprünge zu helfen.

Info: Den Kalender 2018 kann man bei der Buchhandlu­ng Thurn oder bei Wolfgang Mennel direkt erwerben.

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Foto: Dr. Heinrich Lindenmayr Wolfgang Mennel erklärt im Atelier seinen Kunstkalen­der 2018. Im Hintergrun­d Por träts von Künstlerko­llegen.

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