Mittelschwaebische Nachrichten
Ordnung ins Chaos des Lebens bringen
Gespräch mit Wolfgang Mennel über seinen Kalender, den Sinn des Fotografierens für die Kunst
Krumbach „Du musst dein Leben ändern.“Der große Anspruch der Kunst, den dieser letzte Satz von Rilkes berühmtem Gedicht „Archaischer Torso Apollos“artikuliert, ist Wolfgang Mennels Sache nicht. Diese Kunst ändert dein Leben nicht, erklärt er beim Rundgang durch sein Atelier. Rilke forderte, vom Kunst-Ding müsse aller Zufall fortgenommen werden. Mennel hält bei der Kommentierung eigener Arbeiten mehrfach dagegen: „Das ist reiner Zufall.“Fundstück, unbearbeitet, Weggeworfenes, das sind Vokabeln, die Wolfgang Mennel beständig nutzt. Und dennoch, so himmelhoch ist der Unterschied zwischen der Kunstauffassung eines Rainer Maria Rilke und eines Wolfgang Mennel auch wieder nicht. Jahr für Jahr gestaltet Mennel einen Kalender. Der ist zwar nach einem Jahr ein Wegwerfprodukt, aber Kalender sammeln, sortieren und ordnen, eine Struktur ins Chaos des Lebens zu bringen, diesen Anspruch der Kunst teilen Rilke und Mennel. Die Struktur ändert die Wahrnehmung, sie lädt zum Deuten ein und, was Mennels Kalender 2018 forciert: zum Erzählen.
Auf jeder Seite hat der Kalender zwei Fotos, angeordnet im Goldenen Schnitt. Zwischen den Fotos gibt es stets formale Korrespondenzen, meist auch inhaltliche. Den letzten Anstoß zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit den Bildern gibt ein Spruch. Da zeigt beispielsweise das kleinere Bild den Ausschnitt eines Frauengesichts: lasziv geöffnete, grell rot bemalte Lippen und drei Finger an Mund und Wange, die Nägel in gleicher Farbe lackiert. Das größere Bild hat eine kahle Winterlandschaft zum Hintergrund, im Vordergrund sitzen Schneekristalle auf einer alten Mauer und deren Metallspitzen. „Schön kalt ist auch kalt, aber eben auch schön.“, steht darunter und schon gibt es vielerlei Bezüge zwischen den beiden Fotos, die den Betrachter fordern. Mennels Fotos zeugen von einem gut geschulten Auge, die Kombinationen verblüffen, wirken oft witzig und ironisch. Keine Scheu vor den großen Formeln beweist Mennel. „Erkenne dich selbst. Schlafe ausreichend und achte darauf, dass du genug Wein trinkst.“, lautet die Botschaft zum November und die beiden dazugehörigen Bilder antworten mit kühler, extrem reduzierter Struktur.
Es vergehe kaum ein Tag, an dem er nicht fotografiere, erzählt der Künstler. Malen und fotografieren gehören bei ihm zusammen, das Malen zuständig für das Emotionale, das Fotografieren für die Selbstvergewisserung. Schon 2004 bekam er seinen ersten Kunstpreis für fotografische Arbeiten.
Im abgelaufenen Jahr erregten Mennels Arbeiten viel Aufmerksamkeit in der schwäbischen Kunst- szene. Im Auftrag der Diözese Augsburg erstellte er einen Zyklus von gefesselten Händen und eine Installation von Christus am Kreuz. Für Letztere setzte er sieben Glasplatten in bestimmten Abständen hintereinander, auf denen jeweils der gekreuzigte Heiland von Georg Petel abgebildet ist. Je nachdem, wie der Betrachter durch die Glasplatten sieht, ändert sich die Christusdarstellung. Dieses Werk mache die Schwierigkeit, sich Christus zu vergewissern, offenbar. Die Art, wie uns der Gekreuzigte begegne, ändere sich beständig, erklärt Mennel. Ein Blickfang in seinem Atelier sind die Porträts, die er von vier Künstlerkollegen angefertigt hat. Die großformatigen Schwarz-weiß-Abzüge wurden zerknüllt, erneut fotografiert und auf eine Platte fixiert. Das Dreidimensionale des zerknüllten Fotos musste zurück ins Zweidimensionale und dabei entstanden starke Effekte, extreme Verzerrungen. Alle Beteiligten seien vom Endprodukt begeistert gewesen, es seien bestimmte Charaktereigenschaften deutlicher hervorgetreten als bei einem „normalen“künstlerischen Porträt. Zufall, sagt Wolfgang Mennel als jemand, der es gewohnt ist, dem künstlerisch nutzbarem Zufall auf die Sprünge zu helfen.
Info: Den Kalender 2018 kann man bei der Buchhandlung Thurn oder bei Wolfgang Mennel direkt erwerben.